Tatort zum «Freitod» – Sterben vor laufender Kamera

Luzern, 19.9.2016 (kath.ch) Mit dem «Tatort» zum «Freitod» wagt sich das Schweizer Fernsehen SRF auf ein Gebiet, das im deutschsprachigen Europa sehr umstritten ist. Der TV-Film von Sabine Boss zeigt die verschiedenen Positionen zur Sterbehilfe und geht dem Dilemma nach, das sich aus dem «Freitod vor laufender Kamera» ergibt. Das ist eine starke Leistung, meint Charles Martig, Direktor des Katholischen Medienzentrums, in seiner Medienkritik.

Mit stimmigen Bildern steigt Sabine Boss in ihr Thema ein. Ein Zimmer wird vorbereitet, ein Glas bereitgestellt und eine Kerze angezündet. Zwei Frauen treten ins Zimmer, die sich als Mutter und Tochter zu erkennen geben. Eine schriftliche Erklärung wird von Frau Aichinger unterschrieben. «Mir ist nicht kalt, Kind», sagt die Deutsche Staatsbürgerin, als die Tochter sie zudecken will. Die Frau nimmt ein Präparat ein und stirbt vor laufender Kamera. Eine Stebehelferin hat den Vorgang auf Video aufgezeichnet.

Legitimation des Todes

Was wie ein Dokumentarfilm beginnt, ist in Wahrheit ein Kriminalfilm (zum Inhalt siehe rechte Spalte). Das Tatort-Format gilt als wichtiger Seismograph für gesellschaftliche Themen. Tatsächlich wird das Thema «Freitod» in der Gesellschaft sehr kontrovers diskutiert. Zudem belastet der sogenannte «Sterbetourismus» die Beziehungen zwischen der Schweiz, Deutschland und Österreich. Hier hat der «Tatort» als gemeinsam produziertes Format von SRF, ARD und ORF auch eine Brückenfunktion.

Sehr geschickt vernüpft das Drehbuch von Josy Meier und Eveline Stähelin verschiedene Arten des Todes. Es geht dabei nicht nur um das Faktum, sondern vor allem um die Legitimation. Wie begründen die Akteure, dass sie sterben wollen? Wer unterstützt sie und mit welchen Argumenten? Wer stellt sich dagegen und bringt dabei «Gott» ins Spiel? Die Leistung dieses TV-Films ist zuerst einmal die gelungene Auslegeordnung. Verschiedene Positionen werden zueinander in Beziehung gesetzt. Der Konflikt zwischen Sterbehelfer und Sterbeverhinderer treibt diesen Tatort voran. Im Laufe der Ermittlungen wird immer deutlicher, dass es um die Trennlinie zwischen freiwilligem und unfreiwilligem Sterben geht.

Christliche Lebensschützer

Die Sterbehilfeorganisation «Transitus» begründet ihre Hilfeleistung mit den Argumenten eines würdevollen und selbstbestimmten Todes. Das Argument der Freiheit, selbst den Ort und den Zeitpunkt des eigenen Todes zu bestimmen, hat in einer aufgeklärten, modernen Gesellschaft sehr starke Befürworter. Es stösst jedoch dort an Grenzen, wo der persönliche Entscheid auf die Rechte anderer Menschen trifft, wie zum Beispiel bei Familienmitgliedern. Der Tod wird damit auch ein soziales Faktum, das nicht nur von der Selbstbestimmung des Einzelnen abhängt.

Die moralisierende Seite des Diskurses ist durch die christliche Lebensschutz-Organisation «Pro Vita» vertreten. Dass nur Gott über Leben und Tod entscheiden kann, ist ein klassisches theologisches Argument. Es handelt sich aber auch um einen Fehlschluss, weil hier die Freiheit des Menschen nicht berücksichtigt und die Fremdbestimmung absolut gesetzt wird. Zumeist wird in diesen Kreisen von «Suidzid-Beihilfe» oder «Selbstmord» gesprochen, was den Betroffenen nicht gerecht wird und sie diskriminert. Etwas überladen wirkt dieser «Tatort» in dem Moment, als dem Pro-Vita-Chef auch noch eine Beziehungsgeschichte mit seiner Sekretärin untergejubelt wird. Mit Abtreibung hat der Familienvater offensichtlich keine Probleme, auch wenn er sich lautstark für das Recht auf Leben einsetzt. Die Botschaft ist klar: Alle haben Dreck am Stecken und wer den ersten Stein wirft, sollte besser mal bei sich selber aufräumen, bevor er moralisiert.

Wenn der Tod fasziniert – Sterben vor laufender Kamera

Sehr stark ist der Tatort «Freitod» dort, wo er der Zuschauerin und dem Zuschauer den Spiegel seines eigenen Voyeurismus vorhält. Es gibt eine Faszination für den Tod, der in bewegten Bildern gezeigt wird. So ist jeder Krimi-Fan auch immer in das Schauen von Mord und Aufklärung eingebunden. In dieser Folge erweist sich die Sterbehelferin Nadine Camenisch (Anna Schinz) als Krankenschwester, die zum Todesengel wird. Sie ist fasziniert von den Video-Bildern, in denen Menschen ihre letzten Augenblicke durchleben und das Leben aushauchen. In diesen Bildern des Todes fühlt sie sich dem Leben ganz nahe. Es sind Momente hoher Emotionalität. Dass Nadine am Ende ein giftiges Präparat einnimmt und sich selbst mit dem Smartphone dabei filmt – sozusagen in Direktübertragung sterben will – spitzt diese Form des medialen Sterbens nochmals zu. Realität und «echte Gefühle» scheinen nur noch in der medialen Vermittlung möglich. Im Freitod sind wir ganz selbstbestimmt, aber auch nur dort, wo andere Menschen bei uns sind und zuschauen. Diese Faszination für den «Freitod vor laufender Kamera» in die schwerwiegende Debatte um Sterbehilfe einzubringen, braucht Mut. Das ist die Leistung dieses Tatorts, der mehr ist als ein gewöhnlicher Krimi. Er stellt die Frage nach der Sterbehilfe im medialen Zeitalter neu. (cm)

Schweizer Tatort: Freitod (SRF, das Video ist nur sieben Tage in der Mediathek verfügbar)

Sterben wann ich will? Der philosophische Stammtisch (Sternstunde SRF)

Vom Sterben heute – Die aktuelle Ausgabe des reformierten Magazins «bref» (17/2016) zum Thema Freitod

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/tatort-zum-freitod-sterben-vor-laufender-kamera/