Gestorben wird heute anders – aber wie?

Hintergrund:
«Lebensende»: Ein 15-Millionen-Forschungsprogramm des Nationalfonds

Zürich, 3.3.14 (Kipa) Wie wird heute in der Schweiz gestorben? Antworten auf diese Frage soll ein Programm des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung geben. Bis Sommer 2017 befassen sich Forschungsteams aus unterschiedlichen Disziplinen mit dem Lebensende von Menschen in der Schweiz. Weshalb es so etwas braucht, und warum die Suizidhilfeorganisationen keine Freude daran haben: Die Presseagentur Kipa sprach mit dem Ethiker und Theologen Markus Zimmermann (51), dem Präsidenten der Leitungsgruppe.

Braucht es bis in zehn Jahren auch in der Schweiz flächendeckend sogenannte Sterbehospize, wie es sie anderswo bereits gibt? Falls ja, müssen die politischen Weichen bald gestellt werden. Denn dann müssten rechtzeitig entsprechende Institutionen gegründet und Fachleute ausgebildet werden. «Lebensende», das Nationale Forschungsprogramm mit der Nummer 67 (NFP 67), soll die wissenschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für solche Fragen und damit für politische Weichenstellungen erarbeiten.

33 Forschungsprojekte

15 Millionen Franken hat der Bundesrat für das im Februar 2010 lancierte Forschungsprogramm zur Verfügung gestellt. Mit der Forschung gestartet wurde im September 2012. Total 33 Projekte untersuchen insbesondere die Versorgung sterbender Menschen sowie Entscheidungen, die in der letzten Lebensphase getroffen werden. Es geht aber auch um bestehende rechtliche Regelungen am Lebensende und um ethische Richtlinien. Oder auch um die Frage, welche kulturellen Leitbilder und gesellschaftlichen Ideale die Vorstellungen von einem guten Sterben heute prägen. Mit der Veröffentlichung von ersten Forschungsergebnissen ist 2015 zu rechnen. Im Sommer 2017 werden die Forschungsarbeiten beendet sein, 2018 werden die Resultate abschliessend präsentiert.

Präsidiert wird die zwölfköpfige Leitungsgruppe des NFP 67 durch den katholischen Theologen und Ethiker Markus Zimmermann, Privatdozent für Moraltheologie und Sozialethik an der Universität Freiburg (Schweiz). Nach Jahrzehnten der gesellschaftlichen Tabuisierung sei das Sterben in den letzten Jahren zunehmend zu einem öffentlichen Thema geworden, sagt er: «Heute ist das Sterben etwas, das wir gestalten und kontrollieren möchten. Das zeigt beispielweise die Idee der Patientenverfügung, bei der es darum geht, festzulegen, wie wir sterben wollen.» Gleichzeitig wisse man heute aber kaum mehr, «wie das Sterben geht». Weil heute meist in speziellen Institutionen und erst im hohen Alter gestorben werde, sei es heute keine Seltenheit mehr, dass man fünfzig Jahre alt werden könne, ohne jemals beim Sterben eines Menschen dabei gewesen zu sein.

Früher gab es auch Trauerriten. Zimmermann: «Man trug schwarze Kleidung, durfte drei oder vier Monate traurig sein, ohne dass man gleich zum Arzt geschickt wurde, bei der Arbeit musste man nicht hundertprozentig funktionieren – das alles ist verschwunden!» Ersatzriten gebe es indessen kaum. Hauptgründe für die veränderte Wahrnehmung des Sterbens seien die steigende Lebenserwartung, der Wohlstand und die grossen Fortschritte in der Medizin. «In den letzten dreissig Jahren ist die durchschnittliche Lebenserwartung enorm angestiegen. Als Gesellschaft sind wir neu mit der Frage konfrontiert, wie wir nicht mehr nur in drei, sondern in vier oder sogar fünf Generationen neben- und miteinander leben wollen.»

