Christlicher Sozialethiker beurteilt Asyldiskurs: Bewegen sich die Parteien im roten oder grünen Bereich?

Zürich, 15.9.15 (kath.ch) Der Asyldiskurs der SVP, der FDP und teilweise der CVP steht «in einer recht grossen Spannung zu dem, was christliche Grundwerte fordern». Bei der SP und den Grünen ist das «weniger» der Fall, weil sie sich auf die Menschenrechte berufen. Dies sagt der Theologe Thomas Wallimann-Sasaki gegenüber kath.ch. Der Sozialethiker wirft aus christlicher Sicht einen Blick auf den Asyldiskurs der Parteien. Wallimann-Sasaki politisiert im Kanton Nidwalden für die Grünen.

Barbara Ludwig

Die SVP hat Anfang Juli eine Offensive gegen die Asylpolitik der Schweizer Behörden gestartet, die sie mit dem Schlagwort «Asylchaos» hart kritisiert. Aus Sicht von Wallimann versteckt sich hinter der von der Partei verwendeten Wortwahl bereits eine Absicht. «Sie wählt eine Begrifflichkeit, die nicht neutral ist.» Der Partei wirft der katholische Theologe vor, gar kein Interesse an einer «Faktendiskussion» zu haben. «Sie will das Thema für ihre eigenen Interessen nutzen und agiert entsprechend. Sie weiss: Menschen reagieren zuverlässig, wenn man ihnen Angst macht.»

«Den bürgerlichen Parteien geht es nur ums Geld»

Die Anfang August präsentierten Vorschläge von CVP-Politikern, Asylbewerbern kein Bargeld mehr zu geben und sie ohne Lohn arbeiten zu lassen, hält Wallimann für «schwachen Populismus». Und «armselig», weil die Partei in ihrem Namen nach wie vor auf einen «Wertekatalog» verweist, «den man etwas ernster nehmen sollte». Die Forderungen stünden teilweise im Widerspruch zu Grundrechten und seien eine Provokation: «Die Menschen wissen noch, dass christlich sein nicht heisst, zuerst auf den eigenen Nutzen zu schauen, dann darauf, dass es uns wirtschaftlich gut geht, und am Schluss noch ein bisschen humanitär zu sein.»

Fragwürdig hält der Theologe generell die von den bürgerlichen Parteien praktizierte Unterscheidung zwischen «echten Flüchtlingen» und den sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen, «die umgehend in ihre Heimatländer zurückgeschafft werden müssen», wie es die CVP auf ihrer Homepage formuliert. «Durch diese Unterscheidung verraten sich die Parteien. Sie zeigen nämlich, dass für sie nur ein Kriterium wichtig ist, und das ist die Wirtschaft. Das spürt man immer wieder: Es geht nur ums Geld.»

Das Christentum unterscheide nicht zwischen Einheimischen und Fremden. «Es gibt einfach Menschen. Und jeder Mensch ist mein Nächster und verdient den genau gleichen Respekt.»

Orientierung an Menschenrechten begründet andere Politik

Mehr Sympathie hat Wallimann für die Positionen der Grünen und der SP. Die Grünen haben Ende Juli mit einer Online-Kampagne unter dem Titel «Schutz statt Hetze» auf die SVP-Asyloffensive reagiert und sich damit im Wahlkampf als Gegenpol positioniert. Die ökologische Partei betrachtet die Niederlassungsfreiheit grundsätzlich als Menschenrecht, wie sie auf ihrer Homepage schreibt. Auch die SP, die sich zunächst in der Asylfrage zurückhaltend verhielt, forderte schliesslich angesichts der Flüchtlingskrise in Europa ein Umdenken in der Migrationspolitik. Es brauche legale Anlaufstellen und sichere Routen für Flüchtlinge sowie mehr Offenheit und Integration statt Abschottung und Abschreckung, teilte die Partei am 29. August mit.

«Interessant ist aus einer ethischen Sicht, dass sich die beiden Parteien auf die Menschenrechte berufen, und nicht der Wirtschaft die oberste Priorität geben oder auf Abschottung und Nationalismus setzen», sagt Wallimann dazu. «Dadurch kommen sie zu anderen Schlussfolgerungen als die bürgerlichen Parteien und finden: Wir müssen unsere Politik ändern. Wir müssen tatsächlich anders mit den Flüchtlingen umgehen.»

Abschottung ist unchristlich

Die Stossrichtung von SP und Grünen sei tatsächlich «viel stärker mit einer christlichen Sichtweise kompatibel», sagt der Sozialethiker. Je «abschottender» eine Politik oder eine Position sei, umso weniger komme sie der christlichen Grundhaltung nahe, erklärt Wallimann. Der Asyldiskurs der SVP, der FDP und teilweise der CVP stehe «in einer recht grossen Spannung zu dem, was christliche Grundwerte fordern», während dies bei der SP und den Grünen «weniger» der Fall sei, weil sie sich auf die Menschenrechte berufen.

Der Sozialethiker weigert sich aber, der aktuellen Asylpolitik irgendeiner Partei das Label «christlich» zu vergeben. Er hält es für klüger, die Prinzipien zu benennen, an denen sich eine Asyl- oder Migrationspolitik zu orientieren hätte, die christlich sein will.

Reichtum verpflichtet die Schweizer zum Teilen

Zunächst müsse der Mensch als Mensch in seiner Würde respektiert werden, so Wallimann. Dies gelte insbesondere gegenüber den Armen, Benachteiligten und Schwachen. Am Umgang mit diesen zeige sich nämlich, ob man den Menschen tatsächlich als Menschen ernst nehme. Drittens verpflichteten Wohlstand und Reichtum zum Teilen. «Wir Schweizer müssen uns bewusst sein, dass wir Verpflichtungen internationaler Art haben, gerade weil wir auch immer international profitiert haben.» Die Schweiz sei verpflichtet, aus ihrer Stärke heraus etwas zu unternehmen. Dies könne auf unterschiedlichen Ebenen geschehen, durch Diplomatie, auf wirtschaftlicher oder geldpolitischer Ebene. «Es ist nicht so, dass wir einfach hilflose, arme Bauern sind. Bei uns sind grosse Unternehmen angesiedelt, wir haben die grössten Geldinstitute», argumentiert Wallimann. Die Schweiz hätte viele Möglichkeiten. «Das verpflichtet auch.» (bal)

 

 

 

 

 

 

 

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