Gmür: Keine Kirchenjobs für Täter nach Sex-Übergriffen an Kindern

Sitten VS, 7.12.16 (kath.ch) Der Basler Bischof Felix Gmür ist sprachlos über das, was Opfer von sexuellen Übergriffen im kirchlichen Umfeld ihm erzählt haben. Im Anschluss an die Bussfeier und Pressekonferenz in Sitten erläuterte Gmür gegenüber kath.ch, wie die Mitarbeiter seines Bistums für die Thematik sensibilisiert werden.

Sylvia Stam

Bischof Gmür, haben Sie selber schon mit Opfern von sexuellen Übergriffen gesprochen?

Felix Gmür: Ich habe mit einigen Opfern gesprochen. Ich bin sprachlos, weil das Geschehene schockierend ist. Ich bin nochmals sprachlos, weil die Betroffenen nicht gehört wurden oder man ihnen nicht geglaubt hat. Und ich bin schliesslich sprachlos, wenn Opfer mir sagen, dass sie selbst Schuldgefühle hatten wegen dem, was ihnen angetan worden war.

Was hat es für die Opfer bedeutet, mit Ihnen zu sprechen?

Gmür: Die Opfer selber wollten mit mir sprechen, die Initiative ging von ihnen aus. Zum Gespräch kam immer eine Vertrauensperson mit. Meistens wollten sie das Geschehene einfach mitteilen. Sie wollten, dass ich es als Bischof höre. Ich hörte von unterschiedlichen Betroffenen ähnliche Geschichten, jeweils anders erzählt. Die Opfer hören diese Geschichte jeden Tag in sich drin. Das ist wirklich schlimm.

Bei einigen Tätern denke ich, das müsse ein Sadist gewesen sein.

Was ist das Schlimme?

Gmür: Der Vertrauensmissbrauch und das Heruntermachen dieses Menschen. Es ging immer um Macht. Die Opfer fühlten sich abhängig, hatten Angst, dass man ihnen nicht glaubt. Das ist die Grundkonstellation bei Übergriffen. Der Mechanismus ist ähnlich wie bei der Folter. Bei einigen Tätern denke ich, das müsse ein Sadist gewesen sein. Es ist wirklich schockierend, wenn es sich dabei um Priester oder um eine andere seelsorgerliche Vertrauensperson handelte. Da frage ich mich: Was sind das für Menschen?

Kennen Sie persönlich Priester, die Täter sind?

Gmür: Ich habe welche gekannt, aber die meisten sind inzwischen gestorben. Die meisten kann ich schon altershalber nicht kennen. Das ist aber nicht das Ausschlaggebende. Wichtig ist, dass wir heute eine Kultur pflegen, die Opfer ernst nimmt und anhört, egal, ob die Täter noch leben oder nicht.

Was geschieht seitens der Kirche mit den Tätern?

Gmür: Es gibt eine Voruntersuchung auf kirchlicher Seite und dann werden Massnahmen ergriffen. Normalerweise werden sie aus dem kirchlichen Dienst entfernt, sie müssen zum Beispiel Therapien machen. Dabei lassen sich die kirchlichen Verantwortlichen von Fachpersonen aus dem Bereich der Psychologie und Psychiatrie, zum Beispiel von Täterspezialisten beraten. Ausserdem sind die Vorgaben des Strafrechts einzuhalten.

Ein neuer kirchlicher Dienst kann an Auflagen geknüpft werden.

Können solche Täter in den kirchlichen Dienst zurück?

Gmür: Eine Rückkehr in den kirchlichen Dienst hängt von der Schwere des Vergehens, dann auch von der Einsicht und dem Schuldbewusstsein des Täters ab. So ist eine Rückkehr in den kirchlichen Dienst möglich, wenn zum Beispiel ein Täter über Jahre in therapeutischer Begleitung gewesen ist und die Fachperson gegenüber dem Bischof bestätigen kann, dass Missbräuche nach menschlichem Ermessen auszuschliessen sind. Ein neuer kirchlicher Dienst kann an Auflagen geknüpft werden – zum Beispiel eine Einschränkung im Aufgabenfeld. Auch ist eine enge Begleitung wichtig.
Ist ein Täter nicht einsichtig und sich seiner Schuld nicht bewusst, so ist eine Rückkehr in den kirchlichen Dienst nicht zu verantworten. Bei sexuellen Missbräuchen gegenüber Kindern schliesse ich einen weiteren kirchlichen Dienst aus.

Die Schweizer Bischöfe wollen vermehrt auf Prävention setzen. Was heisst das für Ihr Bistum konkret?

Gmür: Prävention bedeutet in erster Linie sensibilisieren. Seelsorger müssen mit Nähe und Distanz in ihrem Beruf verantwortet umgehen können. Ich biete alle, die von mir einen kirchlichen Auftrag, also eine Missio haben, zu einem halbtägigen Präventionskurs auf. In meinem Bistum sind das etwa 1100 Seelsorgerinnen und Seelsorger, von den jüngsten bis zu den ältesten. Wenn jemand nicht teilnimmt, wird das sanktioniert, auch seitens der Anstellungsbehörde. Darum gilt der Kurs auch als Arbeitszeit.

Als Seelsorger bin ich immer für die Gestaltung der Beziehung verantwortlich.

Was lernen die Seelsorgenden in diesem Kurs?

Gmür: Als Seelsorger bin ich immer für die Gestaltung der Beziehung verantwortlich. Das heisst, ich kann nicht sagen, mein Gegenüber hätte es ja auch gewollt. Ich muss mich damit auseinandersetzen: Was ist genau das Problem von Nähe und Distanz? Wann kann ein Übergriff eher passieren und wann nicht? In welchem Umfeld muss ich aufpassen? Was geschieht, wenn ich etwas bei einem Kollegen oder einer Kollegin wahrnehme, das ein Übergriff sein könnte? Schaue ich einfach weg?

Wann beginnt denn ein Übergriff?

Gmür: Ein Übergriff beginnt da, wo die Seelsorgeperson ihre Rolle verlässt und nicht wahrnimmt, dass sie sich auf eine unerwünschte Art dem Gegenüber nähert. Das kann mit «harmlosen» Sprüchen beginnen.

Bleibt es bei diesem halben Tag?

Gmür: Für Leitungspersonen gibt es nochmals einen halben Tag, an dem sie lernen, wie sie eine Kultur der Prävention im Team, bei Mitarbeitenden ohne bischöfliche Beauftragung und den vielen Freiwilligen pflegen, und so einen wesentlichen Beitrag zur Prävention leisten. Zudem lernen sie, wie sie vorgehen müssen, wenn sie von einem Übergriff  Kenntnis haben. Da geht es um Fragen wie: Wie spreche ich die Person darauf an? Ist etwas rechtlich relevant? Diese beiden Kurse werden im Bistum Basel seit einigen Monaten durchgeführt.

Wird es Fortsetzungs- oder Wiederholungskurse geben?

Gmür: Wenn alle diese Kurse absolviert wurden, machen wir eine Auswertung. Dann werde ich nach Beratungen im Bischofsrat und im Fachgremium gegen sexuelle Übergriffe entscheiden, welche weiteren Schritte zu unternehmen sind. Das Thema wird nie abgehakt werden können. Vielmehr muss das Bewusstsein für einen professionellen Umgang von Nähe und Distanz in der Pastoral laufend geschult werden.

 


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