Kardinal Schönborn: Voriger Synode mangelte es an Sinn für die Realität

Rom, 18.9.15 (kath.ch) Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn wünscht sich bei der kommenden Bischofssynode über die Familie mehr Sinn für die gesellschaftliche Realität. Es reiche nicht aus, Entwicklungen wie etwa das Zusammenleben von Paaren ohne Trauschein zu beklagen, sagte er der italienischen Jesuiten-Zeitschrift «Civilta Cattolica» (kommende Ausgabe) in einem vorab veröffentlichten Interview. Stattdessen gelte es zu fragen, was genau sich an den Lebensumständen der Menschen verändert habe.

Der moderne Mensch sei von unterschiedlichsten Einflüssen geprägt, psychologischen, politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen, so Schönborn. Diese Komplexität habe die Ausserordentliche Synode im Vorjahr nicht ausreichend in den Blick genommen. Auch über die Institution Ehe hätten die Synodalen nur sehr abstrakt gesprochen, so der Kardinal. So hätten es junge Menschen heute aufgrund der Situation auf dem Arbeitsmarkt sehr schwer, eine traditionelle Familie zu gründen. Nötig sei bei der Synode eine aufmerksame Wahrnehmung der realen Verhältnisse, nicht der dauernde Fingerzeig auf Hedonismus und einen übersteigerten Individualismus.

Schönborn zählt zu den von Papst Franziskus persönlich ernannten Teilnehmern der kommenden Familiensynode vom 4. bis 25. Oktober im Vatikan. Der Kardinal hatte auch bereits an der Vorgängersynode ein Jahr zuvor teilgenommen. Mit Blick auf die wiederverheirateten Geschiedenen, die nach katholischer Lehre nicht zur Kommunion und den anderen Sakramenten zugelassen sind, plädierte Schönborn für eine enge Begleitung durch die Kirche.

Gottes Anwesenheit spüren

Diese Menschen lebten zwar in einer irregulären Verbindung. Sie könnten aber auch zu einer inneren Einsicht im Glauben gelangen, die es geboten erscheinen lasse, zum Wohl des Glaubens einen Schritt über die objektive Regel hinauszugehen. In einem ähnlichen Sinne hatten Synodale wie der deutsche Kardinal Walter Kasper bei der Synode 2014 ein Nachdenken darüber angeregt, wiederverheiratete Geschiedene nach einem Weg der Busse wieder zu den Sakramenten zuzulassen.

Nach den Worten Schönborns kann es auch in irregulären Verbindungen viele Elemente von Wahrheit und Heiligkeit geben. Bei Paaren, die liebevolle Verantwortung füreinander übernähmen, sei Gottes Anwesenheit spürbar. Deshalb sollten die Synodalen nicht nur auf das schauen, was solchen Verbindungen fehlt, sondern auf das Gute, was schon da sei. (gs)

 

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