«Sexualität steht selten im Vordergrund»

Gabriella Loser Friedli über Liebesbeziehungen im Schatten des Zölibats:

Freiburg i. Ü., 25.4.14 (Kipa) 28 Schicksale von Frauen, Priestern und Priesterkindern schildert Gabriella Loser Friedli, Mitbegründerin und Präsidentin des Vereins vom Zölibat betroffener Frauen (Zöfra), in ihrem Buch «Oh, Gott! Kreuzweg Zölibat.» Die Geschichten erzählen von Schuldgefühlen, Einsamkeit und der Sehnsucht nach einem normalen Leben in Partnerschaft. Im Interview mit der Presseagentur Kipa erzählt die Autorin von den Schwierigkeiten solcher Paare und vom Ermessensspielraum der Bischöfe.

Frage: Priester und Ordensmänner entscheiden sich für ein zölibatäres Leben. Wie kommt es dennoch zu Liebesbeziehungen?

Loser Friedli: Der grösste Teil dieser Beziehungen beginnt in einer Krisensituation. Oft sucht die Frau Hilfe bei einem Priester, weil sie zum Beispiel in der Scheidung steckt oder weil ihr Mann Alkoholiker ist oder weil sie ein Kind verloren hat. Es geht meist um existenzielle Krisensituationen von Verlust oder Krankheit, in denen die Frau Trost sucht. Wenn der Priester selbst mit Einsamkeit oder Burn-Out-Symptomen zu kämpfen hat, braucht es wenig, bis gegenseitiges Vertrauen entsteht. Entgegen Meinungen von Leuten in der kirchlichen Hierarchie steht die Sexualität nur selten im Vordergrund.

Frage: Was ist für die Frauen das Schwierigste in einer solchen Beziehung?

Loser Friedli: Das Isoliert-Sein. Sie können nicht über den eigenen Lebensmittelpunkt reden, noch über die damit verbundenen Schwierigkeiten. Dann das viele Warten: Die Frau wartet oft auf den Moment, wo der viel beschäftigte Priester Zeit hat. Die Liturgien, Seelsorge und administrative Belange gehen für den Priester immer vor. Erst wenn er dann mal noch ein bisschen Zeit hat, kommt die Frau dran. Weil die Frau ständig auf diesen Moment hofft, führt sie kaum noch ein eigenes Leben.

Als Drittes: Die Nicht-Existenz. Der Priester existiert für die Frau nicht als Partner, so wie sie als Partnerin nicht existiert. Das ist schmerzhaft im Bezug auf die eigene Identität und Wertschätzung.

Frage: Was ist für die Priester das Schwierigste?

Loser Friedli: Ebenfalls das Schweigen-Müssen. Es zeigt dem Priester zudem auf, wie schwierig die Beziehungen innerhalb der Kirche sind: Er kann kein Vertrauen zu seinem Bischof haben. Bei Ordensleuten kommt hinzu, dass sie ihren Mitbrüdern nicht erzählen können, was sie erleben. Ausserdem quält sie das Gefühl, untreu zu sein und die Mitbrüder zu hintergehen. Das führt zu Schuldgefühlen.

Frage: Kann das Verstecken-Müssen ein Paar nicht auch erst recht zusammenkitten?

Loser Friedli: Ja, das ist vergleichbar mit einem Land, das von aussen gefährdet ist. Nach innen rückt man dann zusammen. Dadurch entstehen oft ungesunde Beziehungen: Man beschützt einander, fordert nichts in der Beziehung, streitet nicht. Oft ist man ja nur beschränkte Zeit zusammen. Einen normalen Alltag kennen nur jene Paare, bei denen die Frau im Pfarrhaus wohnt.

Wenn die Beziehung öffentlich wird und man als Paar normal zusammen leben könnte, merkt man erst, dass man wenig Distanz zueinander hat, dass man in einem ungesunden Ausmass voneinander abhängig ist. Das Paar muss dann nochmals von vorne anfangen und intensiv an der Beziehung arbeiten.

