«Wir haben Frauen unterschiedlicher Religionen stärker vernetzt»

Bern, 1.10.16 (kath.ch) Am 25. September fand im Haus der Religionen in Bern unter dem Motto «Stand up!» ein interreligiöses Frauenparlament statt. Die beteiligten Frauen unterschiedlicher Religionen beschäftigten sich mit ihrer Position in Gesellschaft und religiöser Gemeinschaft und fragten sich, wie die Vielfalt und Verbundenheit religiöser Frauen gesellschaftlich besser sichtbar gemacht werden könne. Das erzählt die katholische Theologin Angela Büchel Sladkovic im Gespräch mit kath.ch. Sie leitete die Tagung gemeinsam mit der Journalistin Heidi Rudolf.

Regula Pfeifer

Am letzten Sonntag fand in Bern ein interreligiöses Frauenparlament statt. Wie viele und was für Frauen sind gekommen?

Angela Büchel Sladkovic: Wir waren knapp 90 Frauen, wovon rund ein Drittel einer nicht-christlichen Religion angehörte. Das ist angesichts der statistischen Zahlen zur Religionslandschaft Schweiz eine überdurchschnittliche, erfreuliche Vielfalt. Vor allem die Musliminnen waren gut vertreten. Teilgenommen haben ausserdem Alevitinnen, Hindu, Jüdinnen, Buddhistinnen und Bahai.

Das Motto Ihres Treffens hiess «Stand up!»

Büchel Sladkovic: Unser erstes interreligiöse Treffen vor zwei Jahren in Basel war ein Begegnungstag mit interreligiös geleiteten Workshops. Diesmal luden wir zu einem Frauenparlament ein unter dem Titel «Stand up!». Es ging ums Aufstehen, füreinander eintreten und sichtbar Verantwortung übernehmen. Wir stellten also den gesellschaftlich-politischen Akzent stärker in den Vordergrund. In der Vorbereitung waren wir im Kontakt mit einzelnen Politikerinnen, die wegen der Session aber nicht teilnehmen konnten.

Wir stellten diesmal den gesellschaftlich-politischen Akzent stärker in den Vordergrund.

Die US-Botschafterin in Bern war als Referentin eingeladen. Weshalb? Was brachte sie ein?

Büchel Sladkovic: Die Verbindung zu Suzan LeVine ergab sich eher zufällig. LeVine ist sehr interessiert am interreligiösen Gespräch und hat sofort zugesagt. Im Frauenparlament eröffnete sie den Reigen der drei Inputs und brachte die jüdische Stimme ein. Das wurde deutlich sichtbar, als sie zu Beginn ihrer Rede den Schofar blies, ein traditionelles jüdisches Instrument. Am Beispiel ihres Engagements für den Aufbau einer offenen jüdischen Gemeinde in Seattle und ihrer politischen Tätigkeit zeigte sie die grosse Bedeutung der Vielfalt auf. Der Prozess sei manchmal schwieriger, aber die Ergebnisse seien besser, meinte sie. Und sie erklärte Strategien, wie Frauen sich im politischen Diskurs gegenseitig stärken können.

Wer waren die anderen Referentinnen?

Büchel Sladkovic: Ein weiteres Referat hielt die Juristin Laavanja Sinadurai. Die Schweizerin mit tamilischen Wurzeln ist auch politisch aktiv: Sie wurde in Köniz BE ins Gemeindeparlament gewählt. Deniz Yüksel, Islamwissenschaftlerin aus Zürich, analysierte Bedingungen und Schwierigkeiten des Dialogs.

Wie diskutierten die beteiligten Frauen die aktive Teilnahme in den religiösen Gemeinschaften, in Politik und Gesellschaft?

Büchel Sladkovic: Die Frauen hatten in den Workshops am Nachmittag unter anderem die Aufgabe, sich in einem Kreis zu positionieren. Stehe ich in meiner Gemeinschaft eher am Rand oder im Zentrum, auf der Schattenseite oder im Scheinwerferlicht? Verändert sich meine Stellung, wenn ich mich gesellschaftlich positioniere? Und wenn ich mich an die Stelle meiner Mutter oder Tante stelle – hat sich da über die Generationen etwas verändert?

