Sexarbeiterinnen im Scheinwerferlicht

Zürich, 4.5.16 (kath.ch) Sie gehen einer Tätigkeit nach, über die sehr oft abschätzig gesprochen wird. Dabei wissen nur ganz wenige, was diese Frauen wirklich bewegt. Die Stadtmission Zürich kümmert sich seit ihrer Gründung vor über 150 Jahren um Sexarbeiterinnen. Am Donnerstag, 28. April, standen diese Frauen auf die Bühne und ganz im Zentrum einer faszinierenden Veranstaltung.

Martin Spilker

«Faszination Haute Couture und Sexarbeit» war der Abend in der Labor-Bar beim Schiffbau überschrieben. Faszination Haute Couture hätte als Titel für diese besondere Modeschau vollends gereicht. Dass die Frauen im Scheinwerferlicht hauptberuflich Sexarbeiterinnen sind, war aber das zentrale Element dieser Veranstaltung.

Respekt

Sexarbeiterinnen in Zürich haben in der «Isla Victoria» nicht nur eine Anlauf- und Auskunftsstelle bei Fragen und Problemen in ihrem Beruf. Die von der Zürcher Stadtmission geführte «Insel» bietet den Frauen ebenso die Möglichkeit, einer von ihnen selbst angeregten Beschäftigung nachzugehen: Kleider nähen. Und für die Begleitung im Atelier können sie auf die Unterstützung der Modedesignerin Marianna Piciuccio zählen.

Die Angebote für Sexarbeiterinnen in der «Isla Victoria» ist für Regula Rother, Leiterin der Zürcher Stadtmission, zuerst einmal ein Zeichen von Respekt. «Die Frauen kamen mit der Idee, in ihrer Freizeit Kleider nähen zu lernen», sagte Regula Rother in der bis in den hintersten Winkel vollbesetzten Labor-Bar. In der Schweiz liesse sich mit Nähen zwar keine andere Existenz aufbauen. In einem anderen Land aber vielleicht schon. Auf alle Fälle erlebten die Frauen dabei aber einen Ausgleich und könnten ihr Selbstbewusstsein stärken.

Mut

An diesem Abend wurde auch über Sexarbeit gesprochen. Darüber, welchem massiven Druck die Frauen von den Freiern ausgesetzt sind und dass die rigorosen Gesetze und Reglemente die Arbeit der Sexarbeiterinnen mehr belasten, als dass sie ihnen Schutz bieten würden. Im Zentrum aber stand das, was die Frauen in der «Isla Victoria» in ihrer Freizeit geschaffen haben: Kleider. Nein, es sind Kunststücke, die unter der Anleitung der italienischen Modeschöpferin in nur einem Jahr geschaffen wurden. Mal farbig und verspielt, mal klassisch-elegant, mal experimentell in Form und Farbe.

Die Kleider, welche die Frauen auf der Bühne gleich selber präsentierten, begeisterten das Publikum. Noch viel mehr aber beeindruckten die Freizeit-Models durch ihren Mut, sich so vor Publikum zu präsentieren. Sie, die in Zürich von der Strasse in «Boxen» am Stadtrand verbannt wurden, gehen hier im Scheinwerferlicht über die Bühne, hin und her.

Freude

Was für ein Auftritt. Was für ein Ausdruck von Stärke und Freude. Ja, Freude. Sie, die in der Gesellschaft als Sexarbeiterinnen, als Immigrantinnen vielleicht, oder einfach als Frauen stigmatisiert werden, wie es Brigitte Obrist von der Aids-Hilfe Schweiz sagte, sie wurden von Auftritt zu Auftritt lockerer und zeigten sich und ihre Kleider mit einer Freude, die ansteckte.

Die Sexarbeiterinnen – das Wort Prostiuierte wird nicht mehr verwendet – gehen am nächsten Tag wieder ihrer von vielen verachteten und doch nachgefragten Arbeit nach. Und die Mitarbeiterinnen der «Isla Victoria» werden wieder beraten, zuhören, unterstützen, wo es möglich ist. Ein Abend wie dieser aber, sagt Regula Rother zum Schluss, zeige, dass diesen an den Rand der Gesellschaft und doch mitten unter uns lebenden Frauen auch Solidarität und Wohlwollen entgegengebracht werde. Und sie vermutete wohl zu Recht, dass ganz viele im Publikum die nächste politische oder moralische Debatte über Sexarbeit wohl anders wahrnehmen werden. (ms)

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