Hitler-Attentäter Bavaud in der Tradition des Tyrannenmords

Freiburg i.Ü., 10.11.16 (katch.ch) «Schade, dass es ihm nicht gelungen ist», sagte der Westschweizer Bischof Charles Morerod über den Schweizer Hitler-Attentäter Maurice Bavaud. Dieser wurde 1941 durch die Nazis hingerichtet. Eine Gedenkveranstaltung für den Mann, der am 9. November 1938 Hitler zu töten versuchte, fand am Mittwoch in Freiburg statt.

Georges Scherrer

Rochus Misch gehörte zu Hitlers Leibwache. In einem Buch des Journalisten Nicolas Bourcier beschreibt Misch seinen Dienst in unmittelbarer Nähe des «Führers». Schenke man diesem Bericht Glauben, so stelle man fest, dass Misch nichts über die Gräueltaten des Dikators wusste, sagte Morerod und ergänzte in seinem Votum an der Gedenkeier: «Wenn man zu nah ist, sieht man vielleicht nichts. Bavaud hat gesehen.» Der Bischof verwies auf Stellen in den Tagebüchern des Hitler-Propaganda-Chefs Joseph Goebbels, wo von der Vernichtung der christlichen Religionen die Rede ist.

Papst Johannes Paul II. bezeichnete bei einer Gedächtnisfeier im Römer Kolosseum das 20. Jahrhundert als das Jahrhundert der Märtyrer. Zu diesen gehörten nicht nur Katholiken. Morerod benützt darum den Ausdruck «Ökumenismus der Märtyrer». Als solche hätten sich bei weiten nicht alle Kirchenleute im Europa der 40er Jahre erwiesen. Viele hätten das Nazitum mit «Begeisterung» begrüsst. Der Theologe Bavaud gehöre aber zu jenen, welche die Ehre der katholischen Kirche gerettet haben. «Dafür müssen wir ihm dankbar sein», erklärte der Westschweizer Bischof. Er bedauerte in Freiburg. dass das Attentat misslang.

Tyrannenmord aus katholischer Sicht

Die Gedenkfeier wurde vom Freiburger Kirchenhistoriker Mariano Delgado und dem «Komitee Maurice Bavaud» organisiert. Gegenüber dem Volksgerichtshof der Nazi rechtfertigte Maurice Bavaud seinen Attentatsversuch auf Adolf Hitler, weil er fest davon überzeugt war, «der Menschheit und der gesamten Christenheit einen Dienst zu erweisen», sagte Delgado an der Feier. Der Fall stelle für die Kirche die schwierige Frage des Tyrannenmordes.

Delgado wies auf Thomas von Aquin und das Konzil von Konstanz hin. Thomas habe den Tyrannenmord unter gewissen Vorgaben gerechtfertigt. Das Konzil habe sich «für eine sehr restriktive Handhabung des Widerstandsrechts bei den legitimen Herrschern, die tyrannisch regierten», ausgesprochen. Der Jesuit Juan de Mariana hiess im 17. Jahrhundert die Ermordung des mit dem Protestantismus sympathisierenden Heinrich III. am 1. August 1589 durch den jungen Dominikaner Jacques Clément als Tyrannenmord gemäss Delgado gut.

Einmischungsrecht des Papstes

Auch der Jesuit Francisco Suárez äusserte sich zum Thema. Die Art und Weise, wie Suárez den Tyrannenmord sah, habe «das katholische Denken bis in die Zeit des Nationalsozialismus hinein geprägt», sagte Delgado. Nicht der präsumierte Volkswille, wie er bei Bavaud anklinge, durch eine Privatperson, sondern die ausdrückliche Genehmigung des katholischen Widerstandes durch den Papst sei für Suárez das wirklich Entscheidende. Suárez habe das «indirekte Einmischungsrecht des Papstes in weltliche Angelegenheiten» betont.

Ausführlich mit dem Schicksal des Schweizers hat sich der Münchner Historiker Martin Steinacher im Buch " Maurice Bavaud – verhinderter Hitler-Attentäter im Zeichen des katholischen Glaubens? " auseinandergesetzt. Der Autor geht davon aus, dass der verzweifelte Aufruf vom damaligen Papst Pius XI. am 29. September 1938 zum Frieden in Europa den «tiefgläubigen Katholik Bavaud» in seinem Entschluss bestärkte. Einige Tage später soll gemäss Steinacher Bavaud mit seinen Reisevorbereitungen für München begonnen haben.

Respekt und Bewunderung

Der Kirchenhistoriker Delgado sieht die Tat Bavauds auch in der kirchlichen Tradition motiviert. Es stimme, dass der Tyrannenmord in der katholischen Theologie «durch Jahrhunderte eine offene Frage war», wie Steinacher betone. «Aber darin lassen sich durchaus Spuren finden, die nicht ohne Einfluss auf Maurice Bavaud gewesen sein dürften», erklärte Delgado.

Der Entschluss zum Attentat, den Bavaud vor dem Hintergrund der katholischen Tradition des Tyrannenmordes gefasst habe, sei eine Gewissensentscheidung, «in die wir nicht ganz hineinblicken können, aber die nicht zuletzt im Lichte der unermesslichen Verbrechen des Nationalsozialismus nach 1938 nicht nur unseren Respekt verdient, sondern auch unsere Bewunderung als prophetisches Zeichen», erklärte Delgado zum Abschluss seines Statements.

 


 

Bischof Morerod würdigt Hitler-Attentäter Maurice Bavaud

 

 

 

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