Wir wollten aber nicht nur das Bewusstsein stärken, wo wir stehen, sondern auch schauen, wo wir hinwollen. Die rechtliche Anerkennung der Religionsgemeinschaften in den Kantonen war ein Thema. Aber auch die Frage, wie die Vielfalt und Verbundenheit religiöser Frauen gesellschaftlich besser sichtbar werden kann. Konzentriert sich doch in der öffentlichen Diskussion vieles in negativer Weise auf die Musliminnen.

Wir wollten unser Bewusstsein stärken und schauen, wo wir hinwollen.

Gab es je Religionsgemeinschaft unterschiedliche Positionen der Frauen oder unterschiedliche Schwierigkeiten, um aktiv zu werden?

Büchel Sladkovic: Auf jeden Fall. Als Tagungsorganisatorin habe ich die Diskussionen in den Workshops leider nur am Rande mitgekriegt. Es ging ja um die Frage, welchen konkreten Schritt man gemeinsam gehen will. Die muslimische Gruppe beispielsweise war sehr gemischt. Da waren Sunnitinnen, Schiitinnen, Ahmadyya-Frauen und Konvertitinnen mit dabei, viele Nationalitäten, Migrantinnen der ersten und der zweiten Generation… In dieser Konstellation in kurzer Zeit ein Ergebnis zu erzielen ist nicht einfach. Die muslimischen Frauen haben ausgemacht, sich über die konfessionellen und ethnischen Gruppen hinweg ein- bis zweimal jährlich zu treffen. Das wird nicht einfach sein, da die Frauen schon vielfach engagiert sind und finanziellen Ressourcen und strukturelle Unterstützung fehlen.

Haben einzelne Frauen am Schluss ihren Willen kundgetan, in die Politik einsteigen zu wollen?

Büchel Sladkovic: Nein, das war ja auch nicht das Ziel. Es haben sich aber junge Frauen gemeldet, die bei der Organisation des nächsten Frauenparlaments in zwei, drei Jahren mitwirken wollen. Das ist erfreulich: Unser Vorbereitungsteam wird grösser, bunter und jünger!

Ein Einstieg in die Politik war nicht das Ziel.

Was beschloss das Frauenparlament in der Resolution, die angekündigt war?

Büchel Sladkovic: Während der Vorbereitungen haben wir die Idee einer Resolution zugunsten einer Selbstverpflichtung aufgegeben. Wir strebten nicht Forderungen an «die Politik» an, sondern ein gemeinsames verbindliches Weitergehen unsererseits. In der Schlussrunde diskutieren wir intensiv die Idee eines gemeinsamen Gefässes, das religiöse Frauen auf nationaler Ebene sichtbar macht und beispielsweise eine Teilnahme an den Vernehmlassungen ermöglichen würde. Konkrete Schritte konnten leider nicht aufgegleist werden.

Was hat diese Tagung gebracht – Ihnen und anderen?

Büchel Sladkovic: Das Ziel, öffentlich sichtbar zu werden und Frauen unterschiedlicher Traditionen stärker zu vernetzen, haben wir sicher erreicht. Mir hat es Freude gemacht, mit vielen unterschiedlichen Frauen in Kontakt zu sein. Es war viel Energie zu spüren.

Die Rückmeldungen waren positiv. Die Pfarrerin Magdalena Zimmermann von Mission 21 beispielsweise berichtete, wie sie der Erfahrungsaustausch in ihrem Workshop berührt habe. Viele hätten ähnliche Erfahrungen von Flucht, Angst und Fremdsein gemacht und trügen in sich eine tiefe Sehnsucht nach einem friedlichen Leben. An unserem Anlass hat dies eine Teilnehmerin folgendermassen auf den Punkt gebracht: «Wir glauben unterschiedlich, aber unsere Hoffnung auf eine bessere Welt verbindet uns.»

Wie geht es weiter?

Büchel Sladkovic: Wir ziehen ein erstes Fazit und erledigen organisatorische Nacharbeit. Dann wird es darum gehen, darüber hinaus zu schauen und die Idee des gemeinsamen Weitergehens verbindlich weiter zu verfolgen…

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