Pilgern mit Passwörtern, Hundegebell und Maulbeeren

Zürich, 16.6.16 (kath.ch) Seit sechs Wochen sind die Pilgerinnen und Pilger des Projekts «Kirche mit den Frauen» nach Rom unterwegs. kath.ch-Redaktorin Sylvia Stam ist eine Woche durch die Toskana und Umbrien mitgepilgert und hat Stimmen und Stimmungen eingefangen.

Sylvia Stam

«Wir müssen zusammen ins Bett heute!», sagt Hildegard Aepli lachend zur 25-köpfigen Pilgerschar. Heute – das meint die Nacht im schmucken toskanischen Städtchen Montepulciano (I), in einem Lagerhaus der Dominikaner. Die Gruppe wird auf drei Säle mit Doppelstockbetten verteilt. Weil die oberen Betten nahezu durchbiegen, legen einige die Matratze auf den Boden, der allerdings zuvor noch gewischt wird.

Die Pilgerinnen und Pilger, welche die Kerngruppe auf der Etappe von Siena nach Perugia begleiten, nehmen es recht gelassen hin, auch mit den drei Duschen und den etwas schmuddeligen Toiletten arrangiert man sich. Kein Wunder, wurde man doch in diesen Tagen geradezu verwöhnt: «Diese Woche ist ein Luxuspilgern!», sagt Hildegard Aepli, Initiantin des Projekts. «Die schweren Rucksäcke fahren im Begleitfahrzeug, das Mittagessen ist organisiert, wir müssen also nichts einkaufen, und die Zimmereinteilung ist bereits klar, wenn wir ankommen!»

Kalenderbilder der Toskana

Aepli geniesst den Luxus, der durch die Kooperation des Projekts mit dem «Tauteam» entstanden ist, einer Gruppe franziskanischer Ordensleute und Laien, welche die Etappen von Siena über Perugia und Assisi nach Greccio organisiert hat und nebst dem Begleitfahrzeug auch für Impulse zur franziskanischen Spiritualität sorgt. In dieser Woche erzählt die Ingenbohler Schwester Imelda Steinegger über den Sonnengesang des Franziskus und über Bernhardin von Siena.


Verwöhnt wird die Gruppe in dieser Woche jedoch nicht nur durch die Begleitumstände, auch Landschaft und Wetter lassen keine Wünsche offen: Sanfte grüne Hügel, von Zypressen gesäumt, als liefe man durch Kalenderbilder der Toskana. Olivenhaine neben Getreidefeldern, gespickt mit blühendem Mohn. Vorbei an wildem Hafer, Hanf und Hopfen. Jasmin duftet mit Lindenblüten um die Wette. Maulbeeren erfrischen die Pilger am Strassenrand, direkt ab Baum. Das alles bei milder Sonne und leicht wolkigem Himmel. Das Gewitter bricht jeweils erst aus, wenn die Unterkunft erreicht ist. Nur einmal werden die Beine bis zu den Knien nass, als der Weg quer durch einen Bach führt.

Gelassenheit gewonnen

Der bisherige Weg sei nicht immer so schön gewesen, beteuern mehrere der Rompilgerinnen und –Pilger übereinstimmend. Und sie erzählen von tagelangem Regen, sodass man die Socken mittags auswringen konnte; von dicken Schlammklumpen an den Schuhen, die das Gehen massiv erschwerten; von sanitären Anlagen, deren Zustand sie lieber nicht im Detail beschreiben wollen.

«Ich habe an Gelassenheit gewonnen», sagt Silvia Letsch-Brunner denn auch bei einer abendlichen Runde. Die 61-jährige promovierte Theologin pilgert den ganzen Weg von St. Gallen nach Rom und schildert dies als grosse Herausforderung. Nicht nur die äusseren Unannehmlichkeiten, sondern auch das konstante Zusammensein in der Gruppe, nota bene in wechselnder Zusammensetzung, brauche Kraft.

