«Religion ist für viele Flüchtlinge Ausgangsbasis für Kommunikation»

Basel, 8.4.17 (kath.ch) Der eritreisch-italienische Priester Mussie Zerai erzählte am Donnerstag in der reformierten Münstergemeinde Basel von seinem Engagement für Flüchtlinge in Seenot. Er sprach im Rahmen einer Podiumsdiskussion über das mögliche Engagement von Christen für Flüchtlinge in der Schweiz. Auf dem Podium diskutierten Basler Vertreter von vier Hilfswerken.

Boris Burkhardt

Für Mussie Zerai ist Religion Teil der Menschenwürde. Er betonte, dass dies vor allem für Jugendliche eine Ausgangsbasis für Kommunikation sei: «Wir dürfen sie nicht an der Ausübung ihres Glaubens hindern; aber wir müssen ihnen helfen, andere Religionen kennenzulernen, um die Realitäten in der Schweiz anzunehmen.»

Der Scalabrinianer-Pater Zerai, der 1992 mit 16 Jahren aus Eritrea nach Rom kam und dort erfolgreich Asyl beantrage, gründete 2006 die gemeinnützige Organisation «Agenzia Habeshia per la Cooperazione allo Sviluppo», die Flüchtlingen in Seenot hilft. Seit 2011 ist er im solothurnischen Erlinsbach als Seelsorger für katholische Eritreer in der Schweiz tätig.

Soziale Aufmerksamkeit

Er wies im Interview mit der Basler Münsterpfarrerin Caroline Schröder Field darauf hin, dass Flüchtlinge in der Schweiz vor allem soziale Aufmerksamkeit bräuchten: Kontakt zu den Einheimischen sei für sie ohne Hilfe schwer zu finden. «Wir müssen ihnen einen Platz geben, in der Nachbarschaft, in der Gesellschaft: Die Isolation schadet der Toleranz und fördert Vorurteile», sagte Zerai, dessen Aussagen von Gemeindemitglied Arnold Binder simultan aus dem Italienischen übersetzt wurden.

Keinesfalls dürfe man auch die Traumata unterschätzen, die Flüchtlinge aus Ostafrika zuerst in der Wüste und dann auf dem Meer erhalten hätten: «Das sind Menschen, die ganz viel Schmerz in sich tragen.»«

«Afrika ist nicht arm»

Europa werde in Eritrea vor allem als Kontinent der Menschen- und anderer Rechte wahrgenommen, erklärte Zerai auf Schröder Fields Frage hin: «Ein Paradies, das viel Geld hat, in dem Frieden herrscht und wo die Menschen respektiert werden. Nach 25 Jahren kann ich sagen, dass das nicht so ist.»

Andersherum stehe im europäischen Bild von Eritrea Hunger, Krieg und Diktatur im Vordergrund, sei sein Eindruck: «Es ist aber wichtig zu unterscheiden: Afrika ist nicht arm. Es ist arm gemacht worden.» Dafür seien sowohl die Industrienationen und der globale Markt verantwortlich wie auch die eigenen Regierungen in Afrika.

Glaube als Brücke oder Hindernis?

«Es gibt gute Menschen, die nicht gläubig sind; und es gibt gläubige Menschen, die Böses tun.» – Das war der prägnanteste Satz der Podiumsdiskussion «Fremde suchen Heimat» mit vier Basler Hilfsorganisationen, in deren Rahmen auch das Gespräch mit Mussie Zerai stattgefunden hatte.  In den Mittelpunkt stellte Moderatorin Caroline Schröder Field das mögliche Engagement von Christen für Flüchtlinge in der Schweiz.

Das Zitat stammt von Fabiola Bloch von der unabhängigen Privatinitiative «Basel hilft mit». Diese widmet sich als «Nische» nicht der direkten Betreuung von Flüchtlingen, sondern der Annahme, Verpackung und Versendung von materieller Hilfe wie Kleidung und Spielsachen. Bloch war zuvor von Moderatorin Schröder Field gefragt worden, ob ihrer Meinung nach der Glaube eine Brücke oder ein Hindernis für die ehrenamtliche Hilfe sei. Bloch betonte, für sie als «Nicht-Religiöse» sei es unwichtig, aus welcher Motivation heraus sich die Helfer einsetzten; das sei auch fast nie Thema bei den Gesprächen untereinander.

Diakonischer Dienst

«Glaube gibt Kraft; er schafft aber auch Grenzen», ergänzte Imma Mäder vom SRK beider Basel, die aufgrund ihres Arbeitsgebers religionsneutral bleiben muss: «Wenn die Religion zu sehr im Zentrum des Lebens steht, ist man nicht mehr offen für anderes.» Glücklicherweise sei der Glaube aber bei den meisten Schweizern «nicht so stark, dass sie nicht mehr helfen könnten».

Roland Luzi vom Ökumenischen Seelsorgedienst für Asylsuchende, gläubiger Christ wie der vierte Vertreter der Basler Hilfsorganisationen, Christian Plüss vom Hilfewerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (Heks) beider Basel, gab zu Bedenken, dass der diakonische Dienst selbstverständlich zum christlichen Glaube gehöre: Die Religion müsse bei diesem Dienst aber nicht im Vordergrund stehen.

Weihnachtsfest für Flüchtlinge?

Einig waren sich alle vier auch auf Schröder Fields Frage hin, wie ihre Münstergemeinde ein Weihnachtsfest für Flüchtlinge gestalten könne. Bloch, die neben ihrem Ehrenamt als Betreuerin für unbegleitete minderjährige Asylsuchende arbeitet, hat das bereits mit einem «Geschenkefest» getan, das Weihnachten allerdings nur als weltliches Fest vorstellte, um den Angehörigen aller Religionen die Teilnahme zu ermöglichen. Auch Plüss riet, die Feier «nicht zu nah an den Ritualen unserer Kirche» zu gestalten, trotzdem aber sinnlich mit viel Musik: «Wichtig ist, dass es nicht als ‹Angebot für euch› aufgezogen ist, sondern als ein Miteinander auf Augenhöhe.»

Luzi, der im grössten Schweizer Bundesasylzentrum in Muttenz BL direkt mit den Menschen zusammenarbeitet, wandte jedoch ein: «Weihnachtslieder dürfte man durchaus singen.» Allerdings sei das Münster als Münster bereits ein Problem für viele andersgläubige Flüchtlinge: «Wenn Sie im Asylzentrum feiern, bekommen Sie alle mit ins Boot.»

Die Veranstaltung im Bischofshof neben dem Basler Münster war die dritte von dreien in der Reihe «Fremde suchen Heimat» unter dem Motto «Was wird getan und was können wir tun?». An den ersten beiden Abenden sprach die Münstergemeinde mit Referenten über die Themen «Fremde und Heimat aus christlicher Perspektive» und «Die Flüchtlingsnot und die Schweizer Kirche: damals – und heute?»

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