Kurt Koch in Oberwil BL: Schwarze Schafe, aber keine Wölfe im Vatikan

Oberwil BL, 14.11.15 (kath.ch) Das gemeinsame Ziel für eine Einheit der Christen sei noch nicht gefunden, sagte der Schweizer Kardinal Kurt Koch an einem Vortrag in der Kirche Oberwil BL und im Gespräch mit kath.ch am Freitag, 13. November. Er berichtete über seine Arbeit als Präsident des päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen und auch über seine Kontakte zu Papst Franziskus. Ein Komitee dreier christlicher Organisationen hatte Koch zu seinem fünfjährigen Jubiläum als Kardinal eingeladen.

Regula Pfeifer

Ökumene brauche Geduld und Leidenschaft, von Erfolg zu reden, sei schwierig, sagt der Schweizer Kardinal Kurt Koch am Freitag, 13. November, im Gespräch mit kath.ch. Kurz zuvor, während seinem Vortrag und der Fragerunde in der katholischen Kirche in Oberwil BL, war klar geworden, wie breit und komplex der Aufgabenbereich des vatikanischen Ökumene-Ministers ist. Es habe viele Spaltungen gegeben in der 2000-jährigen Geschichte des Christentums, erklärte Koch.

Als Präsident des Päpstlichen Rats zur Einheit der Christen ist der Kardinal bestrebt, diesen Spaltungen entgegenzuwirken. Dazu gehöre der Dialog mit den orientalischen Kirchen, die sich im 5. Jahrhundert abgespaltet haben. Hier gehe es um das unterschiedliche Verständnis von Jesus Christus, so Koch. Der Dialog mit 14 von 15 existierenden orthodoxen Kirchen hingegen drehe sich hauptsächlich um die Rolle von Rom in einer künftigen Einheit. Die Orthodoxen anerkennten den Bischof von Rom als den ersten unter allen, fügte Koch an.

Die Gespräche mit den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen bezeichnete Koch vor den rund 300 versammelten Kirchgängern in Oberwil als «Herausforderung». Es entstünden immer wieder neue Kirchen. Er sei aber für die Einheit der Kirche, nicht für die Förderung neuer Kirchen zuständig, meinte Koch mit einem Schmunzeln ins Publikum.

Neuere Spannungen in der Bioethik

Die katholische Kirche habe mit diesen Kirchen viele Glaubensfragen klären können, sagte Koch. Hingegen gebe es neuere Spannungen im ethischen Bereich, beispielsweise in der Bioethik, also in Fragen der «Werdung des menschlichen Lebens» und in Ehefragen. Das seien sehr wichtige gesellschaftliche Fragen, die die Kirchen spalteten. Ausserdem sei das gemeinsame Ziel für eine Einheit der Christen noch nicht gefunden.

Als weiteres Problem erwähnte der Kardinal die pentekostalischen Bewegungen. Diese Pfingstbewegungen und ihre neueren Tochterbewegungen seien in den letzten Jahren vor allem im Süden enorm gewachsen und bildeten nun die zweitgrösste Kirche der Welt. «Mit ihnen müssen wir einen ganz neuen Dialog führen», erklärt Koch. Er hofft, dass Papst Franziskus dafür «neue Türen öffnet». Denn Franziskus kenne die Bewegung von Buenos Aires her.

Auf die Frage aus dem Publikum, was die katholische Kirche denn aufgeben müsse zugunsten einer Einheit der Kirche, erklärt Koch, es gehe nicht ums Aufgeben. Es gehe um den Austausch von Gaben, ums Entdecken, was der Reichtum der anderen und was sie eigenen Stärken seien.

«Die Spaltung der Christen ist ein grosses Hindernis für die Evangelisierung der Welt», sagte Koch. Doch die Überwindung dieser Spaltung sei schwierig. «Wir brauchen dazu den heiligen Geist», zeigte er sich überzeugt und forderte die Anwesenden dazu auf, für die Einheit der Christen zu beten, so wie Jesus für die Einheit seiner Jünger gebetet habe.

