Jugendliche schwitzen im Containerbus, als wären sie selbst auf der Flucht

Biel, 13.9.16 (kath.ch) «Stand up for refugees», so lautete das Motto des 16. Jugendtreffens im Bistum Basel, an dem am Sonntag in Biel über 800 Jugendliche teilgenommen haben. Am Treffen erfahren sie, wie Flüchtlingshelfer Leben retten und erleben am eigenen Leib, was es heisst, in einem Lastwagen eingepfercht reisen zu müssen.

Vera Rüttimann

Das Video während des Gottesdienstes im Volkshaus in Biel zeigt einen Mann in Lederjacke über der schwarzen Soutane; er steht lachend auf einem Platz in Holms. Aufmerksam verfolgen Firmlinge, Ministranten, Jubla-Kinder und Bischof Felix Gmür den Film über den Jesuitenpater Frans van der Lugt. Der Ordensmann wollte Homs auch dann nicht verlassen, als dort längst der syrische Bürgerkrieg tobte. Er hatte vor Ort eine Behindertenschule mit Internat gegründet. Vor zwei Jahren wurde der Jesuit ermordet. Die Darbietung katapultiert die Gottesdienstbesucher mitten in die Flüchtlingsthematik.

Reden mit Betroffenen beim Apéro

Gemeinsam mit dem Basler Bischof und seinem Mitarbeiterstab – darunter sind auch Generalvikar Markus Thürig und Weihbischof Denis Theurillat -, geniessen geniessen die Jugendlichen nach dem Gottesdienst einen multikulturellen Apéro. Würzig riechen die Spezialitäten aus Syrien, dem Libanon, Eritrea, Kurdistan und Afghanistan liegen auf den Tischen im Foyer des Volkshauses, die Frauen aus der Region Biel zubereiteten. Bei türkischem Weinblättergebäck und Falafeln kommen die Jugendlichen mit den Bischöfen und den Frauen am Essensstand ins Gespräch. Am Apéro dabei ist auch das Vorbereitungsteam dieses Treffens, Eliane Gerard, Elia Shalas und Philipp Christen.

Für den Projektleiter dieses Bistumstreffen und Stellenleiter der Fachstelle Jugend in Biel lag das Thema von Beginn auf der Hand: «Das Thema Flüchtlinge brennt derart unter den Nägeln. Vor allem auch hier in Biel, wo etliche Flüchtlinge untergekommen sind», so Christen. Die Flüchtlinge hätten alle ihre je eigene Fluchtgeschichte. Biel ist laut Christen eine äusserst multikulturelle Stadt mit einem hohen muslimischen Anteil.

Im Volkshaus sehen die Jugendlichen neben den Flyer der Aktion «Angel Force» auch die Info-Blätter des Vereins «Stand up for refugees», der sich mit Aktionen an diesem Tag einbringt. Er wurde von Bieler Jugendlichen gegründet mit dem Ziel, Flüchtlingen konkret zu helfen.

Frierende Kinder in Decken wickeln

Nach dem Apéro haben die Jugendlichen die Gelegenheit, selber zu erfahren, was Flüchtlinge auf ihrem Weg durchmachen müssen. Auf zwei Plätzen in Biel erleben sie die Stationen einer Flucht. Sie werden von Mithelfern des Vereins «Stand up for refugees» auf dem Neumarktplatz empfangen.

Eine unter ihnen ist Nina. Die 26-Jährige Bielerin berichtet ihren Gästen von ihren Tagen auf Lesbos im vergangenen Februar, wo sie mit vielen anderen Freiwilligenarbeit verrichtete. «Ich wollte mit eigenen Augen sehen, was dort passiert. Als ich es sah, musste ich einfach helfen», erzählt Nina. Sie steht neben einem Gummiboot, zu ihren Füssen liegen orange Rettungswesten aus Lesbos, die Flüchtlinge nach ihrer Fahrt über das Meer am Strand liegen gelassen haben. Plastisch schildet Nina, wie sie frierende Kleinkinder aus dem Wasser zog und in Deckeln wickelte, alten Menschen Tee reichte und sie in ihre Notunterkunft begleitete. Interessiert hören die Jugendlichen zu, streifen sich auch eine orange Weste über. Ihre Gesichter verraten: Wirklich vorstellen können sich die meisten die Tortur kaum.

Schwitzen im Container-Wagen

Ein wenig näher kommen sie dem Schicksal der Flüchtlinge in einer Fahrt in einem Kleinlastwagen, in dem sie nun zusammengepfercht und auf dem Boden sitzend ein paar Meter fahren. Sie schwitzen, einigen wird von der rüttelnden Fahrt übel. Niemand weiss, wohin die Fahrt geht. Schnell macht sich Unsicherheit breit. «Jetzt könnt ihr ein wenig erahnen, welche Risiken Menschen auf sich nehmen, die sich in die Hände von Schleppern begeben», sagt Nina, die den Schrank voller Kleider für ihr eigenes Kleinkind inzwischen mit anderen Augen betrachtet.

Weiter zieht es die Jugendlichen auf den Robert-Walser-Platz, wo sie etwas über die würdelosen Momente bei einem Registrierungsverfahren erfahren. Ein Helfer von «Stand up for refugees» berichtet von den Zuständen am Brennpunkt Como. Von Menschen, die so schnell wie möglich weiter reisen wollen, die weiter studieren und deutsch lernen wollen und dennoch hinter einem Zaun hängen bleiben. «Viele werden wie Insekten behandelt», sagt der Mann am Info-Stand. Michel P.F. Esseiva, Synodalrat der katholischen Kirche Bern, nickt betroffen. Anschaulich können die Jugendlichen das auch im Pfarreisaal der Bruder-Klaus-Kirche erleben, wo der Dokumentarfilm «Die Schande von Lesbos» gezeigt wird.

Fetziger Hip-Hop-Beitrag zum Thema

Philipp Christen zeigt sich nach dem Ende der «Refugee-Tour» zufrieden. Er hat ein engagiertes Vorbereitungsteam erlebt. «Viele, die an dieses Treffen vorbereitet haben, engagieren sich auch sonst in Biel in der Flüchtlingsarbeit.» Es gebe in dieser Stadt viele engagierte Menschen, betont der Bieler, der darunter leidet, dass dieser Ort oft nur mit «Sozialhilfe» und «Ausländer» in Verbindung gebracht wird.

Das Bistumstreffen ist für ihn gut gelungen: «Es ist ein Anlass von Jugendlichen für Jugendliche. In dieser Ausführung war dieses Treffen ein Novum.» Die Programmgestaltung hat er grösstenteils den Jugendlichen überlassen. So betritt zum Ende des Treffens das kirchlich unterstützte Projekt «Hip-Hop Center Bern» mit jungen aufstrebenden Musikern der lokalen Hip-Hop-Szene die Bühne. Bei ihrem fetzigen Auftritt wird die Flüchtlingsproblematik noch einmal auf musikalische Weise thematisiert.

Organisatoren wie Bistumsleitung erhoffen sich auch diesmal eine Langzeitwirkung vom Bistumstreffen. Philipp Christen glaubt, dass einzelne Jugendliche sich von der Frage Bischof Felix Gmürs «Was kann ich tun?» und von den glaubwürdigen Schilderungen von Zeugen wie Nina persönlich angesprochen fühlen und sich in ihren Ortspfarreien für Flüchtlinge einsetzen. Generalvikar Markus Thürig glaubt zudem, dass auch an diesem Treffen viele Jugendliche «das Bistum Basel in seiner ganzen inneren und äusseren Reichweite neu entdeckt haben.»

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