«Wer offen für andere Religionen ist, wird als naiver Gutmensch belächelt»

Zürich/Bern, 9.1.15 (kath.ch) Zuerst die Koran-Attacke in der Weltwoche und jetzt das Attentat auf «Charlie Hebdo»: Der Dialog der Religionen kommt auch in der Schweiz unter Druck. «Wer jetzt noch offen für andere Religionen ist, wird als naiver Gutmensch belächelt», sagt die Muslimin Amira Hafner-Al Jabaji, Präsidentin des Interreligiösen Think-Tank.

Von Regula Pfeifer

«In Kreisen, in denen Offenheit besteht, hat der Anschlag keine negativen Auswirkungen», ist Amira Hafner- Al Jabaji, Präsidentin des Interreligiösen Think-Tank und praktizierende Muslimin überzeugt. In ihrem Think-Tank, in dem sich christliche, jüdische und muslimische Frauen interreligiös austauschen, erlebt sie dies. Die Empathie füreinander sei «hoch ausgebildet», sagt Hafner. Christliche Frauen, denen die Verfolgung der Christen im Nahen Osten nahe gehe, verständen nun die Gefühle der Unsicherheit der muslimischen Frauen sehr gut. Und die jüdischen Frauen reagierten besonders auf die diffamierenden Äusserungen gegen Muslimen, kennten sie Ähnliches doch bereits von antisemtischen Wortmeldungen her.

Schwere Belastung für Beziehungen von Muslimen und Nicht-Muslimen

Hafner und der Think-Tank befürchten aber, das Attentat werde zu einer «weitere schweren Belastung für die Beziehungen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen in unseren westlichen Gesellschaften», wie es in der Stellungnahme von Donnerstag, 8. Januar, heisst. «Wir sind in Sorge, dass die wachsende anti-muslimische Stimmung in weiten Teilen Europas und auch in der Schweiz durch dieses Attentat verstärkt werden wird», schreiben sie weiter. Der interreligiöse Dialog habe momentan einen schweren Stand, ist Hafner überzeugt. Das zeigten die antimuslimischen Äusserungen und Demonstrationen in der Schweiz und den umliegenden Ländern aber auch die Diskussionen in den sozialen Medien. «Leute, die Offenheit gegenüber andern Religionen zeigen, werden dort oft belächelt als naive Gutmenschen», hat sie festgestellt. Dennoch will sich der Think-Tank weiterhin für einen «fairen, konstruktiven und gewaltfreien Umgang zwischen Menschen verschiedener Weltanschauungen einsetzen.»

Auch Mustafa Memeti, Imam des Muslimischen Vereins Bern im Haus der Religionen, befürchtet, dass die Schreckenstat die Vorbehalte und Reserven gegenüber Muslimen verstärken könnte. Doch negative Auswirkungen auf den Dialog der Religionen sieht er keine. Vielmehr meint er beschwörend: «Wir müssen diese schwierige Situation überwinden, wir dürfen nicht aufgeben.» Das kommende Freitagsgebet biete eine gute Gelegenheit, darüber zu sprechen. Er erhofft sich, dass die Imame deutlich Stellung nehmen und den kriminellen Akt verurteilen.

Verbindendes nach der Schreckenstat

Das Attentat habe «verbindende Auswirkungen» auf das Verhältnis zwischen den Religionen, ist Michel Müller überzeugt. Müller ist Präsident des Kirchenrats der Reformierten Kirche Kanton Zürich wie auch des Interreligiösen Runden Tisches im Kanton Zürich. Das Verbindende hat sich nach seiner Ansicht in den öffentlichen Stellungnahmen der verschiedenen Religionsvertreter offenbart: «Alle zeigten sich tief betroffen». Die Religion an und für sich werde angegriffen, indem sie unter Gewaltverdacht gestellt werde, sagt Müller. Der Interreligiöse Runde Tisch diskutiert immer wieder solche Themen, vor kurzem etwa den Koranartikel in der Weltwoche. Und wenn auch beispielsweise die Satire unterschiedliche eingeschätzt werde, seien alle Teilnehmenden einverstanden mit der Meinungs- und Glaubensfreiheit und lehnten die Gewalt und die Scharfmacherei ab. «Es gibt keine Alternative zum Dialog», ist Müller überzeugt.

Bischof Morerod, zuständig in der Schweizer Bischofkonferenz für den Interreligiösen Dialog, findet, man müsse die Menschen besser unterrichten, damit sie andere Religionen besser verstünden. Denn mangelnde und allzu vereinfachende Information könne Menschen dazu verleiten, fanatisch zu werden. (rp)

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