Aktuell beschäftigt sich Koch mit dem grossen Jubiläum zur päpstlichen Aufhebung der Exkommunion der Orthodoxen, das sich am 7. Dezember zum 50. Mal jährt. Und er beteiligt sich am Reformationsgedenken im Jahr 2017 – etwa mit einer gemeinsamen Schrift «Vom Konflikt zur Gemeinschaft» und der Vorbereitung eines gemeinsamen Gottesdienstes von Lutheranern und Katholiken. Auch die Christenverfolgung beschäftige ihn, sagt Koch und meint, sie müsste ihn eigentlich noch mehr beschäftigen.

Sorge um Anwachsen antijüdischer Tendenzen

Als Einheitsminister ist Koch auch für die Beziehung zum Judentum zuständig. Der Grund dafür sei, so Koch: «Wir haben eine Beziehung zum Judentum wie zu keiner anderen Religion». Denn: «Das Judentum ist die Mutter des Christentums». Jesus, Maria, die Jünger, sie alle seien ja Juden gewesen. Diese Beziehung wurde im Zweiten Vatikanischen Konzil mit der Schrift «Nostra Aetate» gefestigt. Mit Besorgnis beobachtet der Kardinal deshalb in Europa ein «rasantes Anwachsen von antijüdischen Tendenzen».

Der Schweizer Kardinal empfindet sein Engagement für die Ökumene als bereichernd. Er entferne sich dadurch auch nicht von seiner Kirche, wie teilweise befürchtet werde. Das Gegenteil sei der Fall, meint Koch. «Je mehr Dialoge man mit den anderen Kirchen führt, desto mehr Schönheit erkennt man in der eigenen Kirche».

Die Frage nach dem Wechsel vom Bistum Basel nach Rom vor fünf Jahren kommentierte Kurt Koch im anschliessenden Podiumsgespräch mit den Gastgebern Lukas Stutz von der Vereinigung Christlicher Unternehmer (VCU) und Sabrina Corvini von der Vereinigung «Kirche und Gesellschaft im Dialog» der CVP Baselland. Es sei nicht einfach gewesen, nach 15 Jahren die Aufgabe als Bischof von Basel abzugeben. Doch 15 weitere Jahre als Bischof habe er sich nicht vorstellen können. Dennoch vermisst der hohe Schweizer Kirchenvertreter im Vatikan manchmal den Kontakt zur Basis.

Weniger Basis, mehr Repräsentanten der Kirche

In Rom hat er mehr Kontakt zu Repräsentanten der Kirche. In Gesprächen mit Botschaftern und Bischöfen von überall her – die auf Ad-Limina-Besuch sind – erfährt Koch einiges über die Situation der Ökumene in deren Ländern. Am Leben im Vatikan gefalle ihm die die positiven Rückmeldungen von anderen Kardinälen, ihre Dankbarkeit und ihre Hilfestellungen, sagt Koch im persönlichen Gespräch. Hingegen wünscht er sich eine intensivere Zusammenarbeit über die Dikasterien, also über die vom Papst mit der Leitung der römisch-katholischen Kirche beauftragten Zentralbehörden, hinaus. Familienfragen etwa beschäftigten nicht nur den zuständigen Familienrat im Vatikan, sondern seien auch seinem Ökumene-Rat wichtig, erläutert der Kardinal seine Anregung.

Eine Kleider-Anekdote über den Papst

Den Papst sieht der Kardinal «relativ oft», bei gemeinsamen Gesprächen mit Gästen im Vatikan oder bei Besprechungen. Bei vielen Fragen lasse ihm der Papst Freiheiten, so Koch, andere bespreche er mit ihm. Es komme zudem auch vor, dass der Papst ihn anrufe und um ein Gespräch zu einem Thema bitte. Das erste Mal, als dies geschehen sei, habe ihm der Papst am Telefon erklärt: Er müsse ihm noch etwas Wichtiges sagen: Er brauche die Kleider für das Gespräch nicht zu wechseln. Franziskus sei sehr aufmerksam, er begleite einen nach dem Gespräch bis zum Lift und winke noch nach.

