Seelsorgerin bestärkt Betroffene: «Keine Frau darf geschlagen werden»

Aarau, 27.11.15 (kath.ch) Am Mittwoch, 25. Novmember, ist die weltweite Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» gestartet. Die Kirchen sind an der vom Christlichen Friedensdienst (CFD) koordinierten Kampagne in der Schweiz stark beteiligt. «Wir von der Kirche haben den Auftrag, uns um die Schwächsten der Gesellschaft zu kümmern», erklärt Esther Wyss, Mitinitiantin der Anlässe im Pastoralraum Aarau, gegenüber kath.ch.

Regula Pfeifer

Bei den Schwächsten der Gesellschaft gehe es insbesondere auch um jene Menschen, die kein Gehör fänden oder sich nicht zeigen wollten, darunter sehr viele Frauen, führte Wyss weiter aus. Letztes Jahr hatten sich Wyss, Bereich Diakonie und Begegnung der katholischen Pfarrei Peter und Paul in Aarau, sowie Yvonne von Arx, Seelsorgerin in derselben Pfarrei, kurzfristig entschlossen, bei der Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» aktiv zu werden. Sie verteilten weisse Schleifen und Flyer mit Adressen von Hilfsangeboten – und waren überrascht über die Reaktionen. «Viele Leute haben uns offenbart, dass sie selber betroffen waren und unser Engagement gutgeheissen», so Wyss.

Seelsorgerin mit Opferhilfe-Erfahrung

Dieses Jahr hat die Pfarrei ihr Engagement ausgeweitet – auf den Pastoralraum Aarau mit seinen fünf Pfarreien und auf vier verschiedene Anlässe in Aarau. Nach einem Auftritt an einem Infostand mit Kapagnenvideo und Informationsflyern am 26. November folgt am Samstag, 28. November, das «Offene Ohr» in der katholischen Kirche Aarau: Ein Treffen bei Kaffee und Kuchen und mit Massageangebot, bei dem drei drei Theologinnen für Gespräche mit Frauen zur Verfügung stehen. Am Dienstag, 1. Dezember, ist ein Selbstverteidigungs-Schnupperabend geplant, und am Mittwoch, 2. Dezember, ein Podiumsgespräch mit der Seelsorgerin Rita Wismann-Baratto und einer Polizeibeauftragten für häusliche Gewalt und Gewalt an Kindern. Wismann leitete neun Jahre lang die Opferhilfe Aargau-Solothurn und ist heute Gemeindeleiterin der katholischen Pfarrei Suhr-Gränichen.

«Ich habe jahrelange Erfahrung mit Gewalt an Frauen und Kindern», sagte Wismann gegenüber kath.ch. «Als Leiterin der Opferhilfestelle hatte ich täglich damit zu tun. Aber auch heute werde ich ab und zu angefragt und bei solchen Problemen beigezogen.» Es komme vor, dass Kolleginnen und Kollegen aus anderen Pfarreien von Gewalt betroffene Frauen zu ihr schickten, wenn sie nicht wüssten, wie mit dem Problem umgehen, oder sich Rat für Verhaltensweisen bei ihr holten, sagte Wismann.

Immer noch Tabuthema

Gewalt an Frauen ist laut Wismann noch immer ein Tabuthema, das habe sich seit ihrer Zeit in der Opferhilfe kaum geändert. Keine Frau gebe offen zu, sie werde vom Mann geschlagen. Meist kämen die Frauen wegen Geldproblemen zu ihr. Und erst später im Gespräch komme man aufs Thema Gewalt zu sprechen.

Auch was die Frauen aus der Pfarrei ihr an Gewaltgeschichten erzählten, unterscheide sich kaum von dem, was sie bei der Opferhilfe erfahren habe. Nur sei sie heute nicht mehr die einzige und erste Ansprechperson der Betroffenen und in der Pfarrei nur noch ab und zu mit dem Thema konfrontiert. Ihre Unterstützung als Seelsorgerin unterscheide sich wenig von jener zu früher. Nur dass sie heute mit den Frauen beten oder eine Kerze anzünden könne. Das habe sie bei der Opferhilfe als nicht passend empfunden, so Wismann.

Rat an Betroffene: Unerwartetes Tun

Die Frauen, die sich bei ihr melden, motiviert Wismann, sich zu wehren. «Ich sage ihnen: Keine Frau darf auch nicht einmal geschlagen werden, egal, was sie gesagt oder getan hat.» Sie versucht im Gespräch mit der Frau nachzuvollziehen, wie die Gewaltsituation entsteht und fordert sie dann auf, in solchen Situationen etwas zu tun, das für den Mann völlig unerwartet komme. Das sei ein möglicher Weg, um aus der Gewaltspirale heraus zu kommen, der immer wieder erstaunlich gut funktioniere, erklärt Wismann.

Zudem gehe es darum, den Mann zu einer Therapie zu überreden, damit er lernt, Probleme gewaltfrei zu lösen. Manchmal rät Wismann einer Frau auch zur Anzeige gegen ihren Mann oder zum Gang ins Frauenhaus. Ausserdem müsse das Wohl des Kindes berücksichtigt werden. Denn auch für ein Kind, das nicht geschlagen werde, sei die Gewalt gegen die eigene Mutter eine grosse Belastung – und wirke sich auf sein späteres Verhalten aus. So könne sich die Gewaltspirale über Generationen hinweg weiter drehen, sagte Wismann.

Im Übrigen betreffe häusliche Gewalt teilweise auch Männer, fügte die Seelsorgerin an. Doch da sei das Thema noch stärker tabuisiert. (rp)

 

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