Prozess zum Begriff «Völkermord»: Schweiz wird in Strassburg angehört

Zürich/Strassburg, 28.1.15 (kath.ch) Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) überprüft die Verwendung des Begriffs «Völkermord» für die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Prozess die Schweiz, welche den türkischen Politiker Dogu Perincek wegen Leugnung des Völkermords verurteilt hatte. Daraufhin klagte dieser beim EGMR.

Bereits im Dezember 2013 hatte die kleine Kammer des Menschenrechtsgerichtshofs dem Politiker Recht gegeben. Seine Auffassung sei durch die Meinungsfreiheit geschützt. Ein Urteil der Grossen Kammer wird in einigen Monaten erwartet, wie das Gericht am Mittwoch, 28. Januar, in Strassburg mitteilte. Am Mittwoch, 28. Januar, fand in Strassburg eine Anhörung der beiden Parteien statt.

Perincek hatte im Jahr 2005 anlässlich mehrerer Auftritte in der Schweiz den Völkermord an den Armeniern vor hundert Jahren als «internationale Lüge» bezeichnet. Er war deshalb von der Schweizer Justiz durch alle Instanzen hinweg wegen Rassendiskriminierung verurteilt worden, wie die NZZ (18. Januar) berichtet. 2013 hatte eine Abteilung des EGMR eher überraschend die Auffassung vertreten, dass die Schweiz damit die Meinungsfreiheit Perinceks verletzt habe. Auf Ersuchen der Schweiz wird der Fall von der Grossen Kammer des Strassburger Gerichtshofs neu angeschaut.

Perincek: «Massaker nie geleugnet»

Am Mittwoch, 28. Januar, wurden die Schweiz und Perincek in Strassburg angehört. Laut NZZ soll er gesagt haben, dass er nie zu Rassenhass aufgerufen und die Massaker am armenischen Volk ab 1915 nie geleugnet habe, dass er aber mit der rechtlichen Qualifikation als Genozid nicht einverstanden sei.

Die Schweiz wurde vertreten durch Frank Schürmann vom Bundesamt für Justiz. Dieser argumentierte laut NZZ, dass die fragliche Strafrechtsnorm nicht die historische Wahrheit schütze, sondern den öffentlichen Frieden und die Menschenwürde. Diese seien durch Äusserungen, wie sie Perincek gemacht habe, gefährdet, auch wenn sich in der Armenien-Frage nicht alle einig seien. Bei der Antirassismus-Strafnorm, die vom Schweizer Volk in einer Abstimmung angenommen worden sei, gehe es letztlich darum, glaubwürdig gegen Rassismus zu kämpfen. – Mit dem Urteil der Grossen Kammer des EGMR ist erst in einigen Monaten zu rechnen.

Umstrittener Begriff «Völkermord»

Zwischen 1915 und 1918 wurden im damaligen Osmanischen Reich zwischen 300.000 und 1,5 Millionen Armenier ermordet. Während Historiker vom «ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts» sprechen und der türkischen Regierung die Verantwortung zuweisen, räumt die Türkei lediglich ein, dass es Massenvertreibungen und gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben habe. In deren Folge seien Hunderttausende gestorben.

Hintergrund des Völkermords waren Versuche der 1909 an die Macht gelangten nationalistischen Jungtürken, ein einheitliches Reich zu schaffen, Türkisch als Einheitssprache und den Islam als alleinige kulturelle und religiöse Basis durchzusetzen. Der Erste Weltkrieg lieferte die Gelegenheit, dieses Konzept durchzusetzen. Nach dem Scheitern der türkischen Offensive gegen Russland im Januar 1915 begann am 24. April die systematische Verfolgung: Zu Tausenden wurde die Elite der Armenier verhaftet und hingerichtet; Zehntausende starben auf Todesmärschen.

22 Staaten anerkennen Genozid offiziell

Nach dem Ende des Weltkriegs leiteten die westlichen Siegerstaaten Prozesse ein. Ein Istanbuler Kriegsgericht konnte beweisen, dass die Verbrechen zentral vorbereitet wurden. Es verurteilte 17 Angeklagte zum Tode; drei Hinrichtungen wurden vollstreckt. Die Haupttäter flohen, einige wurden später von armenischen Attentätern ermordet.

Mittlerweile haben 22 Staaten den Genozid offiziell anerkannt, darunter Frankreich, Italien und die Niederlande. 1985 erschien der Begriff «Armenian genocide» in einem offiziellen Papier der UNO. Der Deutsche Bundestag sprach 2005 lediglich von «Deportationen und Massakern». Der Nationalrat hat im Jahre 2003 den Völkermord an den Armeniern anerkannt: Der Bundesrat hat sich laut «human rights» immer geweigert, dasselbe offiziell zu tun. (sys/kna)

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