Ansonsten sei die Zusammenarbeit mit Franziskus nicht viel anders als jene mit seinem Vorgänger, Papst Benedikt XVI. Franziskus stehe in dessen Tradition, ist Koch überzeugt. Ihre Aussagen erlebt der Kardinal als nicht sonderlich verschieden. Allerdings könne Franziskus viel mehr sagen, ohne dass man es ihm übel nehme. Das zeige: Manchmal kommt es nicht so sehr darauf an, was und wer etwas sagt, sondern wie er es sagt», folgert Koch. Ausserdem hätten die beiden Päpste «völlig verschiedene Charaktere». Doch das gelte für alle Päpste, die er bisher erlebt habe, so Koch.

Kein Wolf aber schwarze Schafe im Vatikan

Auf die Frage nach einer vatikaninternen Opposition gegen den Papst winkt der Kardinal ab. Er sehe in der Kurie niemanden, der sich wie ein Wolf gegenüber dem Papst benehme. Die Reformen des Papstes rufen laut Koch Bedenken hervor, aber keine Opposition. Das sei bei allen Reformvorhaben so. Aber natürlich gebe es auch schwarze Schafe, fügt er ohne weitere Erklärung hinzu.

Die jüngsten Enthüllungen, die Gianluigi Nuzzi und Emiliano Fittipaldi in ihren Büchern bekannt gegeben haben, haben beim Kardinal zunächst Ärger verursacht, wie er im Gespräch mit kath.ch erklärt. Ärger über jene, die die geheimen Dokumente weiter gegeben und so die Loyalität zum Papst verletzt haben. Wo Fehler geschehen seien, brauche es eine Umkehr, betont Koch. Doch viele der angeprangerten Zustände hätten sich als veraltet erwiesen. Insofern zeige dies, dass der Papst mit seinen Reformen nicht untätig sei.

Angesprochen auf die Bischofsynode erläutert Kurt Koch den schwierigen Prozess der Meinungsfindung. «Man ringt so lange, bis man einen gemeinsamen Weg findet». Das sei viel mühsamer als ein demokratischer Mehrheitsentscheid, denn jeder müsse bereit sein, Meinungen, die er nicht ganz teile, dennoch gemeinsam mit anderen durchzubringen. Positiv erwähnt Koch: Die Synode habe etwa bezüglich den wiederverheirateten Geschiedenen entdeckt, dass man von der konkreten Situation einer Familie ausgehen müsse. Und ausserdem habe man nun nicht mehr nur von Problemen in der Familie gesprochen, sondern auch betont, dass viele christliche Familien das Christsein im besten Sinne lebten und ihnen dafür gedankt.

Einheitsförderung ist keine Schreibtischarbeit

Als Präsident des Rats für die Förderung der Einheit der Christen ist Koch nach eigenen Angaben nicht viel im Vatikan, sondern oft auf Reisen. «Meine Aufgabe kann ich nicht vom Schreibtisch aus erledigen», erklärt Koch im Gespräch mit kath.ch. Er reist beispielsweise, um an der Einsetzung oder am Begräbnis eines Patriarchen teilzunehmen, oder besucht einen Kongress der Juden, wie letztes Jahr in Basel.

In die Schweiz kommt Koch hin und wieder, am ehesten nach Genf, wo der Weltkirchenrat und der Lutherische Weltbund ihren Sitz haben. Alle Einladungen aus der Schweiz könne er nicht annehmen, er sei ja für ganze Wedlt zuständig, erklärte Koch im persönlichen Gespräch. Die aktuelle Einladung, die ihn nach Basel und Umgebung geführt hat, hat ihn positiv überrascht. Der christliche Verein Merkuria Basel, die Vereinigung Christlicher Unternehmer (VCU) sowie die Vereinigung «Kirche und Gesellschaft im Dialog» der CVP Baselland hatten den ehemaligen Bischof von Basel zu seinem fünfjährigen Jubiläum als Kardinal an drei verschiedene Anlässe eingeladen: neben dem Vortrag in der Kirche Oberwil an einen weiteren gleichentags an der Universität Basel zum Thema «Wohin geht die weltweite Ökumene? Entwicklungen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil» und an eine Messfeier in der St. Clarakirche in Basel am Samstagmorgen, 14. November. (rp)

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/kurt-koch-schwarze-schafe-aber-keine-woelfe-im-vatikan/