Berliner Publizist warnt vor falscher Toleranz – «Kritik am Islam nicht als Beleidigung missverstehen»

Berlin/Gütersloh, 16.10.15 (kath.ch) Der Berliner Journalist und Publizist Alexander Kissler fordert in seinem neuen Buch vom Islam eine Anerkennung der westlichen Werte. Zugleich verlangt er vom Westen, seine eigenen Traditionen wie Meinungsfreiheit und Geschlechtergleichheit gegenüber dem Islam geltend zu machen. Kissler äusserte sich am Freitag, 16. Oktober, im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) über seine im Gütersloher Verlagshaus erschienene Publikation «Keine Toleranz den Intoleranten».

Andreas Otto

Herr Kissler, in Ihrem Buch «Keine Toleranz den Intoleranten» lassen Sie am Islam kein gutes Haar. Verträgt sich die Religion wirklich nicht mit Deutschland und dem Westen?

Alexander Kissler: Der Eindruck, dass ich am Islam kein gutes Haar lasse, ist falsch. Ich erwähne ausdrücklich die Blütezeit der islamischen Kultur, die Europa um das Jahr 1000 auf fast allen Gebieten überlegen war. Die Araber haben dem Abendland das griechische Erbe der Antike überliefert. In der Geschichte des Islam gibt es sehr verschiedene Phasen. Momentan scheint eine rigide und intolerante Form die Oberhand zu gewinnen. Und eine solche Lesart ist tatsächlich unvereinbar mit den westlichen Werten.

Sie geben viele Beispiele wie den Anschlag auf «Charlie Hebdo». Die Unterscheidung zwischen dem radikalen Islamisten und dem normalen Muslim kommt bei Ihnen etwas kurz.

Kissler: Ich unterstelle der friedlichen Mehrheit der Muslime gewiss keine bösen Absichten. Schaue ich aber auf Grundlagentexte, etwa die «Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Islam» oder die «Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam» von 1981 und 1990, muss ich feststellen: Menschenwürde meint unter islamischen Vorzeichen etwas ganz anderes als unter westlichen Vorzeichen. Sie gilt zunächst für Muslime. Tamim Ansary, ein amerikanischer Historiker afghanischer Herkunft, spricht von der «Unvereinbarkeit zwischen der islamischen Welt und dem Westen». Die ganze Welt muss nicht westlich werden; das ist mir ganz wichtig. Aber der Westen muss ein Recht haben, westlich zu bleiben.

Welche Werte genau muss denn der Westen gegenüber dem Islam verteidigen?

Kissler: Denke ich an die aufrüttelnde Rede Salman Rushdies zur Eröffnung der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, muss ich natürlich die Meinungsfreiheit nennen, ferner die Religionsfreiheit, die Freiheit der Wissenschaft und die Gleichberechtigung der Geschlechter. Der Islam begreift sich als beste Gemeinschaft unter Menschen. Wer dennoch austritt, gilt als moralisch verderbt oder gar denaturiert. Der Islam ist eine bewundernswerte Religion der Gleichheit, allerdings vor allem für Männer.

Einen Absolutheitsanspruch vertreten auch andere Religionen…

Kissler: In der Tat, dagegen ist nichts einzuwenden. Entscheidend ist die Art und Weise, auf welche dieser Anspruch vertreten wird. Wer sich vom Islam abwendet, muss mit sehr unangenehmen Folgen rechnen. Wir kennen die Geschichte der aus Somalia stammenden Frauenrechtlerin und ehemaligen niederländischen Parlamentsabgeordneten Ayaan Hirsi Ali, die nach heftiger Kritik an ihrer ablehnenden Haltung zum Islam nun in den USA lebt. Mir ist kein Fall bekannt, dass ein Christ, der sich auf dem Standesamt von seiner Kirche losgesagt hat, von wütenden Christen mit dem Tod bedroht wird. Auch die Mitgliedschaft in einer atheistischen Vereinigung wie der Giordano-Bruno-Stiftung zieht im Westen keine gesellschaftliche Ächtung nach sich. Gottlob.

Trauen Sie dem Islam nicht einen Prozess der Aufklärung zu, ähnlich wie das Christentum ihn durchgemacht hat?

Kissler: Ich bin optimistisch. Wir sollten dem Islam aber nicht den christlichen Weg vorschreiben. Die Muslime müssen selber wissen, in welche Richtung sie ihre so vielgestaltige Religion fortentwickeln wollen. Ein Islam, der im Westen heimisch werden will, muss bereit sein, unsere Werte anzuerkennen – selbst um den Preis, auf einen Teil der eigenen Traditionen zu verzichten. Die Gleichberechtigung der Geschlechter, die Meinungs-, Wissenschafts- und Religionsfreiheit sind unhintergehbar. Kritik am Islam darf nicht grundsätzlich als Beleidigung der Muslime missverstanden werden. Auch wenn die Freiheit der Satire eingeschränkt wird, dankt der Westen ab. Jede Religion – die christliche, die islamische, die jüdische oder die buddhistische – muss es ertragen, friedlich, aber entschieden kritisiert zu werden.

Wie soll man denn mit den islamischen Verbänden in Deutschland umgehen?

Kissler: Ich plädiere für eine Vielzahl von Begegnungen – im Grossen und im Kleinen. Nicht nur auf der Ebene der Verbände, sondern in der Zivilgesellschaft überhaupt sollte ein Gespräch zwischen Muslimen und Christen, Atheisten oder Anhängern anderer Religionen in Gang kommen. In einer offenen Gesellschaft gibt es viele Räume, in denen sich Menschen ganz unterschiedlicher Couleur begegnen können. Diese Räume müssen wir unbedingt offen halten. Es kann nicht sein, dass wir unsere Gesellschaft in einzelne Bereiche segregieren, auf die nur bestimmte Weltanschauungen Zugriff haben. Darum bin ich dagegen, dass es Sonderregeln für Muslime in öffentlichen Einrichtungen gibt – etwa gesonderte Schwimmzeiten in Bädern.

Ihr Konzept ist also Dialog?

Kissler: Mein Konzept ist das offene Gespräch. In einem solchen Gespräch muss der Westen von seinen eigenen Werten und Traditionen erzählen können, muss er wissen, dass seine Freiheitsgeschichte begann mit der griechischen Frage nach dem Guten, der römischen Frage nach dem Gerechten und der biblischen Frage nach dem Wahren. Heute verwechselt der Westen viel zu oft Toleranz mit Ignoranz. Wahre Toleranz aber ist ohne Haltung und ohne den Mut, Grenzen zu ziehen, nicht zu haben. (kna)

Alexander Kissler, Keine Toleranz den Intoleranten – Warum der Westen seine Werte verteidigen muss, Gütersloher Verlagshaus, 184 Seiten, zirka 25 Franken

Hinweis: Fotos finden Sie in der KNA-Bild-Datenbank auf www.kna-bild.de

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