Tod, Trauer und Andenken im digitalen Zeitalter

Zürich/Weggis LU, 30.10.16 (kath.ch) Das Internet hat den Umgang mit Tod, Sterben und Andenken an Versorbene nachhaltig verändert. Es verstärkt zwei Trends: Der Verstorbene lebt auf Online-Friedhöfen ewig weiter. Anderseits sind Segensrituale in der Natur gefragt und besonders schöne Friedhöfe sind vielbesucht.

Vera Rüttimann

Der Alltag vieler Menschen heute ist digital. Vor allem Facebook ist als soziales Netzwerk nach wie vor kaum wegzudenken. Es hat zweifellos die Art und Weise geändert, wie wir unter Freunden kommunizieren und neue Kontakte knüpfen.

Status «Gedenkzustand»

Ein Thema jedoch ist noch immer tabu: Was passiert eigentlich mit unserem Facebook-Profil nach unserem Ableben? Und: Für wen sollen unsere zeitlebens sorgfältig gepflegten digitalen Identitäten sichtbar bleiben? Solche  Fragen werden immer drängender, denn in der Schweiz sterben statistisch jährlich 3000 Facebook-Mitglieder.

Für wen sollen digitale Identitäten sichtbar bleiben?

Facebook hat längst reagiert und hat neue Tools kreiert: Nach dem Tod eines Users lässt sich dessen Profil in den «Gedenkzustand» versetzen. Das Profil ist dann nur noch für die Facebook-Freunde des Toten einsehbar. Familienangehörige und Freunde können jedoch weiter Posts anbringen.

Seit einiger Zeit kann jeder User zudem einen befreundeten Facebook-User auswählen, der im Falle seines Ablebens den eigenen Account weiter pflegt. Der Facebook-Nachlassverwalter kann zwar nichts Neues auf die Pinnwand des Verstorbenen posten, dafür kann er unter anderem neue Freundschaftsanfragen managen oder das Titelbild ändern.

Digitale Nachlassverwalter

Das Start-Up Willook bietet die App If I die an. Mit dem kann man einen Text oder ein Video erstellen und nach dem Tod auf Facebook posten lassen. Falls der Account doch ganz gelöscht werden soll, müssen die Angehörigen die Zugangscodes kennen. So oder so wird Facebook – zusammen mit anderen sozialen Netzwerken – dereinst wohl zu einem gigantischen virtuellen Friedhof heranwachsen.

Das digitale Zeitalter hat die Trauerkultur verändert

Wenn jemand gestorben war, kamen die Menschen bislang meist zu einem bestimmten Ort, um gemeinsam auf einem Friedhof zu trauern. Das digitale Zeitalter hat die Trauerkultur jedoch tiefgreifend verändert: Der Verstorbene lebt auf Online-Friedhöfen auf alle Ewigkeit weiter und kann auf Webseiten als Online-Urne oder Grabstein betrauert werden.

Ob das pietätlos, sinnvoll oder einfach zeitgemäss ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Eine digitalisierte Gedenkkultur wie sie etwa in den USA schon länger mit multimedial aufgepeppten Trauer-Contests besteht, hat sich hierzulande zwar noch nicht etablieren können, dennoch ist sie auch hier längst angekommen. (Siehe Text in der Spalte rechts.)

Immer und überall erreichbar

Der Soziologe Thorsten Benkel, der an der Universität Passau zu den Themen Sterblichkeit und Friedhof forscht, sieht die Vorzüge eines Online-Grabes darin, dass es überall erreichbar ist. Das sieht auch Martina Franck so. Die Religionspädagogin und Ritualbegleiterin sagt: «Auf einem virtuellen Friedhof ist die Trauer nicht mehr an einen Ort gebunden. Freunde oder Familie, die beispielsweise im Ausland sind, können immer und überall mittrauern.»

Für die 48-Jährige sind Online-Grabstäten eine zeitgemässe Form, wenn sich Angehörige mit Fotos und Videos virtuell über einen Verstorbenen austauschen wollen.

Gemeinsames Trauern geht verloren

Auf der anderen Seite ist Martina Franck von Online-Gedenkstätten nicht restlos überzeugt. Für die gebürtige Deutsche, die seit Jahren in Weggis eine Praxis für psychologische Beratung und Körpertherapie führt, geht dadurch die Kultur des sich Begegnens im gemeinsamen Trauern ein grosses Stück verloren. Sie sagt: «Sich berühren, sich tröstend in die Arme nehmen und sich in die Augen schauen, all das kommt bei Online-Bestattungen nicht zum Zuge.»