Zeichen setzen

Warum aber nehmen Menschen dies auf sich? Viele der 21 Frauen und 4 Männer sind der Kirche verbunden, als Angestellte, Freiwillige oder als Gläubige. «Für mich ist es eine Möglichkeit, etwas für meine Kirche zu tun», sagt Mariette Mumenthaler, die einzige Rompilgerin aus der Romandie, die in verschiedenen Solidaritätsprojekten engagiert ist. Sie möchte eine Reflexion anregen über die Frage der Gleichwertigkeit der Geschlechter in der Kirche. «Für meine drei Enkelinnen lohnt es sich, ein Stück auf dem Weg nach Rom zu laufen!», sagt eine 66-jährige Frau aus der Ostschweiz, die nur diese Woche mitpilgert. Und selbst wenn nicht alle an konkrete Veränderungen glauben, geht es vielen wie der 70-jährigen Bündnerin: «Es geht darum, nicht nur zu reden, sondern ein Zeichen zu setzen!»

Ein Zeichen setzt auch Franz Mali, der als einziger Mann und Priester den ganzen Weg pilgert. «Es geht nicht nur um ein Projekt für die Frauen, sondern es ist ein Projekt, welches das Verhältnis von Frauen und Männern in der katholischen Kirche im Fokus hat. Deshalb unterstütze ich es als Mann und Priester», so Mali, der innerhalb des Kernteams für die Wegführung verantwortlich ist und der Gruppe jeweils mit seinem GPS vorangeht – mit leuchtend grünem Rucksack und roten Wanderhosen.

Vernetzte Pilger

Auch wenn diese männliche Führung von einigen als «falsches Signal» gedeutet wird, steht dem seine persönliche Bescheidenheit ebenso gegenüber wie die starke Präsenz der beiden Kernteamfrauen Hildegard Aepli und Esther Rüthemann: Mit anregenden spirituellen Impulsen laden sie die Gruppe täglich zu einer Schweigestunde ein und sorgen mit klaren Anweisungen dafür, dass die Pilgerinnen und Pilger zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind und die grosse Gruppe beim Laufen nicht zerfleddert.

Es sind moderne Menschen, die diesen Weg nach Rom laufen: Nach Dusche und Kleiderwäsche wird abends in der Unterkunft als Erstes das WLAN-Passwort erfragt, Mails werden gecheckt, Bilder auf Facebook gepostet, der Beitrag für den Blog verfasst. Gleich mehrmals führt Initiantin Aepli in dieser Woche abends ein telefonisches Interview, eine Journalistin von Schweizer Radio SRF läuft einen ganzen Tag mit dem Mikrofon in der Hand mit und fängt nebst dem vielstimmigen Gesang auch Froschquaken und das endlose Hundegebell ein, ebenso die wortreichen Erklärungen von Einheimischen, die den Pilgern den Weg erklären wollen.

Aepli freut diese hohe Medienpräsenz. «Das ist das Leben!», entgegnet sie auf die Frage, ob ein Pilgerweg denn nicht auch etwas Meditatives sei. «Ich muss meinen Glauben auch sonst im Alltag leben können!»

Einsamkeit

Sonntags wird Messe gefeiert, und hier wird für einen Moment eine Trennung sichtbar. Während Aepli und Rüthemann, die den Gottesdienst mitgestalten, in der vordersten Bank sitzen, sitzt der Zelebrant Mali alleine hinter dem Altar, etwas erhöht. Auf seine Position angesprochen, entgegnet er leicht verdutzt: «Es gibt keinen Grund. Das war reine Routine. Ich habe mich tatsächlich ein wenig einsam gefühlt…»

Einsamkeit verspüren auch diejenigen, welche die Gruppe nach einer intensiven Woche verlassen und alleine in die Schweiz zurückkehren. Die Pilgerinnen und Pilger aber wandern stetig weiter, denn der Weg nach Rom ist noch weit… (sys)

Hinweis: Eine Slideshow mit Bildern der Wanderung finden Sie hier.
Die erwähnte Radiosendung «Perspektiven» wird am Sonntag, 3. Juli, um 8.30 Uhr auf SRF2 ausgestrahlt.

 

 

 

 

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