Deutschsprachige Theologen zeigen Weg zur Einigkeit

Rom, 15.10.15 (kath.ch) Es ging noch nicht um das kontroverse Thema wiederverheiratete Geschiedene. Doch die Kardinäle Walter Kasper und Gerhard Ludwig Müller scheinen ein gemeinsames theologisches Fundament gefunden zu haben. Der britische Kardinal Vincent Nichols hat ausgesprochen, was unübersehbar war: Die Stellungnahme der deutschsprachigen Arbeitsgruppe der Bischofssynode ist ganz offensichtlich die theologisch ausgefeilteste von allen.

Thomas Jansen

Bemerkenswert fand der Erzbischof von Westminster in der vatikanischen Pressekonferenz am Mittwoch, 14. Oktober, nicht ohne Grund auch, dass die Stellungnahme einstimmig beschlossen wurde. Denn mit den Kardinälen Walter Kasper, Reinhard Marx und Christoph Schönborn auf der einen Seite und dem Präfekten der vatikanischen Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, sind in dieser Gruppe prominente Wortführer in der Debatte über eine Aktualisierung der kirchlichen Ehelehre.

Konkrete Situation und allgemeine Norm

Die eineinhalbseitige deutschsprachige Stellungnahme zum zweiten Teil des Arbeitspapiers der Synode ist eine theologische Abhandlung auf höchstem Niveau. Sie kreist um die Frage: Wie verhalten sich Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, Seelsorge und kirchliche Lehre, konkrete Situation und allgemeine Norm zueinander.

Wer hat sich nun durchgesetzt, Kardinal Kasper, der Vordenker eines «Wegs der Barmherzigkeit» oder Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der Präfekt der Glaubenskongregation, der bislang auf eine strikte Anwendung des Unauflöslichkeitsprinzips für die Ehe pochte? Diese Frage stellten sich am Mittwoch viele Beobachter. Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die theologische Schlüsselstelle des Textes, in der Thomas von Aquin (1225-1274) zitiert wird. Kasper veröffentlichte im Juni einen Aufsatz, in dem er seinen Vorschlag, im Einzelfall wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion zuzulassen, just mit diesem bedeutendsten mittelalterlichen Kirchenlehrer umfassend theologisch untermauerte. Seine damalige Argumentation findet sich nun in verkürzter Form in der Stellungnahme wieder.

Eheverständnis: Spannung unausweichlich

Die Kernaussage des Papiers lautet: Man darf nicht jede konkrete Situation einfach nach einem allgemeinen Prinzip beurteilen ohne die jeweiligen Umstände angemessen zu würdigen. Denn Gerechtigkeit und Barmherzigkeit seien keine Gegensätze, sondern müssten «mit Klugheit und Weisheit» auf die jeweilige, oft komplexe Situation angewendet werden. Die deutschsprachige Gruppe betont zugleich, dass ein Spannungsverhältnis zwischen einer «notwendigen Klarheit der Lehre von Ehe und Familie» und der seelsorgerischen Aufgabe unausweichlich sei.

Die zwölf weiteren Zwischenberichte bieten hingegen einen bunten Strauss an allgemeinen Vorschlägen und konkreten Änderungswünsche. Mehrfach findet sich die Forderung nach einer verständlicheren und positiveren Sprache der Kirche. Wiederholt wird etwa die Redeweise von der «Unauflöslichkeit der Ehe» als zu negativ kritisiert.

Die von Kardinal George Pell geleitete englischsprachige Gruppe wünscht sich ein Abschlussdokument des Papstes nach dem Ende der Synode. In die Richtung der deutschsprachigen Stellungnahme geht der Vorschlag einer der spanischsprachigen Gruppe, die von Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga gleitet wird: «Man sollte den Akzent auf die Gradualität und Prozesshaftigkeit setzen», heisst es darin mit Blick auf Ehe und Familie. Der zweite spanische Sprachzirkel vermisst im Arbeitspapier der Synode Themen wie Keuschheit, Jungfräulichkeit, Heiligkeit und Spiritualität der Familie.

Ringen um «wiederverheiratete Geschiedene» steht erst bevor

Das Thema wiederverheiratete Geschiedene wird in der deutschsprachigen Stellungnahme zwar nicht ausdrücklich erwähnt. Die Rede ist nur allgemein von Menschen «die in ihrer Lebensführung nur teilweise mit den Grundsätzen der Kirche übereinstimmen». Ausdrücklich auf der Tagesordnung steht es erst in den kommenden Tagen. Doch: Das theologische Fundament für eine mögliche Einigung in der Debatte um den kirchlichen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen in den kommenden Tagen dürfte damit gelegt sein.

Aufhorchen liess am Dienstag eine Aussage Müllers zu diesem Thema in einem Zeitungsinterview. «Man kann über die Umstände in Einzelfällen diskutieren, eine generelle Regelung ist nicht möglich», zitiert ihn das Blatt. Das hatte Müller öffentlich so noch nicht gesagt. Dementiert hat er diese Äusserung bislang nicht. (cic)

Hintergründe und Aktuelles zur Synode 15

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