«Die neue Einheitsübersetzung verändert Glaubensbilder und Gottesbilder»

Zürich, 24.11.16 (kath.ch) Im Dezember erscheint eine neue Einheitsübersetzung der Bibel. Im Interview mit kath.ch erklärt Detlef Hecking, Zentralsekretär des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks, dass sich mit der neuen Übersetzung auch Glaubensinhalte verändern.  

Sylvia Stam

Wozu braucht es eine neue Einheitsübersetzung?

Detlef Hecking: Die erste Einheitsübersetzung (EÜ) wurde 1979 veröffentlicht, sie ist sprachlich etwas in die Jahre gekommen. Eine Auffrischung hat gutgetan, denn Sprache verändert sich. Zudem waren auch manche inhaltlichen Korrekturen nötig.

Was sind wesentliche Neuerungen?

Hecking: Optisch am auffälligsten ist, dass im Alten Testament der Gottesname durchgängig mit HERR für das hebräische JHWH wiedergegeben ist. Ich finde das einerseits schön, weil es zeigt, wo im hebräischen Text der Gottesname steht. Es erinnert ausserdem daran, dass Gott unverfügbar bleibt, dass wir Gott nicht einfach «haben».

Andererseits vermittelt es ein patriarchales Gottesbild.

Hecking: Ja, es zementiert leider auch ein unbiblisches männliches Gottesbild, an dem sich viele Menschen seit Langem zu Recht reiben. Die «Bibel in gerechter Sprache» hat schon vor zehn Jahren gezeigt, dass man damit auch anders umgehen kann, indem man den Gottesnamen in verschiedenen Varianten wiedergibt. Wechselnde Gottesnamen zu lesen, ist jedoch im Gottesdienst schwierig, und die EÜ ist auch ein liturgischer Text.

Die neue EÜ soll an anderen Stellen mehr Sensibilität in Geschlechterfragen aufweisen.

Hecking: Ja, am deutlichsten zeigt sich das bei Briefen im Neuen Testament. Die Anrede lautet jetzt in der Regel «Brüder und Schwestern». Wir wissen so viel über die zentrale Rolle von Frauen in den frühchristlichen Gemeinden – es gab Gemeindeleiterinnen, Gemeindeleiterehepaare – dass es überfällig war, das sprachlich sichtbar zu machen.

Ein weiteres Beispiel ist die berühmte Apostelin Junia (in Römer 16,7), die ihr Geschlecht wiederbekommen hat. In der alten Übersetzung war das ein Mann namens Junias. Aber diesen Männernamen gab es nie, das ist seit langem gesichert.

Welche Neuerungen halten Sie persönlich für wichtig?

Hecking: Man hat an vielen Stellen antijüdische Formulierungen korrigiert. Das betrifft gelegentlich den Text selbst, vor allem aber die von der heutigen Redaktion eingefügten Zwischentitel: Wo zum Beispiel bisher als Überschrift zu Johannes 12,35-50 stand «Jesu Urteil über den Unglauben der Juden», heisst es neu: «Rückblick auf das Wirken Jesu in Israel». Solche Umformulierungen gibt es viele. Das war dringend nötig, weil die Zwischentitel die Interpretation des Textes stark lenken.

Muss ich mir nun eine neue Bibel zulegen?

Hecking: Sie müssen gar nichts, aber ich empfehle das unbedingt! Denn es lohnt sich, auf Entdeckungsreise im neuen Text zu gehen. Es geht dabei nicht nur um sprachliche Erneuerung, sondern es verändern sich auch Glaubensbilder, Gottesbilder, Jesusbilder.

Die Neuerungen betreffen auch Glaubensinhalte?

Hecking: Durchaus! Theologisch interessant ist beispielweise die Stelle mit Mose am Dornbusch (Exodus 3,14). Gott stellt sich selber vor und nennt Mose seinen Namen. Die alte EÜ formuliert: «Ich bin der ‹Ich-bin-da›». Die neue EÜ ist dem hebräischen Original näher mit der Formulierung: «Ich bin, der ich bin». Die Gegenwart und Begleitung Gottes ist dadurch deutlich vorsichtiger formuliert. Und damit sind wir bei einem biblischen Kernthema: Wie begegnen wir Gott? Die neue Übersetzung ist hier ehrlicher und herausfordernder, indem sie sagt: Gott ist ein Geheimnis.

Darf man den Bibeltext, diese «Heilige Schrift», überhaupt verändern?

Hecking: Mit dem «Wort Gottes» verbinden viele Menschen das Gefühl, «das ist vom Himmel gefallen», Wort für Wort und unveränderlich. Die neue Übersetzung zeigt aber: Im Kern, schon beim Gottesnamen, verändert sich etwas. Übersetzungen sind immer Interpretationen. Das Wort Gottes kommt uns in menschlichen Worten und menschlicher Gestalt entgegen. Mit der neuen EÜ kann man lernen, dass Glauben in Bewegung ist und man ihn immer wieder neu entdecken muss. Bis ins Wort Gottes hinein.

Worauf bezieht sich das Wort «Einheit» im Begriff «Einheitsübersetzung»?

Hecking: Das meint eine einheitliche Übersetzung für alle deutschsprachigen katholischen Bistümer. Die Einheitsübersetzung ist eigentlich eine Frucht des zweiten vatikanischen Konzils, als Deutsch die Sprache in der Liturgie und damit auch für die Bibellesungen im Gottesdienst wurde.

Wird es eine Einführung in die EÜ geben, an der die Unterschiede erläutert werden?

Hecking: Ja. Gemeinsam mit dem deutschen Bibelwerk arbeiten wir an einem Begleitheft zur neuen EÜ. In der Schweiz werden wir die Einführung der neuen Übersetzung zusammen mit dem Liturgischen Institut pastoral begleiten. Wir planen Weiterbildungen für Seelsorgende, Lektorinnen und Lektoren, Religionspädagoginnen und -pädagogen und für alle weiteren Interessierten.

Detlef Hecking ist Zentralsekretär des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks und Leiter der Bibelpastoralen Arbeitsstelle.

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