Papst offen für wiederverheiratete Geschiedene – Signal an die Synode?

Rom, 6.8.15 (kath.ch) Mit bemerkenswerten Aussagen zu einem sensiblen Thema hat Papst Franziskus am Mittwoch, 5. August, seine wöchentlichen Generalaudienzen nach der Sommerpause wieder aufgenommen: Ausführlich sprach er in seiner Katechese über den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen in der Kirche. Ob man diese Gruppe unter bestimmten Umständen wieder zu den Sakramenten, insbesondere zur Eucharistie zulassen soll, zählt derzeit zu den heissesten Eisen in der innerkirchlichen Debatte und dürfte im Oktober eine der umstrittensten Fragen für die Bischofssynode über die Familie sein.

Christoph Schmidt

«In der Tat sind diese Personen keineswegs exkommuniziert; sie sind nicht exkommuniziert! Und sie dürfen absolut nicht als solche behandelt werden. Sie sind stets Teil der Kirche», sagte Franziskus. Auch wenn die Zweitehe nach einer Scheidung gegen die Lehre von den Sakramenten verstosse, wie er ausdrücklich hinzufügte. Mit beiden Gedanken bestätigte Franziskus zwar nur die klassische Lehre der Kirche, die wiederverheiratete Geschiedene ausdrücklich zur Teilnahme am kirchlichen Leben einlädt und ihnen die «geistliche Kommunion» empfiehlt. Trotzdem liessen Zeitpunkt, Tonlage und Argumente des Papstes aufhorchen.

Differenzierte Betrachtung von Einzelschicksalen

Seinen oft verwendeten Gedanken der Barmherzigkeit formulierte er diesmal konkreter und sprach wiederholt von der Kirche als liebender Mutter, die immer das Gute und das Heil für den Einzelnen wolle. Die Kirche, so Franziskus, müsse ein offenes Haus sein für jeden. «Also keine geschlossenen Türen!»

Auffallend war der Appell an die Dynamik der innerkirchlichen Entwicklung. Bereits seine Vorgänger hätten das Bewusstsein für den geschwisterlichen Umgang mit Wiederverheirateten geschärft. «In diesen Jahrzehnten war die Kirche wahrlich weder unsensibel noch faul.» Nun komme es darauf an, diese Haltung in den Gemeinden weiterzuentwickeln, damit sich die Betroffenen stärker in und für die Kirche engagieren könnten.

Franziskus mahnte zu einer differenzierteren Betrachtung von Einzelschicksalen. Für ihn gibt es einen Unterschied zwischen dem Ehepartner, der die Scheidung verursacht, und jenem, der sie erleidet. Damit nahm er eine Position von Papst Johannes Paul II. auf. Auf Beachtung stiess vor allem die Intensität, mit der Franziskus den Blick auf die Situation von Kindern aus Zweitehen richtete. «Wenn wir diese neuen Verbindungen aus den Augen der Kinder betrachten, dann sehen wir noch mehr die Notwendigkeit, in unseren Gemeinden eine wirkliche Aufnahme der Menschen zu entwickeln, die in solchen Situationen leben.» Es gehe nicht an, Eltern die christliche Erziehung ans Herz zu legen und sich gleichzeitig als Kirche von ihnen zu distanzieren. Kinder müssten die Kirche vielmehr als sorgende Mutter erleben.

Erste Generealaudienz nach den Sommerferien

Im Kern geht es dem Papst um ein stärkeres Zugehörigkeitsgefühl von wiederverheirateten Geschiedenen zur Kirche. Sie müssen aus seiner Sicht mehr zur Teilnahme an der Liturgie ermutigt werden. Obwohl der Papst die bisherige Lehrmeinung damit nicht antastet und die Frage nach dem Sakramentenempfang gar nicht ansprach, dürfte mancher diese Audienz als Signal an die Synode empfinden. Dass er ausgerechnet die erste Generalaudienz nach der Sommerpause wählte, um sich ausführlicher als bisher mit dem Thema zu befassen, wird kein Zufall sein. Anders als etwa Zeitungsinterviews sind die selten aufsehenerregenden Generalaudienzen ausserdem Teil des päpstlichen Lehramtes. Damit wandte sich Franziskus nicht an einen ausgesuchten Kreis kirchlicher Würdenträger, sondern an das ganze Kirchenvolk.

Mit seinem Plädoyer für eine verständnisvollere Beurteilung der individuellen Lebensgeschichten Wiederverheirateter und seiner Sorge um die Kinder Betroffener hat der Papst nicht zuletzt Argumente aufgegriffen, die während der Synode im Herbst 2014 auch von den Befürwortern einer Wiederzulassung zu den Sakramenten angebracht wurden. Ob der Papst damit bereits die Richtung für die kommende Bischofsversammlung vorgeben wollte, dürfte in den folgenden Wochen lebhaft diskutiert werden. Er selbst jedenfalls zitierte am Mittwoch auch seinen Vorgänger Benedikt XVI., der beim Weltfamilientreffen in Mailand 2012 betonte, in dieser Frage gebe es keine «einfachen Rezepte». (cic)

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