Fliegende Kondome am «Marsch fürs Läbe»

Bern, 18.9.16 (kath.ch) Zum siebten Mal hat am Samstag der «Marsch fürs Läbe» stattgefunden. Erstmals in Bern und erstmals stand er still. Von Marsch war keine Rede. Die erwartete Gegendemonstration stand ebenso bereit zum Kampf wie die Anhänger «fürs Läbe».

Francesca Trento

Ausnahmezustand in Bern. Am Hauptbahnhof stehen Polizisten in voller Montur. Breitbeinig. Bereit gegen ein kommendes Unheil zu treten. Hooligans zum Beispiel. Doch keine Fussballfans werden erwartet. «Ja, wir sind hier wegen dem ‘Marsch fürs Läbe'», geben die Polizisten zu.

Auf dem Weg zum Bundesplatz leuchten Schilder in orange: «Der Bundesplatz ist am Samstag von 13:00-18:00 gesperrt», steht darauf. Und wie kommt man an den «Marsch fürs Läbe»? «Sie müssen sich am Eingang kurz vorstellen, sagen, was Sie dort wollen. Dann lässt man Sie rein oder nicht», sagt eine Polizistin. Auch sie steht angriffsbereit, mit bedrohlichem Blick wie alle anderen. Doch: wo bleibt die Bedrohung?

«Mein Körper, meine Entscheidung»

Der Bundesplatz ist umzäunt. Es gibt nur einen Eingang. Dort wimmelt es von gepanzerten Polizisten. Mit Helmen und Schildern gewappnet. Blaue Lieferwagen mit noch mehr Hemen und Schildern im Gepäckraum stehen da. In orange Westen gekleidete Menschen fragen einen, wohin man gehen wolle, beäugen einen kritisch, durchsuchen die Taschen und lassen einen dann rein. Wieso dieser Aufwand? Für eine Demo, die sich für das Leben einsetzt?

Doch innert ein paar Minuten ändert sich die Stimmung schlagartig. Es wird lauter. Pfiffe, Rufe, Geschrei nähern sich dem Eingang. Eine Masse zwängt sich durch die Strasse zum Bundesplatz, ein beschriftetes Leintuch vorantragend. «Mein Körper, meine Entscheidung.» Ein paar «Marsch fürs Läbe»-Sympathisanten vor dem Eingang rennen los, um sich hinter den Absperrungen und den Polizisten in Sicherheit zu bringen. Eine Art Jesus in weiss gekleidet läuft ihnen entgegen, hält ein Kreuz in die Luft.

«We are against killing people»

Auf dem Bundesplatz haben sich laut dem Organisationskomitee (OK) der Veranstaltung etwa 1’700 Menschen versammelt. Einige halten Fahnen und Schilder in die Luft. Alte und junge Menschen, Jugendliche und Kinder stehen entschlossen mit Blick auf die Bühne gerichtet da. Aus der ganzen Schweiz sind sie hergereist. Auch «Prolife»-Gruppen aus Deutschland, Polen und Österreich sind da. Ein Bus der polnischen «Prolife»-Jugendgruppe wird mit lautem Beifall willkommen geheissen, als er mit Verspätung einfährt. «We are against killing people», erklärt ein junger Pole gegenüber kath.ch. «Wir sind gegen das Töten von Menschen.» Seine Freundin fügt hinzu: «Uns ist das Anliegen ebenso wichtig wie diesen Menschen hier in der Schweiz. Dafür nehmen wir diesen Weg in Kauf.»

Fliegende Kondome

Auf der Bühne spielt Musik. Die Gegendemo ist jetzt noch näher. Es wird lauter. Polizisten schirmen den Bundesplatz ab. Es fliegen mit Wasser gefüllte Kondome, Karotten, Plastikteile – und nochmals Kondome. OK-Präsident Daniel Rigli schreit ins Mikrofon: «Wir lassen uns nicht von ihnen beirren», und zeigt auf die Gegendemonstranten. Es wird noch lauter.

«Ist schon komisch», meint der katholische Pfarrer Thomas Rellstab. «Die Polizei muss eine Demonstration für das Leben beschützen.» Als Programmdirektor von «Radio Maria» ist er anwesend, um den «Marsch fürs Läbe» live im Radio zu übertragen. In der Nähe steht eine Frau an der Absperrung und ruft den Gegendemonstranten mantrahaft Gebete entgegen. Hören tut sie niemand.

Auf dem Programm stehen neben Musik, der Begrüssung durch den OK-Präsidenten und den immer gleichen Sätzen «Wir sind für das Leben» auch zwei Erlebnisberichte. Frauen, denen während der Schwangerschaft mitgeteilt wurde, ihr Kind sei behindert – und die das Kind trotzdem auf die Welt brachten. «Die Ärzte sagten mir, das Kind sei es nicht wert, zu leben. Doch ich entschied mich dagegen. Und das war richtig.» Tosender Applaus.

Ein Mann mit Saxophon sagt: «Ich bin für jedes Leben, denn jedes Leben könnte auch ein Talent mit sich bringen.» Er zeigt auf sein Instrument. Eine Frau, die beim Singen die Hände in die Luft hält – wie auch viele andere – sagt bestimmt: «Nicht wir dürfen über Leben und Tod entscheiden, sondern das tut Gott.» Der Ruf des Marschs, der zwar stillstand, war tosend. Er musste es sein. Denn die Gegendemo wollte die Reden und Predigten übertönen – ohne Unterbruch. Ohrenbetäubend.

Sabbat-Marsch

«Nicht nur die Polizisten haben uns den Marsch verweigert. Sondern auch Gott», brüllt die reformierte Pfarrerin Sabine Aschmann ins Mikrofon. Es sei der siebte «Marsch fürs Läbe». Ein Sabbat-Marsch. «Wir sind das Salz der Erde», brüllt sie weiter. «Das Fleisch – das Volk – ist nur verrottet, wenn das Salz schlecht ist. Lasst uns wieder gutes Salz sein!» Standingovation im Publikum. Pfiffe und Getöse von der Gegendemonstration.

«Wir sind gegen Abtreibung», sagt ein andere junger Mann in Begleitung seiner Freundin zu kath.ch, «weil das Leben schon vor der Geburt da ist. Das Wort ‘Fötus’ kommt aus dem Lateinischen und heisst Frucht. Das ist Leben. Von Anfang an, wie es Gott erschaffen hat.» Hinter dem Paar steht ein Tisch, auf dem Früchte verkauft werden.

Auch ein Politiker spricht sich auf der Bühne für das Leben aus. Alt-Nationalrat Jean-Pierre Graber prophezeit eine dunkle Zukunft. Er kritisiert den Abstimmungsentscheid zur Präimplantationsdiagnostik vom vergangenen Juni. «Unsere Gesellschaft geht mit dieser Entscheidung der Eugenik entgegen, der darwinistischen Selektion. " Er prophezeit, dass Ärzte bald unter so starkem Druck des Volkes stünden, dass sie nur noch makellose Embryonen zulassen würden. Tosender Applaus. Ein Schwall von Booh-Rufen tost von der Gegenseite. Weitere Kondome fliegen.

Zum Schluss bittet Zukunft.ch-Geschäftsführerin Beatrice Gall-Vollrath alle auf die Knie. «Lasst uns zusammen für unsere Sünden beten. Dass wir abgekommen sind, vom Willen Gottes.» Das Publikum verstummt. Geht in die Knie. Alle beten. Und das Unmögliche geschieht: Auch die Gegendemonstration verstummt. Es wird still.

 

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