Harald Rein, Bischof der Christkatholiken: «Handelsreisender in Sachen Religion»

Bern/Zürich, 27.8.15 (kath.ch) Die christkatholische Kirche steht der römisch-katholischen Kirche in Lehre und Organisation nahe. In der Schweiz allerdings gibt es eine Besonderheit: Die Kirche verfügt sowohl über eine bischöflich-lineare wie eine synodal-demokratische Struktur. Der christkatholische Bischof Harald Rein erklärt im Gespräch mit kath.ch, wie sich das im Alltag auswirkt und wie er die Zusammenarbeit der grossen Konfessionen in der Schweiz wahrnimmt. Harald Rein ist seit 2014 Präsident der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Schweiz.

Martin Spilker

Der Bischofssitz der christkatholischen – oder altkatholischen – Kirche befindet sich in Bern an bevorzugter Lage: In der Elfenau, einem Diplomatenquartier der Hauptstadt. Treffpunkt für das Gespräch mit Harald Rein ist allerdings das Kirchgemeindehaus der Augustinerkirche in der Zürcher Altstadt. Zum einen wird das Bischofshaus in Bern gerade renoviert, zum anderen versteht Harald Rein sein Amt in einem sehr ursprünglichen Sinn: «Ich bin Bischof, um die Mitglieder unserer Kirche im Glauben zu stärken.» Und aus diesem Grund ist Harald Rein rund die Hälfte seiner Arbeitszeit unterwegs und unterhält einen sehr engen Kontakt zu den 36 Kirchgemeinden im Land.

Vertraut mit den Gemeinden

Dazu gehört auch die alle zwei Jahre in jeder Gemeinde gefeierte Firmung, die der Bischof gleich mit einem Besuch über das ganze Wochenende verbindet. Dabei trifft er auch auf alte Bekannte: Bevor Harald Rein 2009 zum Bischof gewählt und geweiht wurde, war er Pfarrer im Fricktal (Kanton Aargau), in Winterthur und in der Stadt Zürich. Der im deutschen Rheinland aufgewachsene Theologe hat in Bonn und Bern christkatholische Theologie studiert und an der römisch-katholischen theologischen Fakultät in Luzern ein Doktorat absolviert.

Harald Rein kennt daher die Schweizer Strukturen sehr gut. Dazu gehört auch die Besonderheit der christkatholischen Kirche in der Schweiz. Im Unterschied zu anderen Ländern ist die Kirche hier in einem bischöflich-synodalen System organisiert. «Hier gilt 1:1», hebt Harald Rein hervor: Während andernorts der Bischof eine stärkere Stellung hat, stehen bei den Schweizer Christkatholiken die Synode mit den Vertretungen der Kirchgemeinden und der Bischof auf einer Ebene. Das erfordere gewiss eine «komplexere Konsensfindung», wie es Harald Rein ausdrückt, sei aber auch ein Spiegelbild des politischen Systems im Land.

30 Prozent aktive Kirchenmitglieder

Als gebürtiger Deutscher, der sich die Schweiz als Lebens- und Wirkungsstätte ausgesucht hat, sieht Harald Rein seine spezielle Stellung als Bischof auf einer Ebene mit der Synode ohne Vorbehalte. Umgekehrt habe die christkatholische Kirche als kleinste Konfession den Status einer Landeskirche in der Schweiz, was Harald Rein sehr hoch schätzt. «Damit wird unsere Kirche vom Staat offiziell anerkannt. Das ist dem Religionsfrieden förderlich», so Harald Rein. Mit Blick auf den Religionsfrieden spricht er sich auch dafür aus, den Islam in der Schweiz öffentlich-rechtlich anzuerkennen.

Als Vertreter einer zahlenmässig kleinen Kirche kann der christkatholische Bischof aber auch von beeindruckend grossen Zahlen berichten. So sind in den Kirchgemeinden nicht weniger als 30 Prozent der Mitglieder aktiv am Kirchenleben beteiligt. Hier sieht Rein einen Vorteil der kleinen Kirche: So lasse sich, beispielsweise mit Blick auf Reformen, schnell etwas verändern und die gegenseitige Anteilnahme über die Kirchgemeinden hinaus sei sehr gross. Die kurzen Wege bekommt Harald Rein aber auch direkt zu spüren: «Wer ein Problem hat, geht gleich zum Bischof», sagt er schmunzelnd.

