Caritas-Studie zeigt die prekäre Situation Alleinerziehender auf

Bern, 12.6.15 (kath.ch) Wie schwierig das Leben als armutsbetroffene Alleinerziehende aussieht, beweist Caritas Schweiz mit einer wissenschaftlichen Studie der Universität Bern. Die prekäre finanzielle Lage und die schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Familie zeigten sich hier ausgeprägt, hiess es an der Medienorientierung vom Freitag, 12. Juni, in Bern. Caritas verlangt Familienergänzungsleistungen, die Mankoteilung bei Scheidung, eine Alimentenharmonisierung, gezielte Bildung und mehr, um Einelternfamilien vor Armut zu bewahren oder daraus hinauszuführen.

Regula Pfeifer

Eine alleinerziehende Mutter, Verkäuferin, muss oft und manchmal auch spontan Abendeinsätze leisten. Die Mitarbeiterin in der Medienbranche muss sich rechtfertigen, wenn sie ihr Kind um 18 Uhr von der Kindertagesstätte abholt. Zudem gerät sie phasenweise unter enormen Druck, wenn Überstunden verlangt sind und sie dafür zusätzliche Kinderbetreuung organisieren muss. Solche und ähnliche Lebensrealitäten zeigt die neue Studie «Alleinerziehend und Armut» auf, die das interdisziplinäre Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern im Auftrag von Caritas Schweiz durchgeführt hat.

Die Wissenschaftlerinnen haben für die Studie elf alleinerziehende armutsbetroffene Frauen und drei Expertinnen befragt. Das sind wenig angesichts von rund 600’000 Armutsbetroffenen, darunter viele Einelternfamilien. Es handle sich um eine qualitative Erhebung zur Situation armutsbetroffener Alleinerziehender, erkärte Michèle Amacker, Co-Autorin der Studie an der Medienveranstaltung in Bern.

Im Clinch zwischen Schul- und Arbeitszeiten

Die betroffenen Mütter – das sind 86 Prozent der Alleinerziehenden – steckten im Clinch zwischen zwei unvereinbaren Systemen, analysierte Hugo Fasel, Direktor von Caritas Schweiz, die Aussagen: dem rigiden, durch die Schul- und Fremdbetreuungszeiten der Kinder bedingten und dem stark flexibilisierten der Arbeitswelt. Vor allem die typisch weiblichen Tieflohnbranchen, etwa der Detailhandel, Gastgewerbe oder in der Pflege, verlangten überdurchschnittlich viel zeitliche Flexibilität und seien zudem schlecht bezahlt, führte Amacker aus.

Prekäre Anstellungsverhältnisse – etwa im Stundenlohn – erschwerten die finanzielle Lage zusätzlich. In einer solchen Situation ist entscheidend, ob ein soziales Netzwerk da ist, das Unterstützung bieten kann, wie Amacker in den Gesprächen erfuhr. Also, ob Grosseltern spontan für die Kinder schauen könnten oder Bekannte Kleider schenkten. Deshalb sei es so wichtig, dass diese Menschen in ihrem sozialen Umfeld bleiben könnten. Ein von der Sozialhilfe erzwungener Umzug – wegen zu hoher Miete – verschlimmere die Situation oft zusätzlich.

Unter Dauerstrom

Alleinerziehende sind laut Studie anhaltendem Stress ausgesetzt, da sie rund um die Uhr funktionieren müssen und für alles verantwortlich sind. Das führe zu Rücken- und Kopfschmerzen, Ängsten, Depressionen und sozialem Rückzug.

«Jede sechste alleinerziehende Familie ist von Armut betroffen», führte Bettina Fredrich, Leiterin Fachstelle Sozialpolitik bei Caritas Schweiz aus. Ihre Armutsquote von 16,5 Prozent sei viermal so hoch wie jene von Zweielternfamilien. Und unter den Alleinerziehenden gebe es viermal mehr Working Poor als in der Gesamtbevölkerung. Die Anzahl Alleinerziehender hat sich laut Fredrich seit den 1970er-Jahren verdoppelt. Alleinige Erziehung ist weiblich, sie liegt zu 86 Prozent in den Händen von Frauen. Viele von ihnen arbeiten Teilzeit und erhalten zu tiefe Alimente. Das führe sie direkt in die Sozialhilfe.

Caritas fordert Mankoteilung, Alimentenharmonisierung und Familienergänzungsleistungen

Aus diesen Erkenntnissen folgert Caritas Schweiz einigen Handlungsbedarf, wie sie in ihrem Positionspapier «Gegen die Armut Alleinerziehender» schreibt. Als Massnahmen für die Existenzsicherung Alleinerziehender fordert die Organisation die Einführung der Mankoteilung bei der Scheidung: Bei ungenügendem Einkommen müsse der Fehlbetrag unter den Eltern aufgeteilt und nicht wie bisher der Mutter angelastet werden.

Die Kantone müssten die Alimentenbevorschussung untereinander harmonisieren und Familienergänzungsleistungen einführen – nach dem Vorbild von Tessin, Solothurn, Waadt und Genf. Die Sozialhilfe ruft Caritas auf, die berufliche Integration Alleinerziehender mit Weiter- und Nachholbildung nachhaltig zu verbessern. Zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sollten einerseits die Arbeitgeber der Prekarisierung entgegenwirken und Care-Verpflichtungen berücksichtigen. Andererseits seien preisgünstige, erreichbare Angebote familienergänzender Betreuung mit flexibleren Öffnungszeiten bereitzustellen und innovative Care-Modelle zu prüfen.

Weiter regt Caritas die Förderung generationenübergreifender, genossenschaftlicher und preisgünstiger Wohnformen an. Diese würden helfen, soziale Netzwerke aufzubauen. Zudem brauche es Beratungsstellen und Chancengleichheit für Kinder. Die frühe Förderung armutsbetroffener Kinder sei entscheidend für einen fairen Start ins Leben, erklärte Fredrich.

Ob Caritas mit ihren Erkenntnissen auf die Politik zugehe, fragte kath.ch in die Runde. Gute Frage, antwortete Hugo Fasel und erklärte: Caritas schicke ihr Positionenpapier zum Thema an alle Parteisekretariate. Doch leider sei die Armutsfrage kantonal geregelt. «Das heisst, wir müssen auf 26 Kantone zugehen», illustrierte Fasel die Schwierigkeit. Auf nationaler Ebene sei Lobbying gut möglich, auf kantonaler hingegen sehr schwierig. (rp)

 

 

 

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