Bischof Büchel in Jerusalem: Flüchtlingsthematik bringt einen Schulterschluss der europäischen Bischöfe

Jerusalem, 17.9.15 (kath.ch) Eine positive Bilanz des sechstägigen Bischofstreffens im Heiligen Land zieht der St. Galler Bischof Markus Büchel. Der Austausch der europäischen Bischöfe über die Herausforderungen in den verschiedenen Ländern und das Erleben der Schwierigkeiten der Christen im Heiligen Land seien eine wichtige Erfahrung, sagte er im Interview mit kath.ch in Jerusalem. Das Treffen des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) ist am Mittwoch, 16. September, zu Ende gegangen.

Andrea Krogmann

Bischof Markus Büchel, was bewegt die europäischen Bischöfe momentan am meisten?

Markus Büchel: Im Moment ganz konkret ist die Frage der Flüchtlinge für uns als Kirche eine grosse Sorge in unseren Heimatländern. Wir haben unter uns Bischöfe, in deren Ländern die Menschen weggehen und andere, in deren Länder sie ankommen. Wir haben als europäische Gemeinschaft ein grosses Problem, wie wir mit dem immensen Zustrom umgehen. Die Kirchen sind offen und sagen, wir müssen alle Flüchtlinge als Menschen behandeln. Das ist eine sehr wichtige Botschaft. Die Kirche will helfen, kann es aber nur mit den staatlichen und gesellschaftlichen Möglichkeiten.

Gibt es in der Vielfalt der europäischen Länder, die im CCEE vertreten sind, so etwas wie eine gemeinsame Linie?

Büchel: Die Wahrnehmung zwischen West und Ost ist noch sehr verschieden, auch vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Realitäten, aus denen wir kommen. Es ist eine grosse Herausforderung, dem Rechnung zu tragen! Es tut gut, uns auszutauschen und das Verständnis füreinander zu gewinnen. Wir urteilen sehr oft von unseren Bedürfnissen, bei uns konkret in der Schweiz, im deutschsprachigen Raum oder in Westeuropa. Manche dieser Bedürfnisse sind Bedrohungen gegenüber anderen Teilen von Europa. Diese Spannung wird uns immer wieder sehr bewusst, deshalb ist der Dialog sehr wichtig. Das ist einer der Hauptgründe der Existenz des CCEE.

Hat die akute Situation der Flüchtlinge die europäischen Bischöfe eher zusammengebracht oder verstärkt sie die Konfliktfelder?

Büchel: Es bringt eher einen Schulterschluss. Es ist ein äusseres Problem, das auf uns alle zukommt. Sonst sind wir oft auf die Probleme nach innen gerichtet. Hier aber geht es vor allem um die Menschen, die Bedrohungen, unter denen sie stehen und die Herausforderungen, die damit auf uns zukommen.

Ebenfalls sehr aktuell sind die Herausforderungen, vor denen die Christen im Heiligen Land derzeit stehen. Welche Rolle hat dies für das CCEE-Treffen gespielt?

Büchel: Die Problematik der Christen im Heiligen Land wird uns in ganzer Tiefe bewusst, wenn man sie von Menschen selber hört und miterlebt. Man weiss von den politischen Schwierigkeiten und den allgemeinen Sorgen der Christen, aber was das konkret heisst im Alltag, muss man in den Begegnungen spüren. Von daher war es ein zentrales Zeichen, dass Bischöfe aus ganz Europa miteinander hier waren und diese Begegnung stattgefunden hat. Die Christen hier haben ein tiefes Bewusstsein dafür, dass sie in der Kirche die Aufgabe haben, Zeugnis zu geben aus dem Land, in dem Jesus gelebt hat. Das zu erleben ist ein ganz grosses Geschenk, aber es meint auch die Herausforderung, ihnen zu helfen, hier zu bleiben und hier Zeugnis zu geben.

Es ist erschütternd zu hören, dass es für junge Christen keine Arbeit gibt, dass die Schulen unter Druck sind und dass der christliche Geist sich so nicht entfalten kann. In der Diversität der Christen in den verschiedenen Konfessionen wird es nochmal schwieriger. Ich möchte ganz deutlich betonen: Begegnungen sind wichtig, Wallfahrten sind wichtig. Menschen müssen auf diesem Boden stehen, auf dem Jesus gewandert ist. Auch wenn man schwitzt wie verrückt, tut das gut zu spüren: In dieser Hitze hat Jesus gepredigt und sich für Menschen eingesetzt.

Ist das der Appell, den Sie mit in die Schweiz nehmen?

Büchel: Wir müssen äussere Mauern überwinden. Aber wir müssen auch die Mauern in unserem Innersten abbauen, Mauern der Angst, des Hasses. Da hat das Christentum eine ungeheure Kraft, wenn es immer wieder auf Gerechtigkeit, auf Frieden und Versöhnung hindrängt. Diesen Prozess zu fördern, muss unsere Aufgabe sein, und zwar wenn möglich gewaltfrei. Das wird ein langer Prozess sein, den wir nicht selber herbeizaubern können, sondern der aus einer geistlichen Erneuerung heraus geschehen muss, in der wir spüren, was eigentlich das Wesentliche unsres Christseins ist. Dass Jesus als der Auferstandene in der Kirche und mit jedem Menschen guten Willens weiterlebt und sein Geist Menschen bewegt, auf Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung hinzuarbeiten, das ist die politische Dimension unsres Evangeliums.

Sprechen wir von einer anderen politischen Dimension: Die Schweiz und die Schweizer Kirche sind ein Sonderfall in Europa. Inwieweit spielt die Schweiz eine Rolle für Europa?

Büchel: Wir spüren bei den Herausforderungen, die uns immer mehr global treffen, wie schwierig es ist, einen Zusammenschluss der Länder zu finden. Das ist ein Weg, den wir zum Teil seit Jahrhunderten in unserem Land gehen mit den Kantonen, die eigentlich Staaten sind. Wir haben einen Weg entwickelt, der sehr basisorientiert ist und permanent das Volk mitnimmt. Nach einem langen und geduldigen Prozess sind wir soweit, dass wir sagen, wir sind ein Volk, das als Konföderation zusammengewachsen ist und funktioniert.

Auch wenn nicht alles bei uns heiligzusprechen ist: Ein kleines Modell für Europa wäre die Schweiz eigentlich. Wir haben eine Solidarität gegenüber Kantonen, die materiell nicht an der Spitze stehen. Vieles, was in zentralistischer regierten Ländern geht, wäre bei uns nicht möglich. Aber wir haben eine humanitäre Tradition, die uns über alles hinweg immer wieder verbindet und international eine grosse Auswirkung hat. Dass das Sekretariat des CCEE in St. Gallen ist, war eine diplomatische Entscheidung, weil wir eine Neutralität haben, ohne die zur Zeit des Eisernen Vorhangs mancher Zugang zum Osten verwehrt geblieben wäre.

Frage: Was konkret könnte denn die Schweiz umgekehrt von Europa lernen?

Büchel: Wir sind als kleines Land immer wieder in der Versuchung, uns abzuschotten. Wem es gut geht, der will dies bewahren und hat Angst, er müsse etwas abgeben. Jetzt haben wir die Aufgabe, uns nicht als Sonderfall zu betrachten, sondern uns einzubringen, wenn es etwa um die Aufnahme von Flüchtlingen geht.

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