Gedanken zum Sonntag: Einäugig in den Himmel

Gedanken zum Sonntag, 27.September 2015

Ingrid Grave*

Zürich, 28.8.15 (kath.ch) Was soll doch ein solcher Text in der Bibel! Pure Übertreibung? Oder Angstmacherei, um die Leute an der Kandare zu halten? Letzteres scheint sowieso immer weniger zu funktionieren! Also schauen wir genau hin, was da geschrieben steht (Mk 9, 38 – 48), was Jesus in Bezug auf Himmel und Hölle gesagt haben soll.

Nehmen wir vorweg: Jesus als Wanderprediger war weder naiv noch fanatisch. Wohl aber bediente er sich nicht selten einer bildhaften Sprache, die einem – wie hier – einen gelinden Schrecken einjagen kann. Ist es wirklich besser, sich ein Auge auszureissen, bevor man sich mit beiden Augen in eine böse Sache verrennt oder sich sündhaft an einem Kind vergreift? Lieber mit einem Auge in den Himmel als mit zweien in die Hölle? Dasselbe sagt er von den Händen. Wenn unsere Hand nach Unerlaubtem, nach Bösem zu greifen sich anschickt, dann sei es besser, sie zuvor abzuhacken. Lieber einhändig in den Himmel als zweihändig in die Hölle.

Ich weiss natürlich nicht, ob sich Jesus solcher Bilder bedient hat. Oder will der Evangelist Markus deutlich machen, mit welcher Leidenschaft Jesus zu den Menschen gesprochen hat, um sie vor Entscheidungen zu schützen, die ihr Leben kaputt machen? Manche Menschen zur Zeit Jesu mögen solche Worte eins zu eins aufgenommen haben. Diese Menschen gibt’s auch heute noch. Und die andern, denke ich, werden verstanden haben, worum es Jesus geht, nämlich um ein gutes Leben.

Ausdrücklich erwähnt er die Kinder: Wer sie verführt, der sollte mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen werden. Ein hartes Wort. Ich denke in diesem Zusammenhang an Kindersoldaten, aber auch an den sexuellen Missbrauch. In beiden Fällen sind diese Kinder für ihr Leben geprägt, ja, tief verwundet. Es geht Jesus um ein gutes Leben ohne Hinterlist, ohne Gewalt, ohne Verführung. Und dies alles gegenüber arglosen Menschen, gegen die Wehrlosen im Angesicht von Krieg und in Bezug auf jene, die davor fliehen. Gerade sie, die Flüchtenden, suchen ein Stück Himmel. Was Hölle ist, haben sie erfahren. Hölle, menschengemacht! Es gibt im Hier und Jetzt auch den Himmel – von Menschen gemacht – für Menschen. Das ist der Himmel, an dem wir arbeiten können, der uns einen Vorgeschmack gibt von dem anderen, auf den wir hoffen.

*Ingrid Grave ist Dominikanerin in Zürich, wo sie in der Ökumene und in der Seelsorge engagiert ist. (ig)

 

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