Gedanken zum Sonntag: «Gott, verbanne mich in die Hölle …»

Gedanken zum Sonntag, 2. Oktober 2016

«Gott, verbanne mich in die Hölle …»

Josef Imbach*

Der französische Nobelpreisträger François Mauriac porträtiert in seinem Roman «Die Pharisäerin» eine Frau, welche, kaum dass sie auch nur den Schatten einer Unvollkommenheit an sich entdeckt, sofort den nächstbesten Beichtstuhl aufsucht, als sei sie von einem spirituellen Waschzwang besessen. Ihr ganzes Streben zielt darauf, ‹Verdienste› anzuhäufen, ähnlich wie andere Menschen Porzellanfiguren sammeln. Für ihre Bemühungen erwartet sie selbstverständlich einen entsprechenden Jenseitslohn. Es stellt sich da schon die Frage, was einen Menschen motiviert, die biblische Weisung, Gott zu lieben, ins Leben umzusetzen. Welche Interessen sind da mit im Spiel?
Der islamischen Mystikerin Rabi’al-Adawiyya, die im 8. Jahrhundert in Basra lebte, verdanken wir ein Gebet, das so beginnt: «Mein Gott, wenn ich zu dir bete aus Furcht vor der Hölle, so verbanne mich in die Hölle.» Das erinnert mich an den Religionsunterricht in meiner Kindheit. Da wurde uns eingebläut, dass, wer im Zustand der schweren Sünde stirbt, im ewigen Feuer endet, es sei denn, man hätte vorher gebeichtet oder zumindest die ‹vollkommene Reue› erweckt. Die besteht darin, dass einem ein Fehltritt nicht aus Angst vor der Verdammnis, sondern aus reiner Liebe zu Gott leidtut. Mir gelang immer nur die ‹unvollkommene Reue›; ich fürchtete mich ganz einfach vor der Höllenstrafe. Das Kind hat also nicht an Gott, sondern an seinen eigenen Vorteil gedacht.
Der Angst vor der Strafe entspricht die Hoffnung auf Lohn. Davor warnt die islamische Mystikerin in ihrer zweiten Bitte: «Gott, wenn ich zu dir bete aus Hoffnung auf das Paradies, so schliesse mich aus vom Paradies.» Tatsächlich – was ist denn das für eine Gottesliebe, die ‹Gott› sagt und dabei an Belohnung denkt? Wird Gott da nicht zum Geschäfts- oder Handelspartner herabgewürdigt?
Wie wahre Gottesliebe sich manifestiert, sagt Rabi’al-Adawiyya in ihrer letzten Bitte: «Gott, wenn ich aber zu dir bete um deinetwillen, dann entziehe mir nichts von deiner ewigen Schönheit.» Ist eine derart selbstlose Liebe überhaupt möglich? Die Frage lässt sich am besten im Hinblick auf unsere zwischenmenschlichen Beziehungen beantworten. Wenn wir anderen Menschen zugetan sind, erkennen wir vermutlich schnell, dass wir dabei oft gleichzeitig irgendwelche Vorteile verfolgen. Erst in dem Mass, in welchem wir uns dessen bewusst sind, können wir versuchen, andere um ihrer selbst willen zu bejahen. Ähnliches gilt für die Beziehung mit Gott. Grund zum Stolz für unsere ‹Leistungen› haben wir gar keinen; was also soll die Rede von Verdiensten?! Um es mit Jesus zu sagen: Wir haben doch bloss unsere Schuldigkeit getan (Lukas 17,10).

* Josef Imbach ist Verfasser zahlreicher Bücher. Er unterrichtet an der Seniorenuniversität Luzern und ist in der Erwachsenenbildung und in der praktischen Seelsorge tätig.

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https://www.kath.ch/newsd/gedanken-zum-sonntag-gott-verbanne-mich-in-die-hoelle/