Frage: Wie gelingt das?

Loser Friedli: Die Paare erleben oft eine grosse Enttäuschung: Mit dem Bekannt-Werden kommen neue Schwierigkeiten auf. Das Paar muss beispielsweise erst lernen, miteinander zu streiten. Viele holen sich Hilfe, etwa in Form einer Therapie.

Natürlich gibt es auch Paare, die scheitern. Dann können die Bischöfe triumphieren: «Seht ihr, es funktioniert ja gar nicht!» Aber wenn man sieht, unter welchen Bedingungen diese Beziehungen zustande kommen, zum Teil über Jahre hinweg heimlich gelebt, dann misslingen verhältnismässig wenig davon.

Frage: Was sind die konkreten Folgen für einen Priester, wenn er zu seiner Beziehung steht?

Loser Friedli: Was mit dem Weltpriester passiert, hängt sehr davon ab, wie der Bischof reagiert. Im besten Fall steht ein Bischof hin, zeigt Verständnis und fragt, ob der Mann weiterhin in der Kirche arbeiten möchte. Ist dies der Fall, unterstützt der Bischof das Laisierungsverfahren. Trifft die Laisierung ein, könnte der Mann wieder zurück in den kirchlichen Dienst genommen werden, vielleicht sogar als Gemeindeleiter.

Wenn es hart auf hart geht und der Bischof nichts mehr von dem Priester wissen will, wird er ihm auch nicht helfen. Ohne Laisierung kann man in der Kirche nicht arbeiten. Es kommt vor, dass das vom Priester in Rom eingereichte Laisierungsgesuch gar nicht bearbeitet wird, dass nicht einmal der Eingang des Gesuchs bestätigt wird. Unterstützt jedoch ein Bischof den Priester, passiert das nicht.

Frage: Also liegt sehr viel in der Hand des entsprechenden Bischofs?

Loser Friedli: Der Bischof hat einen Ermessenspielraum. In einigen Bistümern finden Priester Hilfe. Es gibt andere Bistümer, da kann man nichts machen.

Frage: Wie reagieren Bischöfe, wenn sie von einer Beziehung erfahren?

Loser Friedli: Wenn der Bischof etwas weiss, muss er handeln, das heisst, er muss dem Priester die Missio entziehen. Deshalb sagen die Bischöfe oft, dass sie eigentlich gar nichts wissen wollen. Es kommt aber auch vor, dass ein Bischof sagt: «Pass ein wenig auf. Mach’s nicht öffentlich. Solange du nicht heiraten willst, geht das ja. Muss die Frau in deiner Umgebung wohnen? Kann sie nicht in die nächste Stadt ziehen?»

Frage: Was kann einem Bischof denn konkret passieren?

Loser Friedli: Er kommt unter Druck von seinen Bischofskollegen. Der verstorbene Bischof Genoud sagte zum Beispiel: «Wissen Sie, das kann ich nicht machen, meine Mitbischöfe schauen ohnehin schon, was ich alles mache. Die dürfen nicht erfahren, dass ich Zugeständnisse mache.» Bischof Kurt Koch war anfänglich eher liberal und hat ehemalige Priester sogar als Gemeindeleiter eingestellt. Bis er angeblich von den deutschen Bischöfen unter Druck gesetzt wurde und diese Praxis aufgab. Einige Bischöfe sind sehr romtreu. Diese könnten in Rom sagen, was die andern für schlechte Bischöfe sind, die die Regeln nicht einhalten und dadurch die Kirche gefährden.

Frage: Stimmt es, dass die Kirche den Partnerinnen von Priestervätern bisweilen Schweigegeld bezahlt?

