Dicke Post aus der Schweiz an den Vatikan – Helvetiens Katholiken fordern Ehepastoral mit Bodenhaftung

Freiburg i.Ü., 5.5.15 (kath.ch) Grosse Hausaufgaben für die Bischöfe der Weltkirche: Die Schweizer Katholiken fordern von ihrer Kirche eine ganz neue Ehetheologie, die bei den «Sehnsüchten und Erfahrungen» der Menschen ansetzt. Dies zeigt laut Arnd Bünker, Sekretär der Pastoralkommission der Schweizer Bischofskonferenz (SBK), ein Bericht auf, den die Schweizer Bischöfe am Dienstag, 5. Mai, nach intensiven Gesprächen in der Basis veröffentlichen. Laut dem Bericht wünschen sich die Schweizer Katholiken, dass die Kirche die unterschiedlichen Formen von Familie wertschätzt und nicht einfach als «defizitär, irregulär, schwach oder verwundet» beschreibt.

Barbara Ludwig

Rund 6000 Gläubige haben im Rahmen von sogenannten Synodengesprächen ihre Sicht auf Ehe und Familie eingebracht. Das Ergebnis ist Mitte April in Form eines Berichts nach Rom geschickt worden und dient der Vorbereitung auf die Familiensynode im kommenden Herbst.

Bünker zeigte sich gegenüber kath.ch erfreut und erstaunt über die grosse Beteiligung. «Es verwundert, weil Katholiken beim Thema Ehe und Familie doch längst ihre eigenen Wege gehen.» Die Menschen hätten eben – «bei aller Kritik» an Lehre und Praxis der Kirche – die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die Kirche ihnen in diesem Bereich etwas bieten könne. Gleichzeitig schätzten sie «wertvolle Aspekte» der kirchlichen Lehre.

Bischöfe und Gläubige «reden aneinander vorbei»

Die meisten Gläubigen hätten aber auch klar zum Ausdruck gebracht, dass sie das, was ihnen wichtig ist, «durch ihre eigene Brille sehen», so Bünker. Mit dem «idealisierten» Familienbild der Lineamenta – dem Arbeitspapier, das der Vatikan 2014 zur Vorbereitung der kommenden Synode präsentierte – könnten sie «nichts anfangen». Es ist schlicht zu weit weg von ihrer eigenen Lebenserfahrung und von ihrem Alltag. «Die Bischofssynode und die Gläubigen in der Schweiz reden weitgehend aneinander vorbei», heisst es denn auch im Synodenbericht, den die SBK am 5. Mai publiziert hat.

Die Mehrheit der Schweizer Katholiken hat einen anderen Zugang zu den Themen «Ehe» und «Familie»: Ausgangspunkt sei für meisten Gläubigen «nicht die lehrmässige Vorgabe klarer Ehe-, Familien- und Sexualnormen, die wiederum auf vermeintlich objektiv gegebenen göttlichen Vorgaben beruhen, sondern der eigene subjektive Erfahrungs- und Wahrnehmungsbereich der Gläubigen selbst», stellt der Bericht fest.

Die Menschen wünschten sich deshalb eine Ehetheologie, die bei ihren «Sehnsüchten und Erfahrungen» ansetzt, sagte Bünker. «Ein Ideal, das angesichts der Realitäten nicht hilft, ist für sie ein Problem.» Lehrmässige Aussagen müssen sich laut dem Bericht gegenüber den aus der «Lebens- und Glaubenserfahrung» der Menschen gewonnenen Massstäben bewähren. Dies gelinge der Kirche offenbar nur in geringem Masse. Und daher falle auch die Kritik an zahlreichen Positionen der Lineamenta deutlich aus. Der Bericht der SBK bewertet die Kritik als «fundamental»; sie verlange von der Synode einen «grundsätzlich» anderen Zugang zu den Themen Partnerschaft, Sexualität, Ehe und Familie.

Schweizer Katholiken erwarten viel von der Synode

Die Schweizer Katholiken haben demnach hohe Erwartungen an die Synode. Ausgehend von der realen Vielfalt von Familienformen wünschen sie sich, dass die Kirche die unterschiedlichen Formen von Familie wertschätzt und nicht einfach als «defizitär, irregulär, schwach oder verwundet» beschreibt. Die Wertschätzung dürfe «nicht exklusiv am Kriterium der kirchlichen Ehe als Grundlage einer Familie festgemacht werden», findet eine Mehrheit.

Die Gläubigen beklagen andererseits gleichzeitig, dass der Wert der ehelichen Beziehung in den Lineamenta kaum gewürdigt werde. Die Ehe vor und nach der Familienphase interessiert die Kirche offenbar zu wenig. So entstehe der Eindruck einer «Instrumentalisierung der Ehe für die Zwecke der Zeugung und Erziehung von Nachkommen».

Kommunion für Wiederverheiratete und Segen für homosexuelle Paare

Klare Voten gibt es zu den sogenannten «heissen Eisen», bei denen die Bischöfe der Weltkirche noch keine einheitliche Position gefunden haben. Die Mehrheit der Katholiken hält nichts vom Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener von den Sakramenten: «Diese offizielle Norm wird von den Gläubigen als Skandal gesehen und abgelehnt», so der Bericht. Die Gläubigen wünschen sich vielmehr einen differenzierten Blick auf unterschiedliche Realitäten.

Was den Umgang der Kirche mit homosexuellen Partnerschaften betrifft, wünscht sich die «grosse Mehrheit» ihre kirchliche Anerkennung, auch wenn ein Teil der Gläubigen einer vollen Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe skeptisch gegenüber stehe. Gleichgeschlechtliche Paare sollten auch gesegnet werden dürfen, finden die Gläubigen.

Kleine Minderheit will Lehre unverändert bewahren

Der Bericht verschweigt nicht, dass es auch eine Minderheit von Katholiken gibt, deren Voten deutlich von der Mehrheitsposition abweichen. Diese Katholiken wollen, dass die katholische Lehre nicht verändert wird. Sie gehören nur zu einem geringen Teil pfarreilichen Gruppen an, und es finden sich nur wenige Seelsorgende unter ihnen. Zu dieser Minderheit gehören laut Bünker etwa Anhänger der Piusbruderschaft, Ärzte, die die natürliche Familienplanung propagieren, aber auch Geschiedene, die bewusst auf eine neue Partnerschaft verzichten. «Es sind Gruppen, die ein bestimmtes Thema der Familienpastoral zum eigenen Charisma gemacht haben», erklärte Bünker.

Die allermeisten Stimmen der Minderheit sind aber nicht einfach nur mit dem Jetzt-Zustand der katholischen Lehre einverstanden. Sie wollen, dass die Kirche nach Wegen sucht, diese Lehre «respektvoll» und «nicht verurteilend» zu vermitteln, heisst es in dem Bericht. (bal)

Bericht zur Synode im Wortlaut

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