Neue Ethikkommissions-Chefin: Katholische Fachleute sind unbesorgt

Zürich, 4.2.16 (kath.ch) Die Zürcher Privatrechtsprofessorin Andrea Büchler (47) ist seit Anfang Jahr Präsidentin der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK). Dass nun eine Juristin, die als liberal eingeschätzt wird, die Kommission leitet, löst unter katholischen Fachleuten keine Sorge aus. Im Gegenteil. Nicht äussern wollte sich die Schweizer Bischofskonferenz (SBK), die eine eigene Bioethik-Kommission hat.

Barbara Ludwig

Ja, die neue Präsidentin der NEK setze vielleicht andere Akzente als ihr Vorgänger, der deutsche Philosoph Otfried Höffe, sagt Alberto Bondolfi gegenüber kath.ch. Der ehemalige Ethikprofessor, einst selber Mitglied der NEK, zählt dazu «eine grössere Aufmerksamkeit für die Anliegen der Frau, eine grössere Sensibilität für bestimmte Minderheiten wie etwa Homosexuelle und Behinderte». Einen Bruch mit der Vergangenheit erwartet der Tessiner aber nicht. Die NEK sei ein Kollegialgremium, «in dem die Kunst der Präsidentschaft darin besteht, verschiedene Positionen so zu bündeln, dass eine kohärente Stellungnahme zu einem Problem möglich ist». Man solle die Position der Präsidentin nicht überschätzen, so Bondolfi.

Minderheiten können sich einbringen

Auch Regula Ott, Beauftragte für Gesellschaft und Ethik beim Schweizerischen Katholischen Frauenbund (SKF), weist auf die begrenzte Macht des Präsidiums hin: Der Kommission gehören 15 Mitglieder an und sie sei ausgewogen zusammengesetzt. «Ausserdem lässt man die Minderheiten zu Wort kommen», sagt die Bioethikerin gegenüber kath.ch. Susanne Brauer, Leiterin Fachbereich Bioethik, Medizin und Life Sciences bei der Paulusakademie, ergänzt: «Eine Stellungnahme wird von der Kommission verabschiedet, nicht vom Präsidium.» Der Präsident habe eine repräsentative Funktion: «Er muss die Position der Kommission gegen aussen vertreten, auch wenn diese nicht der eigenen Meinung entspricht», sagt Brauer, die noch unter Höffe und dessen Vorgänger Christoph Rehmann-Sutter als wissenschaftliche Mitarbeiterin für die NEK arbeitete. Sie sei überzeugt, dass Büchler dies sehr gut machen werde und über das entsprechende Rollenbewusstsein verfüge.

Über mögliche liberale Positionen von Büchler lässt man sich beim SKF keine grauen Haare wachsen. «Es kann ja auch vorkommen, dass unsere Position nicht derjenigen der Bioethik-Kommission der Bischöfe entspricht», sagt Ott. Der SKF ist sehr zufrieden über Besetzung des Amtes. Büchler befasse sich mit gesellschaftsrelevanten Themen und mache sich für die Gleichstellung stark. Und: «Sie ist kompetent.»

Grössere Rechtskompetenz

Nach dem Philosophen Höffe leitet nun eine Rechtsexpertin die NEK. Aus Sicht von Brauer ist positiv, dass die Rechtskompetenz der NEK erweitert wird. Die Kommission habe eben auch die Aufgabe, Gesetzesentwürfe zu kommentieren. Oder auf Gesetzeslücken hinzuweisen. «Diese entstehen etwa durch das Aufkommen neuer Technologien.» Die Medizinethikerin hält es für einen Pluspunkt, dass Büchler auch rechtsvergleichend tätig ist. «Es ist wichtig, auch den Überblick über die Rechtsentwicklung in anderen europäischen Ländern zu haben.»

Bondolfi kann sich vorstellen, dass der Bundesrat Büchler auch wegen ihrer «intimen Kenntnis» des politischen Systems der Schweiz eingesetzt hat. Die Stärken ihres Vorgängers lagen in einem anderen Bereich. «Darüber hinaus ist es für die öffentliche Meinung in der Schweiz vielleicht gut, wenn ein Schweizer oder eine Schweizerin dieses Amt innehat.»

Mehr Stellungnahmen wünschenswert

Der SKF würde es begrüssen, wenn die NEK generell mehr Stellungnahmen verfassen würde als in der Vergangenheit, «weil derzeit viele gesellschaftlich relevante Themen in der Diskussion sind». Man sei sich aber sehr wohl bewusst, dass die Erarbeitung von Stellungnahmen sehr zeitaufwendig sei, sagt Ott. Auf der Wunschliste hat der SKF etwa die Situation bei der Betreuung und Pflege von alten Menschen oder eine eigenständige Stellungnahme zur Leihmutterschaft.

Brauer ist der Ansicht, die NEK sei auch der Ort für die Diskussion allgemeiner Gerechtigkeitsfragen. Dazu gehöre etwa die Frage, welche Patienten von einem teuren Medikament profitieren dürfen, während andere leer ausgehen müssen. «Auch hier stellen sich ethische Fragen.»

Theologe beobachtet «Säkularisierungsschub» in Verwaltung

Die Schweizer Bischofskonferenz wollte weder die Zusammensetzung noch die Tätigkeit der NEK kommentieren, wie deren Generalsekretär Erwin Tanner auf Anfrage gegenüber kath.ch mitteilte. Die NEK werde vom Bundesrat eingesetzt und sei diesem gegenüber zu Rechenschaft verpflichtet. Die katholische Kirche in der Schweiz habe ihr eigenes Expertengremium in diesem Bereich.

Bondolfi hat dafür Verständnis. «Vielleicht hätte die SBK reagiert, wenn der Bundesrat sie nach möglichen Kandidaten gefragt hätte. Das hat er aber nicht. Der Bundesrat will eben die Selbständigkeit der einzelnen Mitglieder bewahren.» In Deutschland nähmen Bischofe in vergleichbaren Kommissionen Einsitz. In der Schweiz ginge dies nicht, sagt Bondolfi. Der Tessiner, der selber am Aufbau der NEK beteiligt war, hat den Eindruck, in der Bundesverwaltung habe in den vergangenen Jahrzehnten ein «grosser Säkularisierungsschub» stattgefunden. Im Gegensatz zu früher, als die Beamten meist kirchlich sozialisiert waren, hätten sie heute nicht mehr automatisch den Reflex, an die Kirchen zu denken. (bal)

 

 

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