Bischof Jean-Marie Lovey: Ball liegt nun bei Bistümern und Bischöfen

Sitten, 9.4.16 (kath.ch) Das postsynodale Schreiben «Amoris laetitia» enthält wunderbare Elemente zur «Unterscheidung» und zur Seelsorge der kleinen Schritte, sagt der Bischof von Sitten, Jean-Marie Lovey, im Interview mit kath.ch am Samstag, 9. April. Jetzt gehe es darum, Kriterien zu entwickeln, damit die vom Papst genannte «Unterscheidung» nicht in verschiedene Richtungen führt. Lovey war Delegierter der Schweizer Bischofskonferenz an der Bischofssynode 2015.

Maurice Page

Eines der Hauptelemente des apostolischen Schreibens «Amoris laetitia» ist die Unterscheidung der unterschiedlichen Lebenslagen. Der Text präzisiert jedoch nicht, wer für diese Unterscheidung die Verantwortung trägt.

Lovey: Das Schreiben zählt keine Stufen oder Ebenen der Verantwortlichkeit auf. Es spricht von Hirten. In einer Fussnote wird darauf hingewiesen, dass diese durch das Evangelium erleuchtet sind und durch das Urteil des Bischofs. Wir, Bischöfe, Priester oder Laientheologen, müssen im Dialog wirken und fähig sein, in allen Situation begleiten zu können.

Muss man sich nicht auf Kriterien abstützen können, wenn man diese Unterscheidung verwirklichen will?

Lovey: Es ist nötig, solche Kriterien zu entwickeln. Das wird eine Aufgabe der Familienseelsorge in den verschiedenen Bistümern und der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) sein. Gemeinsame Richtlinien werden verhindern, dass wir in alle Richtungen davon gehen, auch wenn die Situationenen individualistisch bleiben. Damit das Schreiben Früchte tragen kann, muss es aufgenommen, diskutiert und aufgearbeitet werden. Das ist eine der Aufgaben von uns Bischöfen

Der Papst fordert eine seelsorgerliche Annäherung an persönliche Situationen, um die Integration zu fördern. Er öffnet somit den Zugang zu den Sakramenten für die wiederverheirateten Geschiedenen.

Lovey: Für einige. Der Zugang zur Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene wäre der Scheitelpunkt der Integration. In meinen Augen lädt der Text vor allem dazu ein zu überlegen, was ausmacht, dass wir Mitglied eines Körpers sind, was Kirche ist auf dem Hintergrund unserer Teilhabe und Verantwortung. Der Papst verweist auf Elemente der Katechese und der Liturgie. Es gibt aber auch viele Elemente beispielsweise in der Diakonie.

Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir vor der geschlossenen Tür des Kommunionssakraments verharren. Dabei gibt es so viele andere Türen, um am Leben der Kirche teilhaben zu können. Man darf sich nicht auf die Eucharistie festsetzen, die Liturgie des Wort Gottes ist auch eine Form der Teilnahme.

Es wird sicher Stimmen geben, die sagen, der Ruf zur Integration wird zu einem Relativismus führen.

Lovey: Integration bedeutet nicht, dass die Unterschiede negiert werden sollen. Vielmehr geht es darum, jedem den Platz zuzuteilen, der der Seine ist. In Gottes Herz hat es Platz für alle. Integration besteht nicht darin zu sagen: Alles ist gleich, alles wird relativiert. Das Charisma des Einzelnen muss bestimmt werden, das er in den Dienst der Kirche stellen kann. Was im Schreiben des Papstes relativ neu und wunderbar ist, ist das Fehlen von Urteilen, diese «Unterscheidung» und die Seelsorge der kleinen Schritte.

Das Schreiben enthält keine neue Öffnung gegenüber homosexuellen Personen. Viele von ihnen werden das Gefühl haben, dass sie ausgegrenzt sind.

Lovey: Wenn eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft nicht als Ehe anerkannt wird, bedeutet das nicht Ausschluss. Es geht vor allem darum, die christliche Ehe zu verteidigen, die in der einzigen, freien und definitiven Gemeinschaft eines Mannes und einer Frau besteht, nach dem Bild der Einheit von Christus und Kirche.

Das Schreiben hält fest, dass auch andere Formen der Gemeinschaft etwas über die menschliche Liebe zum Ausdruck bringen können. Dies entspricht aber nicht dem christlichen Idealbild. Ich denke, das besagt, dass wir einen Platz in der Kirche für Menschen mit homosexueller Tendenz oder Orientierung finden müssen.

In der Familie spielen die Kinder eine wichtige Rolle.

Im Schreiben finden sich lange und schöne Passagen über die Erziehung des Kindes in verschiedenen Situationen und Zusammenhängen. Der Papst besteht auf die Weitergabe der Werte, welche ethische, religiöse und spirituelle Dimensionen beinhalten, im Rahmen der Familie. Man könnte sagen, dass die Vorbereitung auf die Heirat in der Wiege beginnt. Der Papst schlägt auch eine Sexual-Erziehung als Vorbereitung auf das Leben und die Liebe vor. (mp/gs)

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