Loser Friedli: Mir ist nur ein Fall bekannt, wo ein Bischof für ein Kind bezahlt hat, er hat es aber so geschickt gemacht, dass wir es nicht belegen können. Ich weiss von einer Frau, die 50.000 Franken von einem Ordensoberen bekommen hat, mit der Auflage, nie zu sagen, wer der Vater ihres Kindes sei. Eine andere Frau bekam 30.000 Franken Schweigegeld von einem Ordensoberen. Andere Fälle kenne ich nicht.

Frage: Kommt es vor, dass Priester Kinder haben, ohne dass die Kirche das zu wissen bekommt?

Loser Friedli: Es gibt Priester, die Kinder haben und Alimente zahlen, ohne dass die Kirche das weiss. Wir haben auch Vaterschaftsanerkennungen, die völlig an der Kirche vorbei gehen. In Freiburg zum Beispiel geht man dafür zum Friedensrichter. Der Priester macht mit der Mutter des Kindes einen Vertrag, in dem steht, dass er der Vater der Kinder ist, wie viel er pro Kind bezahlt und wie das Besuchsrecht geregelt ist. Wenn dies den zivilen Anforderungen eines Unterhaltsvertrags entspricht, unterschreibt der Friedensrichter das. Wir begleiten und unterstützen aber auch Frauen bei gerichtlichen Vaterschaftsklagen. Priester können auch zivil heiraten. Wir haben zwei Priester, die zivil verheiratet sind, Kinder haben und gleichzeitig als Priester im Amt sind. Seit das Ehe-Aufgebot nicht mehr veröffentlicht wird, ist das möglich.

Frage: Ihr Buch berichtet von zölibatär lebenden Männern, die eine Beziehung haben. Wie ist es mit Ordensfrauen, die sich verlieben?

Loser Friedli: Bei uns sind das wenige. Wir haben fünf Ordensfrauen, die bei uns Mitglied sind oder von uns begleitet wurden auf dem Weg aus dem Orden. Es gibt aber zölibatäre Beziehungen, die Zärtlichkeit einschliessen, aber Sexualität ausschliessen: Der Jesuit Niklaus Brantschen und die Katharinenschwester Pia Gyger leben eine solche Partnerschaft. Oft sind solche Beziehungen von einer starken Spiritualität getragen. Die beiden Partner sind mit wenig gemeinsam verbrachter Zeit zufrieden. Sind die Orden mit dieser Lebensform einverstanden, muss niemand den Orden verlassen.

Frage: Begleitet die Zöfra auch Männer, die eine Beziehung mit einem Priester leben?

Loser Friedli: Wir bekommen hie und da Anfragen, leiten diese aber systematisch an Adamim, den Verein schwule Seelsorger, weiter.

Frage: Die Zöfra strebt langfristig die freie Wahl des Zölibats für Priester an. Welche Schritte wurden diesbezüglich bereits unternommen, auch auf internationaler Ebene?

Loser Friedli: Zum einen haben wir viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Noch in den 90-er Jahren sagten die Bischöfe, die Gläubigen seien nicht bereit für verheiratete Priester. In der Zwischenzeit zeigen europaweite Erhebungen, dass rund 90 Prozent der Katholiken sich verheiratete Priester vorstellen könnten, wobei das selbstverständlich nicht allein unser Verdienst ist.

Des Weiteren waren wir über die Kommission «Bischöfe-Priester» im indirekten Gespräch mit den Bischöfen. Wir haben unsere Anliegen immer wieder vorgebracht.

Auf internationaler Ebene wird der nächste Schritt ein Brief an den jetzigen Papst sein. Mitte Juni findet in Brüssel eine Tagung statt, an der die europäischen Länder, Kanada und Lateinamerika einen Entwurf dieses Briefes verfassen werden.

Frage: Was erwarten Sie vom nächsten Gespräch mit den Bischöfen, das im Juli stattfinden wird?

