In der Ranftschlucht wird es endlich still

Flüeli-Ranft OW, 18.12.16 (kath.ch) Über 900 Jugendliche haben sich am Wochenende vor Weihnachten in der Ranftschlucht zur grössten Sternwanderung für junge Menschen in der Schweiz versammelt. Im Vorfeld des 600. Geburtstages von Bruder Klaus war auch dieser Jahrgang von stimmungsvollen Momenten geprägt.

Vera Rüttimann

Gegen 19 Uhr verlassen die Jugendlichen an den Bahnhöfen in Sachseln OW und Sarnen OW mit gutem Schuhwerk, Outdoor-Jacken und Stirnlampen ihre Züge. Gut ausgeschlafen machen sie sich auf zu einer stimmungsvollen Sternenwanderung nach Flüeli-Ranft. So auch die Teilnehmer, die im Schulhaus Mattli in Sachseln ihre Schuhe schnüren und sich mit heissem Tee versorgen. Das Organisationsteam, bestehend aus der Fachgruppe Ranfttreffen von Jungwacht Blauring Schweiz und ehrenamtlichen Helfern, bereiten den Besuchern aus allen Landesteilen hier einen herzlichen Empfang. Die geheimnisvolle Ranftschlucht und die Bereitschaft, aus dem hektischen Alltag der Vorweihnachtszeit auszusteigen, führt sie hierher. Und nicht zuletzt ist da Bruder Klaus und die Frage, wer dieser Mann eigentlich war, der vereinzelte Neugierige hierher führt.

Nebel und Ghettoblaster

Es ist 21 Uhr. Die Jugendlichen machen sich nun mit ihren Gruppenleitungen auf den Weg nach Flüeli. Draussen ist der Nebel dick, man sieht keine zwei Meter weit. Man spürt bei etlichen, welche Überwindung dieser Marsch nach dem warmen Tee jetzt kostet. Schon nach kurzer Zeit kriecht die Feuchtigkeit in die Knochen. Man darf jetzt nicht vom Weg abkommen, wenige Lichter markieren die Strasse. Nur der helle Mond, der sich ab und an zeigt, gibt ein wenig Orientierung. Es geht vorbei an Kapellen, Kreuzen und Kreuzwegstationen, die einsam auf Feldern stehen. Rhythmisch knirscht der gefrorene Reif unter den Sohlen.

Unter den Nachtwanderern ist auch Antoinette Bellmont mit ihrer Tochter Rebeka. Die 56-Jährige aus Ebikon LU gehört zu den Veteraninnen dieses Treffens. «Mein erstes habe ich 1980 erlebt, seitdem zog es mich immer wieder hierher.» Was sie in dieser Nacht allerdings bewegt, ist die völlige Abwesenheit von Stille während des Marsches Richtung Ranft. Noch immer liebt sie das Unterwegssein mit den Jugendlichen, dennoch sagt sie nachdenklich: «Es hat sich viel verändert. Früher schwiegen die Leute auf dem Weg über die Felder und durch die Wälder auch mal. Jetzt wird auch dort aufs Smartphone geschaut. Neben mir lief sogar ein Jugendlicher mit einem lärmenden Ghettoblaster auf seinen Schultern», sagt sie. Man glaubt ihr die Verwunderung. Immerhin konnte sie ihren «Ranft-Virus» an ihre Tochter Rebeka weitergeben. Sie sagt: «Ich freue mich schon auf das Lichtermeer in der Ranft. Mir fehlen in der Kirche im Alltag die Momente, die die Seele wärmen. Dort finde ich sie», sagt sie.

Bruder Klaus – der Unbekannte

Im Schulhaus «Rütimattli», einem der Treffpunkte, in denen Ateliers angeboten werden, geht es nun zu wie in einem Tollhaus. Die Leiter des Treffens habe sich auch in diesem Jahr kreative Themen ausgedacht. In Ateliers können Jugendliche unter dem Motto «Pack es an» Guetzli backen, es werden Volkstänze angeboten und im Atelier «Upcycling» werden aus gewöhnlichen Alu-Dosen, die sonst auf dem Recyclinghof landen würden, tolle Windlichter hergestellt. In einer anderen Ecke bauen Jugendliche aus kleinen Klötzen einen wackeligen Turm – und der Einsiedler Abt Urban Federer ist beim Spielen mitten unter den Jugendlichen.