Die körperliche Dimension hält Martina Franck für sehr wichtig bei einem Trauerprozess. Eine digitale Beerdigung ersetzte  für sie niemals die wärmendende Gemeinschaft von Trauernden am Grab.

Gefragt sind Segensrituale

Im Zuge der Digitalisierung unseres Alltages erlebt Martina Franck einen Gegentrend: Ihre Kunden wünschen sich für Lebenszäsuren wie Taufe und Tod gemeinschaftsspendende Rituale in der Natur. Martina Franck nennt Beispiele wie Baumgräber: Trauernde Angehörige können sich bei Anbietern wie FriedWald einen Baum kaufen und die Asche darunter bestatten oder Bestattungen, bei denen die Asche zusammen mit Rosen im Vierwaldstättersee ausgestreut wird.

Diese Feiern sind vielleicht echter, weil lebensnaher

Die Religionspädagogin sagt: «Diese  Rituale wünschen sich Menschen, die keinen engen Bezug mehr zur Kirche haben. Diese Feiern können jedoch genauso tiefgreifend und tröstend, sein, wie in einer Kirche. Möglicherweise sogar noch echter, weil sie lebensnaher sind.»

Oft erlebt sie dies bei Kindersegnungen. Zu ihr kommen kirchenferne Paare, die sich für ihr Kind jedoch ein Segensritual wünschen. Ähnlich wie bei einer Taufe, wird es mit Symbolen wie Wasser, Segensgesten und guten Wünschen verbunden. Meist findet das Segensritual in Verbindung mit dem Pflanzen eines Baumes statt.

Friedhöfe werden nach wie vor geschätzt

Martina Franck glaubt nicht, dass Friedhöfe ganz verschwinden werden: «Ich glaube nur, dass durch das digitale Grab möglicherweise seltener Leute zum echten Grab gehen. Das finde ich schade.» Friedhofverwalter und Gärtner von ausgesprochen schönen Friedhöfen wie etwa in Uster, Rheinfeldern oder dem Sihlfeld in Zürich-Wiedikon machen jedoch andere Erfahrungen: Sie werden von Besuchern als sinnliche und seelisch erholsame Räume in offener Natur geschätzt.

Der QR-Code im Grabstein

Und sie  bieten immer etwas fürs Auge: Neuerdings werden auf Friedhöfen nicht nur alte Grabplatten und filigrane Engelsfiguren bewundert, sondern auch Grabsteine, in die tatsächlich ein Smartphone oder gar ein Laptop eingearbeitet wurde.

Zu den neuesten Trends gehört auch das Eingravieren eines QR-Codes, der mit der Handykamera gelesen werden kann und direkt zum Totengedenken ins Netz führt.

Wollen wir ewig leben?

Kritiker des digitalen Gedenkens fragen: Ist dieses ewige virtuelle Trauern überhaupt heilsam? Und: Ist das Leben nur sinnvoll, wenn man im Netz digitale Spuren hinterlässt? Diese Fragen stellt auch das Buch Delete: Die Tugend des Vergessens in digitalen Zeiten des Harvard-Professor Viktor Mayer-Schönberger. Die Grundthese darin lautet: Wer sich ständig überall an alles erinnert, ist unfähig, sich im Hier und Jetzt zu bewegen.

Der Jurist und Internetspezialist plädiert daher für die «Tugend des Vergessens» und für ein Ja zur Gegenwart. Ihm gefallen Internetdienste, bei denen man Fotos hochladen kann, die ein Verfallsdatum haben.

Nach dem Todesfall nicht in ewigem Gedenken versinken

Auch Martina Franck glaubt, dass man nach einem Todesfall nicht in ewigem Gedenken versinken darf, sondern eine neue Wahl treffen soll: Das Ja für das Leben. Die Religionspädagogin ist überzeugt: «Ich glaube, Trauer braucht seine Zeit und die jeweilige Form dafür sucht sich jeder Mensch selber aus. Gemeinschaftliche Trauerformen hatten schon immer eine grosse tröstende Kraft.»

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