«Barmherzigkeit» hat eine konkrete Bedeutung bekommen

Basel/Chur/Einsiedeln/St. Gallen, 18.11.16 (kath.ch) Und auf einmal müssen oder dürfen die Kirchen ein Extraangebot machen: Ein Heiliges Jahr der Barmherzigkeit. Nun geht das Jahr zu Ende. Die Erfahrungen in der deutschen Schweiz sind durchaus positiv, wie eine Umfrage von kath.ch zeigt.

Martin Spilker

Es war eine ordentliche Überraschung, als Papst Franziskus vor eineinhalb Jahren ein «Heiliges Jahr der Barmherzigkeit» vom 8. Dezember 2015 bis 20. November 2016 ausrief. Und er brachte damit nicht nur die Verwaltung im Vatikan in Aufregung, sondern die Kirchenverantwortlichen auf der ganzen Welt. Denn im Unterschied zu bisherigen Heiligen Jahren wie etwa im Jahr 2000 sollte dieses Ereignis nicht nur in Rom, sondern gleich überall in der katholischen Kirche gefeiert werden.

Engagement, Umkehr, Versöhnung

Ein Blick in die deutschsprachige Schweiz zeigt, dass der Auftrag, das Thema «Barmherzigkeit» unter die Leute zu bringen, auf breites Echo gestossen und gut gelungen ist. «Wir haben unsere gesellschaftspolitischen Kernthemen im Heiligen Jahr auf allen Plattformen speziell aus der Sicht der Barmherzigkeit beleuchtet», hält der Kommunikationsverantwortliche des Bistums Basel, Hansruedi Huber, gegenüber kath.ch fest. Als Beispiele nennt er die Integration von Flüchtlingen oder die Armutsbekämpfung, aber auch das Engagement gegen den organisierten Suizid.

Der Churer Generalvikar Martin Grichting stellt fest, dass dieses heute umgangssprachlich eher selten genutzte Wort «Barmherzigkeit» «für viele eine konkretere Bedeutung» erhalten habe. Nun gelte es, diesen Schwung mitzunehmen und die Chance zu nutzen, «auf eine nicht-moralisierende Art und Weise von der Umkehr, von Reue zu sprechen», so Grichting.

Überhaupt tauchen die Begriffe «Umkehr» und «Versöhnung» oft auf. «Persönlich habe ich einige sehr intensive Beichtgespräche führen dürfen mit Menschen, die das Jahr der Barmherzigkeit zum Anlass nahmen, eine schwere Lebenslast endlich bei Gott abzulegen», hält Beat Grögli, Dompfarrer der Kathedrale St. Gallen fest. In St. Gallen wurde die wie in allen Kathedralen errichtete Heilige Pforte mit einem Besinnungsweg verbunden. Damit konnten auch spontane Besucher auf das Thema aufmerksam gemacht werden.

Grosses Interesse an Seelsorgegesprächen und Beichten

Die gleiche Erfahrung machte Pater Philipp Steiner. Er ist im Kloster Einsiedeln Wallfahrtspater und war vor Ort Koordinator des Heiligen Jahres. Die Schlichtheit und doch unübersehbare Präsenz der Heiligen Pforte auf dem Klosterplatz sei ein «ausgezeichneter Werbeträger» für das weltweite Anliegen gewesen. «Es war auffällig, wie viele Leute die Heilige Pforte bewusst durchschritten haben», hat Steiner festgestellt. In Einsiedeln wurden zudem besondere Flyer ausgelegt, damit sich die Besucherinnen und Besucher auf die Beichte vorbereiten konnten.

Ein Angebot, das rege benutzt worden sei, wie der Pater erklärt. Diese Erfahrung hat den Verantwortlichen im Kloster den Anstoss gegeben, über das Heilige Jahr hinaus der Einzelseelsorge und dem Beicht- oder Versöhnungssakrament noch grössere Aufmerksamkeit zu schenken. Und auch in St. Gallen will man der persönlichen Seelsorge in der Kathedrale künftig mehr Aufmerksamkeit schenken. Auf weniger Interesse gestossen sind in Einsiedeln sogenannte Katechesen, Einführungen zu einzelnen Werken der Barmherzigkeit, die an Sonntagen angeboten wurden.

Starker Auftritt und ein Anstoss

Aus Sicht der vier Gesprächspartner war das Jahr der Barmherzigkeit ein Erfolg. In Einsiedeln zählte das Wallfahrtbüro über 1100 Pilger- und Besuchergruppen. Zahlen allein seien dafür aber nicht das wesentliche Kriterium, heisst es. Auch Martin Grichting hält fest, dass die Zahl der Veranstaltungen in Pfarreien und Gemeinschaften die Erwartungen im Bistum Chur übertroffen habe. Die Erfahrungen aus vielen Gesprächen hätten den Seelsorgern gezeigt, dass «es noch viel Glaube gibt, auch in der Kirche in unserem Land», so Grichting.

Das Thema «Barmherzigkeit» muss die Kirche nun aber über das Heilige Jahr hinaus für ihr eigenes Reden und Handeln zum Kriterium machen», folgert Pater Philipp Steiner im Rückblick. Denn der Erfolg des Heiligen Jahres sei zuerst «in der Qualität des geistlichen Lebens der einzelnen» zu finden.

«Barmherzigkeit» bleibt als Schwerpunkt gesetzt

Hansruedi Huber vom Bistum Basel spricht zusammenfassend ganz einfach von einem «starken Auftritt der Kirche und der richtigen Botschaft in einer geopolitisch wirklich schwierigen Zeit». Durch die Berichterstattung über das Heilige Jahr habe die Kirche als Ganzes ein «Lichtzeichen» setzen können. Mit Blick in die Öffentlichkeit stellt auch der St. Galler Dompfarrer Beat Grögli fest: «Die Kirche – vor allem der Papst in seinen barmherzigen Zeichen und Gesten – wird auch in der Gesellschaft wieder viel positiver wahrgenommen.»

Damit ist nach Abschluss des Heiligen Jahres aber nach Meinung von gemäss Martin Grichting nicht einfach Schluss. Vielmehr sei so eine Grundlage für künftiges Wirken geschaffen: «Ich denke, das Thema Barmherzigkeit ist für Jahre gesetzt.»

Ein Blick zurück auf einige Höhepunkte des Heiligen Jahres

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/barmherzigkeit-hat-eine-konkrete-bedeutung-bekommen-und-ist-fuer-jahre-gesetzt/