Loser Friedli: An erster Stelle wünschen wir uns, dass sie ihren Ermessensspielraum ausnutzen. Im Ermessenspielraum des Bischofs würde es liegen, einen Zeitrahmen für Reflexion zuzulassen. Manchmal braucht ein Priester noch Zeit, um seine Situation zu klären, ohne dass gleich alles zusammenbricht. Oder der Bischof gewährt ihm die Zeit, um parallel zur Priesterarbeit eine Zusatzausbildung zu machen, damit er nach Abschluss aus dem kirchlichen Dienst ausscheiden und in ein anderes Berufsfeld wechseln kann.

Des Weiteren hätten wir gern eine offizielle Anlaufstelle, die von der Bischofskonferenz mitfinanziert würde. Sie müsste von jemandem geführt werden, der nicht direkt dem Bischof verantwortlich ist. Schliesslich wünschen wir uns, dass dem Gespräch im Juli weitere folgen werden, dass den Bischöfen klar wird, dass eine Zusammenarbeit sinnvoll wäre.

Frage: Glauben Sie, dass sich unter dem jetzigen Papst in der Zölibatsfrage etwas ändern wird?

Loser Friedli: Wenn einer den Mut dazu hat, dann Papst Franziskus. Mir kommt es vor, als würde er mit kleinen Schritten das Terrain für grössere Veränderungen vorbereiten. Er will ja, dass das Evangelium die Menschen befreit. Bei Papst Benedikt habe ich mir nie eine Minute Hoffnung gemacht.

Frage: Was war der Auslöser, ein Buch über dieses Thema zu schreiben?

Loser Friedli: Das war ein mehrjähriger Prozess. Als in den letzten Jahren einige der älteren Frauen krank wurden und einigen die Partner wegstarben, dachte ich mir: Was passiert mit diesen Lebensgeschichten, wenn diese Frauen sterben? Sie hatten zum Teil 40 Jahre mit einem Priester zusammengelebt und ausser vielleicht einem Verwandten und der Zöfra wusste das niemand. Ich fand, es wäre schade, wenn diese Schicksale einfach verloren gehen würden, ohne dass jemand davon erfährt.

Separat 1:

Gabriella Loser Friedli (62) ist seit 1994 mit Richard Friedli, einem ehemaligen Dominikaner, verheiratet, der seit 1974 ihr Lebenspartner ist. Sie ist Mutter eines heute 32-jährigen Sohnes. Ihr Buch «Oh, Gott! Kreuzweg Zölibat» beschreibt 28 Lebensgeschichten von betroffenen Frauen, Priestern und Kindern. Das Buch zeichnet zudem die Dialogversuche mit der kirchlichen Hierarchie zwischen 1997 und 2013 nach, es informiert über die Entstehung des Pflicht-Zölibats und zeigt mögliche Alternativen dazu auf.

Die Zöfra ist 1987 als loses Netzwerk entstanden. In seiner jetzigen Vereinsstruktur besteht Zöfra seit dem Jahr 2000. Das Buch spricht von schweizweit über 500 betroffenen Frauen und Priestern, von denen die Zöfra seit den Anfängen weiss. Aus den Beziehungen seien über 100 Kinder hervorgegangen. Gut 100 Priester seien aktuell noch im Amt. Das entspricht rund vier Prozent aller Priester und Ordensmänner in der Schweiz (laut Angaben des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts für das Jahr 2012).

Hinweis: Informationen zum Verein vom Zölibat betroffener Frauen unter: www.zoefra.ch.

Separat 2:

Das Buch «Oh Gott! Kreuzweg Zölibat» erscheint Ende April im Wörterseh-Verlag. Der Verlag gewährt einen Rabatt (Fr. 29.90 statt 36.90) bei Direktbestellungen bis Ende Juni an: leserangebot@woerterseh.ch, Vermerk: Kreuzweg Zölibat.

Hinweis für Redaktionen: Fotos von Gabriella Loser Friedli können direkt bei ihr bestellt werden unter info@zoefra.ch. (kipa/arch/sy/gs)

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/sexualitaet-steht-selten-im-vordergrund/