Schwuler Theologe: «Wir wollen Respekt, nicht Barmherzigkeit»

Basel, 1.3.16 (kath.ch) Die Kirche als System habe eine gewisse Grausamkeit, die bei Schwulen und Lesben viel Leiden auslöse, sagt Peter Lack im Gespräch mit kath.ch. Dem schwulen katholischen Theologen verwehrte der heutige Kardinal Kurt Koch 1998 als Basler Bischof die kirchliche Beauftragung, was einem Berufsverbot gleichkam. Mit diesem Beitrag startet die Redaktion kath.ch eine lose Artikelserie zum «Jahr der Barmherzigkeit».

Regula Pfeifer

Der Papst hat am 8. Dezember das Jahr der Barmherzigkeit eröffnet. Was halten Sie davon?

Peter Lack: Obwohl ich katholischer Theologe bin, löst das nichts in mir aus, weder etwas Positives noch etwas Negatives.

Haben Sie die Kirche als barmherzig oder als unbarmherzig erlebt?

Lack: Barmherzigkeit ist an und für sich etwas Positives. Doch wenn Sie mich als schwulen Mann fragen, bekommt das eine überindividuelle Dimension. Dann bekommt Barmherzigkeit etwas Herablassendes und Antiquiertes. Schwule Männer und lesbische Frauen wollen keine Barmherzigkeit, wir wollen Respekt und Anerkennung.

Wie kam es zu Ihrem Ausscheiden aus dem kirchlichen Dienst?

Lack: Ich habe in der Schweiz und in den USA Theologie studiert. In den USA arbeitete ich in einem auf Aids spezialisierten Spital. Zurück in der Schweiz arbeitete ich in einer Freiburger Pfarrei, was mir gefiel. Damals lebte ich mit meinem Partner zusammen und machte daraus gegenüber Gemeinde und Dekanat kein Geheimnis. Auf meinen Wunsch hin wechselte ich an die kirchliche Aidsseelsorge in Basel. Auch dort ging ich offen mit meinem Schwulsein um. Das war unter dem damaligen Basler Bischof Hansjörg Vogel kein Problem. Das bischöfliche Personalamt forderte mich gar auf, die Berufseinführung zu machen, um meine berufliche Stellung zu sichern. Es ging dabei explizit um den beruflichen Schutz von schwulen und lesbischen Seelsorgenden. Alles war sehr positiv und freundlich.

Wann kippte dies denn?

Lack: Bischof Vogel wurde Vater und verliess den Kirchendienst. Auf ihn folgte Kurt Koch. Er lud mich zu zwei Gesprächen nach Solothurn ein und fragte mich, ob ich mit einem Partner zusammenleben würde, was ich bejahte. Darauf sagte er, ich könne so das Evangelium nicht verkünden und auf keinen Fall Kinder unterrichten. Und er sagte, ich könnte an der aktuellen Stelle bleiben, würde aber keine Missio für eine nächste Anstellung erhalten. Da war klar für mich: Ich brauchte eine berufliche Alternative.

Belastete Sie das?

Lack: Die Aussagen des Bischofs schockierten und verletzten mich. Aber mir war noch nicht bewusst, was das alles für mich bedeutete. Ich realisierte zwei Seiten: die mir positiv eingestellte Kirchenbasis in Basel und die ablehnende Haltung des Bischofs. Dann handelte ich einfach. Erst später merkte ich: Das hat meine Berufslaufbahn kaputt gemacht.

Erhielten Sie Unterstützung?

Lack: Ja, viele Leute in der katholischen Körperschaft unterstützten mich. Das war und ist auch rückblickend eindrücklich.

Distanzierten Sie sich von der Kirche?

Lack: Ja, ich hatte das kirchliche System als unbarmherzig erlebt. Als Papst Benedikt XVI. später verlautbaren liess, dass Priesteramtskandidaten fortan auf ihre Homosexualität quasi präventiv gescreent würden und erst nach dreijähriger Enthaltsamkeit zum Priester geweiht werden würden, merkte ich: Hier habe ich nichts mehr verloren.

Wo fanden Sie neue berufliche Chancen?

Lack: Im Gesundheitswesen. Ich spezialisierte mich aufs Coaching, auf Supervision und die Beratung in Ethikfragen und gründete eine eigene Firma. Seit letztem Jahr bin ich Geschäftsführer einer Dachorganisation und führe meine bisherige Tätigkeit im Nebenamt weiter.

Bringen Sie da ihr theologisches Fundament mit ein?

Lack: Meine berufliche Identität hat sich geändert. Die Religion ist für mich zur Privatsache geworden. Dennoch: Aus dem Feedback der Leute entnehme ich, dass sie meine seelsorgerliche Art, meine Anteilnahme, mit denen ich sie in schwierigen Situationen begleite, durchaus wahrnehmen.

Was ich merke: Mir macht es keine Schwierigkeiten, einfach da zu sein für Menschen, die verzweifelt sind oder mit einer schweren Krankheit kämpfen. Hier hilft mir meine Erfahrung in der Klinik- und Aidsseelsorge. In all den Jahren habe ich mir die unter Theologen verbreitete pastorale Redeart abgewöhnt und ebenso die Tendenz, auf komplexe Fragen rasche Antworten zu geben. Ich lernte, auf die Leute zuzugehen und ihnen genau zuzuhören.

Handeln Sie dabei barmherzig?

Lack: Das würde ich nicht sagen, weil ich mit dem Wort nichts anfangen kann. Ich würde mich als mitfühlend, empathisch bezeichnen.

Wie verhält sich die katholische Kirche aktuell gegenüber Homosexuellen in den eigenen Reihen?

Lack: Ich sehe keine Bestrebungen in der Kirche, den Umgang mit Homosexuellen zu ändern. Ich kann nicht anders, als diese resignierte Aussage machen.

Papst Franziskus pflegt zwar eine andere Wortwahl – man denke an sein Statement auf dem Rückflug von der letztjährigen Südamerika-Reise. Doch wenn er es ernst meinte, müsste er eingreifen. Im letzten Jahr hätte er bei einem von kirchlichen Kreisen mitgetragenen politischen Vorstoss in der Slowakei Stellung nehmen müssen. Dieser hatte zum Ziel, die Rechte der Homosexuellen stark einzuschränken. Das tat er aber nicht.

Sollte die Kirche gegenüber Schwulen und Lesben barmherzig sein?

Lack: Nein, Barmherzigkeit ist eine Haltung von oben herab, das will ich nicht. Ich kann aber nicht für alle Homosexuellen sprechen. Da gibt es eine unglaubliche Vielfalt an Meinungen und Bedürfnissen. Viele kirchlich verankerte Schwule und Lesben sehnen sich nach einer Versöhnung mit der Kirche. Ich stehe mit einigen privat oder beruflich in Kontakt, die in so grosser seelischer Not sind aufgrund des Verhaltens der Kirche, dass sie psychologische Unterstützung brauchen. Die Kirche als System hat eine gewisse Grausamkeit, die viel Leiden auslöst. Das steht in krassem Widerspruch zur befreienden Botschaft des Christentums. (rp)

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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