Wachsende Kirche, herausgefordertes Christentum

Die christkatholische Kirche in der Schweiz wächst zurzeit um rund 5 Prozent pro Jahr. Unter den Neumitgliedern finden sich auch einige ursprünglich römisch-katholische Christen, die in der Partnerkirche «die Mitte» suchen, wie es Harald Rein umschreibt. Dennoch macht sich Harald Rein nichts vor: «Das Christentum in Europa geht generell zurück.»

Als Vorsteher der kleinsten Landeskirche ist Harald Rein ein guter Kontakt zur römisch-katholischen und protestantischen Kirche sehr wichtig und er schätzt die guten Beziehungen. Die Ökumene ist ihm grundsätzlich ein grosses Anliegen. So steht Harald Rein seit 2014 der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen Schweiz (AGCK) als Präsident vor. Als Theologe und als Bischof der kleinsten Landeskirche sagt er zum Thema Ökumene klar und deutlich: «Es ist Aufgabe jeder Konfession, zuerst den christlichen Glauben zu verkünden. Erst an zweiter Stelle geht es um die Ausgestaltung der eigenen Kirche.»

Den Menschen stärken

So erstaunt es auch nicht, dass Bischof Harald Rein, angesprochen auf die grössten Unterschiede zwischen christkatholischer und römisch-katholischer Lehre – von den Gemeinsamkeiten spricht. Bei den aktuell vieldiskutierten Themen Ehe, Familie, Homosexualität beispielsweise sagt Harald Rein, habe die christkatholische Kirche dieselbe Auffassung, wie die römisch-katholische: Das Zusammenleben von Mann und Frau mit dem Ziel der Familiengründung sei die in der Bibel eindeutig privilegierte Lebensform, die sich im Sakrament der Ehe konstituiere.

Die Gesellschaft zeige aber, dass es auch ganz andere Formen des Zusammenlebens gebe: Homosexuelle Partnerschaften, wiederverheiratete Geschiedene. Hier habe die christkatholische Kirche eine andere seelsorgerliche Praxis. «Uns geht zuerst darum, den Menschen konstruktiv leben zu helfen», so Harald Rein.

Gegenwart und Zukunft

Der «Handelsreisende in Sachen Religion», wie sich der christkatholische Bischof selber bezeichnet, fühlt sich sichtlich wohl in seiner Rolle. Dass er, wenn er als Bischof an offiziellen Anlässen seine Gattin vorstellt, manchmal komisch angeschaut wird, nimmt er mit Schulterzucken zur Kenntnis. In anderen Kulturräumen sei dies überhaupt kein Problem.

Und wo sieht Harald Rein die christkatholische Kirche in 50 Jahren? Prognosen mag er keine stellen. Doch hofft der Bischof, dass in Zukunft die christkatholischen, anglikanischen und orthodoxen Kirchen noch näher zusammenrücken. Durch die immer offeneren Grenzen biete sich diese Möglichkeit geradezu an. Und wird die Trennung zwischen der christkatholischen und der römisch-katholischen Kirche auch einmal aufgehoben? «Das hängt ganz allein von der Papstfrage ab», sagt Harald Rein. Aus theologischer Sicht aber, so der Bischof, sei die Spaltung der Kirche in Konfessionen eindeutig zu benennen: «Eine Sünde.» (ms)

 

Sechs Fragen an Bischof Harald Rein

1. Was gefällt Ihnen an der römisch-katholischen Kirche?

Das Bewusstsein einer Weltkirche.

2. Was stört Sie daran?

Dass durch diese Weitläufigkeit und die Grösse der Kirche Reformen sehr lange dauern.

3. Was gefällt Ihnen an der evangelisch-reformierten Kirche?

Dass sich jeder Mensch für sich und vor Gott eigenverantwortlich versteht.

4. Was stört Sie daran?

Es fehlt eine einheitliche Linie.

5. Welche Note geben Sie der Ökumene in der Schweiz (1-6)?

Note 5. Die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen leistet sehr viel. Die Ökumene müsste in der Schweiz aber gegenüber Freikirchen noch offener sein.

6. Wie beurteilen Sie die Religiosität in der Schweiz?

Stark abnehmend, immer individualistischer und synkretistischer*.  (ms)

* Synkretismus: Verschmelzung verschiedener religiöser Inhalte/Richtungen.

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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