«Wer Drogen konsumiert, ist mit existenziellen Fragen konfrontiert»

Luzern, 2.2.17 (kath.ch) In Luzern findet am Donnerstag eine ökumenische Gedenkfeier statt für Menschen, die an den Folgen des Drogenkonsums gestorben sind. Im Interview mit kath.ch erklärt der katholische Gassenseelsorger, warum Religion im Leben von Drogenkonsumenten eine Rolle spielt und wie er mit den Themen Scham, Schuld und Scheitern umgeht.

Sylvia Stam

Warum gestalten Sie eine eigene Feier für Drogenopfer?

Franz Zemp: Einerseits geht oft vergessen, dass es immer noch Menschen gibt, die an den Folgen von Drogenkonsum sterben. Andererseits ist das Thema moralisch gefärbt: Diese Menschen sind stigmatisiert, die Suchtthematik löst schwierige Familiensituationen aus. Wir wollen mit der Feier der Verurteilung dieser Menschen etwas entgegensetzen, indem wir sie ganz speziell würdigen.

Wie geschieht das?

Zemp: Im Zentrum der Feier steht ein Lichterritual: Wir zünden für jede aufgrund von Drogenkonsum verstorbene Person eine Kerze an und nennen ihren Namen. Im Jahr 2016 waren das neun Menschen, in den Vorjahren etwas mehr. Die Anwesenden können danach ebenfalls noch Kerzen für sie anzünden. Umrahmt wird die Feier von Musik und von einem Bibeltext. Dieses Jahr ist es das Gleichnis vom verlorenen Sohn und seinem grossherzigen Vater. Ausserdem lesen Mitarbeiter der Gassenküche und Menschen von der Gasse Fürbitten vor.

Warum dieses Gleichnis?

Zemp: Das Abdriften in die Drogen ist durchaus vergleichbar mit den «wüsten» Lebensumständen des jüngeren Sohnes im Gleichnis. Schuld ist für die Angehörigen ein grosses Thema, viele Betroffene schämen sich für ihre Sucht. Schuld und Scham sind in diesem Gleichnis Thema.

Wie gehen Sie als Seelsorger mit diesen Themen um?

Zemp: Ich frage nach, woher beispielsweise das Gefühl der Schuld kommt. Religiös betrachtet gehe ich vom Gottesbild des grosszügigen Vaters aus: Das kann die Schuld relativieren, denn dieser Gott vergibt Schuld.

Wie gehen Sie damit um, wenn Drogenkonsumenten ihre Sucht als Scheitern empfinden?

Zemp: Das ist tatsächlich eine schwierige Thematik. Sie empfinden sich selber oft als gescheitert. Theologisch kann ich hier sagen: Aus der Sicht Gottes bist du nicht gescheitert. Ebenso wichtig ist es aber, dass man ihnen im Alltag zu spüren gibt: Du bist für mich ein ebenbürtiger, guter Mensch, auch wenn dein Leben Brüche hat. Dies zu vermitteln ist oft das Einzige, was man tun kann.

Sie sprechen von Gott. Ist Religion denn überhaupt ein Thema für Drogenabhängige?

Zemp: Wer Drogen konsumiert, ist täglich mit existenziellen Fragen rund um Leben und Tod konfrontiert. In Gesprächen mit Betroffenen spüre ich immer wieder eine grosse Empfänglichkeit für Spirituelles, weil sie jederzeit der oder die nächste sein können, die stirbt. Der Tod ist sehr präsent, die Sinnfrage oder die Frage, was nach dem Tod sein wird, stellen sie oft.

Wer nimmt an den Feiern für Drogenopfer teil?

Zemp: Es kommen Angehörige, Angestellte von Institutionen wie Ambulatorien oder der Gassenküche, Freundinnen und Freunde von der Gasse, aber auch Menschen, die solidarisch sind mit Drogenkonsumenten. Letztes Jahr waren es gegen 150 Personen. Weil Drogenkonsumenten nicht selten sozial isoliert sind, fand nach ihrem Tod oftmals keine öffentliche Abdankung statt. In dieser Feier können Angehörige nochmals würdevoll Abschied nehmen.

Gibt es auch Stimmen, die eine kirchliche Feier für Drogenkonsumenten kritisch sehen?

Zemp: Aus kirchlichen Kreisen höre ich keine Äusserungen in der Art, dass die Betroffenen selber schuld seien. Es mag in der Politik Stimmen geben, die finden, man investiere zu viel in die Arbeit mit Menschen auf der Gasse. Im Allgemeinen finden jedoch viele die Arbeit mit Suchtbetroffenen sehr wichtig.

Franz Zemp ist katholischer Theologe und Gassenseelsorger beim Verein «Kirchliche Gassenarbeit Luzern».

Hinweis: Ökumenische Gedenkfeier für Drogenopfer, Donnerstag, 2. Februar, 19.00 Uhr, Matthäuskirche Luzern.  Gestaltung: Franz Zemp und Beat Hänni (reformierter Pfarrer). Anschliessend Suppenessen im Gemeindesaal der Matthäuskirche.

 

 

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