Ursula Bründler Stadler, die im Ranft ihre spirituelle Heimat gefunden hat, fällt ihm Gespräch auf, wie unbekannt der Nationalheilige bei vielen heute ist. «Dabei war er doch ein Mann, der durch sein Eremiten-Dasein damals und heute polarisiert und Fragen aufwerfen sollte», sagt die Mitfünfzigerin. Christoph Steiger, Jugendarbeiter aus der Pfarrei St. Maria in Ebikon, der eine Gruppe Jugendlicher hierher begleitet, merkt an: «Vielleicht sollte man den Jugendlichen zur Einstimmung auf dieses Treffen ein Factsheet über Bruder Klaus in die Hand drücken.»

Erhabenes Naturschauspiel

Nach den Ateliers geht es um zwei Uhr morgens weiter Richtung Ranft. Die einzelnen Gruppen aus Sachseln und Sarnen treffen eine Stunde später nach und nach in Flüeli ein. Am oberen Rand der Ranftschlucht werden Fackeln angezündet. Vor den Augen der Jugendlichen präsentiert sich nun ein erhabenes Naturschauspiel: Der dichte Nebel löst sich auf und gibt einen sternenklaren Himmel frei. Helles Mondlicht fällt auf Weiden und einsame Holzschuppen an silbern schimmernden Hängen. Alles wirkt wie frisch überzuckert. «Unglaublich schön», entfährt es einem Jugendlichen. Er wird still. Auch der Ghettoblaster seines Freundes schweigt jetzt. Mit der Fackel in der Hand geht es steil hinab. Der Weg führt durch dichten Wald und vorbei an der einstigen Eremitenklause von Bruder Klaus. Durch die Bäume sind tanzende Lichter zu sehen. Eins nach dem anderen stösst in der Ranftschlucht dazu, wo sie zusammen einen grossen Lichterteppich bilden.

Das Ranfttreffen würde nicht funktionieren ohne die vielen freiwilligen Helfer. Einige unter ihnen gönnen sich nun eine Pause. Sie rasten bei einem Haus, wo Schwestern der ökumenischen Gemeinschaft «Chemin Neuf» sie mit heissem Orangenpunsch versorgen. Während das Heissgetränk ihre Hände wärmt, erfahren die Helfer, dass die Schwestern hier seit zwei Jahren für die Wartung des Ranft zuständig sind und sich um die zwei Kapellen und die Bruder-Klausen-Zelle kümmern. Eine der Schwestern sagt: «Wer sich auf die Stimmung an diesem Ort einlässt, erahnt etwas vom Mysterium Bruder Klaus.» Die Ordensfrauen wiederum erfahren von Helfern wie dem 16-jährigen Lukas aus Giswil: «Für viele ist das Ranfttreffen seit Jahren jeweils die innere Einstimmung auf das Weihnachtsfest.»

«Jetzt ist die Zeit!»

Die Jugendlichen setzen sich nun auf die durch den Raureif harten Wiesen und lauschen den Worten von Urban Federer. Während unten die Melchaa rauscht, spricht der Einsiedler Abt über das Motto des diesjährigen Treffens: Den Mut, etwas anzupacken im Leben. Er erzählt den Jugendlichen dabei aus seiner Erfahrung als Vorsteher eines Klosters mit weltweiter Anziehungskraft. Im Vorfeld des Bruder-Klaus-Jubiläums 2017 fordert er die Jugendlichen beschwingt auf, als leuchtendes Beispiel für eine bessere Welt voranzugehen und andere mitzureissen. «Wir können einander Stimmgabel sein, um in den anderen eine Lebensmelodie zum Schwingen zu bringen.» In die kalte Winternacht in diesem zu Ende gehenden Jahr, das für so manche innere und äussere Erschütterungen gesorgt hat, ruft er den Jugendlichen entgegen: «Jetzt ist die Zeit, packt es an!»

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