Josef Hochstrasser: «Die Kirchen haben viel Geld, aber kein Feuer!»

Oberentfelden AG, 10.3.17 (kath.ch) Mit zehn gewagten Thesen verpasst Pfarrer Josef Hochstrasser den Landeskirchen einen Denkzettel. In seinem jüngsten Buch «Die Kirche kann sich das Leben nehmen» verlangt er, dass sich die Kirchen vom Staat trennen und die humanistische Botschaft Jesu’ wieder ins Zentrum rücken.  

Sylvia Stam

Wird die Kirche sich das Leben nehmen?

Josef Hochstrasser: Ich hoffe es natürlich, und zwar im positiven Sinn! Die meisten Menschen denken beim Titel an Suizid. Ich meine aber genau das Gegenteil: Dass die Kirche sich dem Leben zuwendet, das Leben ergreift.

Sie fordern, dass sich die Kirche vom Staat trennt. Was hat sie davon?

Hochstrasser: Das hat zur Konsequenz, dass sie kein Geld mehr hat. Ich glaube, das würde viele erneuernde Kräfte freisetzen. Es gäbe keine bezahlten Hauptamtlichen mehr. Andere Leute müssten die Sache Jesu an die Hand nehmen. Meiner Meinung nach würde dadurch die Spreu vom Weizen getrennt.

All die sozialen Tätigkeiten der Kirche wären dann auch nicht mehr möglich.

Hochstrasser: Vielleicht wäre das auch ohne Geld möglich. Die Verkündigung Jesu hing auch nicht vom Geld ab, sonst hätte er keinen Erfolg gehabt. Natürlich stösst man dann an Grenzen und muss vielleicht sagen: «Wir hätten eine Vision, aber wir haben kein Geld.» Die Kirchen haben viel Geld, aber kein Feuer! Das werfe ich ihnen vor! Lieber Feuer, und kein Geld!

Sie verlangen von den Kirchen, Jesus von Nazareth wieder mehr ins Zentrum zu rücken.

Hochstrasser: Wenn ich an diese historische Figur denke, erkenne ich immer einen Impuls für das Leben, und zwar in vier Richtungen: Einerseits müssen sich die Menschen sich dem eigenen Inneren zuwenden. Dafür steht die Wüstenerfahrung Jesu. Er hat all das Dunkle in sich zugelassen. Erst dadurch konnte er heilsam in der Welt wirken. Jesus hat sich zweitens allem Lebendigen – Frauen, Männern, Kindern – zugewandt. Das konnte er nur, weil er mit sich selber im Reinen war.

Und die übrigen beiden Richtungen?

Hochstrasser: Die eine ist seine Beziehung zu Gott. Das war kein metaphysischer Gott, sondern es war die Erfahrung einer Tiefe, einer Einheit und einer Ganzheit, die ihn befähigt hat, nicht mit Ideologien um sich zu werfen, sondern heilsam zu wirken. Die vierte Richtung ist sein Umgang mit Gegnern, mit Feinden.

Diese vier Richtungen, wie ein Kreuz, das ist für mich Jesus von Nazareth. Das war einer mit Power, mit der Möglichkeit zum Scheitern, ein Mensch. Nichts von Gottessohn!

Hat Jesus für Sie denn keine göttliche Dimension?

Hochstrasser: Jesus hat die Bezeichnung «Gottes Sohn» selber mehrfach abgelehnt. Er arbeitet am Reich Gottes, und das hat göttliche Dimensionen. Wenn eine Gesellschaft aus glücklichen Menschen besteht, dann scheint da etwas durch, was ich als göttlich bezeichnen würde.

Dann ist Gott für Sie keine transzendente, jenseitige Instanz?

Hochstrasser: Eine Transzendenz in dieser Welt. Jesus hat immer wieder Grenzen überschritten, indem er etwa als Jude mit einer kananäischen Frau sprach. Das ist Transzendenz! Aber sie ist innerweltlich. Das jenseitige, metaphysische Denken lenkt nur ab von dieser Welt und von den Aufgaben, die wir hier haben.

Sie verwenden den Begriff «Neuheiden», die sich für diesen Jesus begeistern könnten. Wen meinen Sie damit?

Hochstrasser: Ich meine Menschen, die ganz am Rand oder ausserhalb der kirchlichen Institutionen stehen. Unter meinen ehemaligen Schülerinnen und Schülern an der Kantonsschule Zug habe ich solche getroffen. Sie haben ein unglaubliches Interesse an dieser Jesusfigur, am Neu-Lesen von biblischen Erzählungen.

Viele solcher «Neuheiden» leisten heute humanitäre Hilfe, ohne sich auf Jesus zu beziehen. Kirchen sollen laut ihrem Buch den Kontakt mit ihnen suchen. Braucht es denn unbedingt den Bezug zu Jesus? Reicht es nicht, dass sie anderen Menschen helfen?

Hochstrasser: Natürlich steht die Hilfe im Vordergrund. Aber nur zu handeln, ohne weltanschaulichen Hintergrund, kann in einen Aktionismus ausarten.

Wie gelingt es Ihnen heute, Menschen am Rand oder ausserhalb der Kirche zu erreichen?

Hochstrasser: Ich denke an meine Fussballkollegen. Da ist kaum noch einer in der Kirche, aber wir haben viele weltanschauliche Diskussionen. Ich war Jungwachtleiter in Ebikon LU, die ehemaligen Jungwachtleiter dieser Gemeinde kommen viermal im Jahr zusammen und dann reden wir über Gott und die Welt.

Reissen Sie das an?

Hochstrasser: (energisch) Nein, ich reisse das nie an! Ich lasse mich auf das ein, was die Leute mitbringen. Es geht darum, auf das zu hören, was sie beschäftigt.

Ihr «Denkzettel» gilt den drei Landeskirchen. Machen diese auch etwas gut?

Hochstrasser: Die Sache Jesu am Laufen halten. Auch wenn das wenig prophetisch und mit angezogener Handbremse geschieht. Die Kirchen habe über Jahrhunderte das kleine Feuer am Laufen gehalten.

Hatten Sie schon Reaktionen von kirchlicher Seite auf Ihr Buch?

Hochstrasser: Bisher nicht. Ich würde mich über Reaktionen von kirchlicher Seite freuen. Es wäre toll, wenn wir uns fetzen könnten, wie Jesus das ja auch mit seiner Umgebung getan hat! Das ist ein Zeichen von Lebendigkeit, das bringt einen vorwärts. Ich bin bereit, auch einzustecken und Argumente entgegenzunehmen!

Josef Hochstrasser (70) war römisch-katholischer Priester. Nach seiner Heirat erhielt er ein Berufsverbot, weil er als laisierter Pfarrer Eucharistie feierte. Er studierte evangelisch-reformierte Theologie und wurde 1989 zum reformierten Pfarrer ordiniert. Von 1999 bis 2010 unterrichtete er Religion an der Kantonsschule Zug.

 

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