Ist Polizeibrief zu Dschihadismus rassistisch? – Bischofskonferenz sagt Nein

Frauenfeld, 28.10.15 (kath.ch) Die Menschenrechtsorganisation Humanrights.ch findet den Brief der Thurgauer Kantonspolizei an Behörden und Schulen «hochproblematisch», ebenso die Föderation islamischer Dachverbände. Im Brief zählte die Polizei Merkmale dschihadistischer Radikalisierung auf. Die Kommission Islam der Schweizer Bischofskonferenz sieht hingegen keinerlei Anlass zu Kritik am Polizeivorgehen.

Regula Pfeifer

Die Fachkommission Islam der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) beurteilt den Brief der Thurgauer Kantonspolizei als unproblematisch. «In ihrem Schreiben knüpft die Kantonspolizei Thurgau an auffällige Verhaltensweisen an, nicht an Eigenschaften von Personen», erklärte Erwin Tanner, Sekretär der Fachkommission und Generalsekretär der SBK, gegenüber kath.ch. Die Polizei mache damit nicht die Angehörigkeit zum Islam zum Thema. Tanners Fazit: «Für den Durchschnittsadressaten ergibt sich daraus weder eine Herabsetzung noch eine Geringschätzung von Muslimen und Musliminnen. Dieses Schreiben erfüllt nicht den Tatbestand von verbalem Rassismus.»

Im Interesse aller

Tanner glaubt auch nicht, dass das polizeiliche Vorgehen Auswirkungen auf das Zusammenleben der Religionen haben könnte. «Es muss ja im Interesse aller sein, dass ein friedliches und gedeihliches Zusammenleben möglich sein kann», erklärte er gegenüber kath.ch. Und da habe die Polizei die Aufgabe, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu schützen. Er gehe davon aus, dass die Kantonspolizei Thurgau die Frage abgeklärt habe, ob dieses Schreiben dafür angemessen sei.

Tatsächlich hat die Polizei sich im Vorfeld des Schreibens von Dschihad-Experten beraten lassen und beim Schreiben auf eine vorsichtige Wortwahl geachtet, wie deren Mediensprecher Daniel Metzler gegenüber kath.ch erklärte.

In einem Brief an Schulen und Behörden im September hatte die Thurgauer Kantonspolizei Merkmale aufgelistet, die auf eine Radikalisierung einer Person hindeuten könnten. Sie nannte dabei «auffallende äusserliche Veränderungen (Kleidung, Bart)», eine «plötzliche Sympathiebekundungen für den Islam oder IS», den «Rückzug aus dem sozialen Umfeld», ein «plötzlicher Abbruch der Schule oder Lehre», «auffällige finanzielle Unregelmässigkeiten (Fürsorge-, Betreibungsamt)», «intensives Surfen im Internet, insbesondere auf Kriegs- bzw. IS-Seiten» sowie «Hinweise aus dem Umfeld (Eltern, Kollegen, Arbeitgeber, etc.)».

Muslime und Menschenrechtsorganisation kritisieren «Profiling» scharf

Der Islamische Zentralrat hatte in einem offenen Brief vom 21. Oktober die Art kritisiert, wie die Polizei mit ihrem Brief gegen «Dschihad-Sympathisanten mobil mache». Sie setze mit ihrem «Profiling» Muslime der Gefahr eines gesellschaftlichen Generalverdachts aus.

Auch die Föderation islamischer Dachverbände der Schweiz (Fids) beurteilt das Vorgehen der Polizei als «äusserst problematisch». Diese von der Polizei erwähnten Merkmale seien «keinesfalls verlässliche Merkmale für die religiöse Radikalisierung», nimmt die Fids Stellung. «Tausende und Zehntausende Muslime in der Schweiz weisen entsprechende Merkmale auf und werden damit von offizieller Seite unter Generalverdacht gestellt», schreibt Fids-Mediensprecher Önder Günes. Die Verhinderung von Verbrechen und Gewalt sei wichtig, und die islamischen Verbände stünden als Partner für den konstruktiven Dialog und lösungsorientierte Ansätze gerne bereit, so Günes. «Die Kantonspolizei Thurgau schiesst mit dieser Initiative jedoch über das Ziel hinaus und lässt die notwendige Verhältnismässigkeit vermissen.» Die Organisation weist darauf hin, dass der Schuss hinten hinaus gehen könnte, denn: «Junge Gläubige erfahren eine behördliche Stigmatisierung und riskieren somit ihr Vertrauen in den Rechtsstaat zu verlieren.» Ob es sich bei der Thematik um Rassismus handle, möchte die Fids «nicht abschliessend beurteilen», sie bevorzuge eine Stellungnahme der entsprechenden Bundesstellen, liess sie verlauten.

Alarmiert zeigte sich auch die Menschenrechtsorganisation Humanrights.ch. «Der öffentliche Appell stellt einen massiven Eingriff in die Privatsphäre von betroffenen Personen dar, wofür vermutlich sowohl die gesetzliche Grundlage wie auch die Verhältnismässigkeit fehlt», erklärte Alex Sutter, Co-Leiter von Humanrights.ch, gegenüber kath.ch. Bei dem Brief handle es sich um einen Aufruf zum Denunziantentum, das sei hochproblematisch, fügte er hinzu.

Spielart des institutionellen Rassismus

Auch den Vorwurf des «Racial Profiling» schätzte Sutter als «begründet» ein. Darauf deute die Tatsache hin, dass es sich hier um eine Art flächendeckender Rasterfahndung handle, welche klar auf Merkmale und Verhalten einer religiösen Minderheit fokussiert sei. Sutter machte darauf aufmerksam, dass «Racial Profiling» als «Spielart des institutionellen Rassismus» gelte. Humanrights.ch wurde 1999 als Nachfolgeorganisation der «Akademie für Menschenrechte AMR» gegründet. Der Verein mit Sitz in Bern bezweckt eine bessere Verankerung der Menschenrechte. (rp)

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