Wissenschaft heisst: genau hinschauen

Handfeste, direkt anwendbare Politrezepte für die Gestaltung der Veränderungen am Lebensende wird man vom Forschungsprogramm allerdings nicht erwarten können. Das sei auch nicht Aufgabe der Wissenschaft, sagt Zimmermann. Wissenschaft müsse vor allem genau hinschauen und versuchen, Herausforderungen besser zu verstehen. Der Forscher illustriert dies an einem Beispiel: «Was geschieht bei Menschen, die einen Angehörigen im Sterben begleiten wollen, es aber nicht schaffen, weil sie berufstätig sind? Sie sind dann nicht selten völlig überfordert und erleben vielleicht sogar ein Burnout, die Sterbenden selbst landen dann nicht selten in einer teuren Klinik, wo sie eigentlich gar nicht sein müssten.»

Sache der Wissenschaft sei es, herauszufinden, woraus sich solche Überforderungen ergeben oder wie Hilfestellungen funktionieren könnten. Indirekt könne dies dann in der Politik als Entscheidungsgrundlage dienen. Etwa hinsichtlich der Frage, ob man auch in der Schweiz einen «Sterbeurlaub» einführen sollte, wie er etwa in Österreich als «Familienhospizkarenz» seit 2002 schon besteht.

Argwöhnisch beobachtete Forschung zur Suizidbeihilfe

Zwei der 33 Forschungsprojekte befassen sich mit der Suizidbeihilfe. Das eine Vorhaben geht der philosophisch-ethischen Frage nach, «unter welchen Bedingungen die Entscheidung einer Person, ihrem Leben mit Hilfe anderer Personen ein Ende zu setzen, als autonom gelten kann.» Das andere erforscht, wie sich der assistierte Suizid in den letzten dreissig Jahren entwickelt hat; 1982 wurden in der Schweiz die ersten Suizidhilfeorganisationen gegründet. Analysiert und ausgewertet werden dabei alle in den Schweizer Instituten für Rechtsmedizin archivierten Unterlagen. Untersucht werden sollen auch die Motive der Menschen, die eine Suizidhilfe in Anspruch genommen haben, um daraus «vorbeugende Massnahmen» im Rahmen der Versorgung unheilbar Schwerkranker und Sterbender (»Palliative Care») ableiten zu können, wie es in der Beschreibung des Forschungsprojektes heisst.

Die Schweizer Suizidhilfeorganisationen – mittlerweile sind es bereits sechs – beobachten das NFP 67 mit argwöhnischen Augen. Ihres Erachtens kreisen 40 Prozent der 33 Projekte um die Suizidhilfe. Der Ausführungsplan erwähne die Suizidhilfe «geradezu obsessiv», kritisiert Bernhard Sutter, Vizepräsident von Exit, gegenüber Kipa. Projekte, «die sich im weiteren Sinn mit Suizidhilfe, Patientenautonomie, selbstbestimmtem Sterben befassen», seien «völlig überproportional» vertreten, sagt er. Bei etwa 64.000 jährlichen Todesfällen in der Schweiz mache die Suizidhilfe nämlich weniger als ein Prozent aus.

Die Suizidhilfeorganisationen kommen deshalb zum Schluss, dass das NFP 67 nicht «unvoreingenommen neutral» untersuche, was «in einem säkularen Staat von einem mit Steuergeldern finanzierten, wissenschaftlichen Forschungsprogramm zu erwarten wäre». Selbstbestimmung und Suizidhilfe würden darin «von vornherein als etwas Problematisches und Negatives» behandelt. Auch werde im Ausführungsplan des Forschungsprogramms «in der Schweiz längst Etabliertes wie die Patientenverfügung oder Patientenentscheide zum Behandlungsabbruch» in Frage gestellt. Eine solche «unwissenschaftliche Voreingenommenheit» sei unverständlich und scheine «weltanschaulich-religiös begründet zu sein», schreiben die Suizidhilfeorganisationen.

Markus Zimmermann im Fadenkreuz der Kritik

Scharfe Kritik üben die Organisationen direkt an Leitungsgruppen-Präsident Markus Zimmermann. Dieser betreibe seit Jahren Lobbyarbeit «für eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts der Schweizerinnen und Schweizer am Lebensende», sagt Exit-Vizepräsident Sutter. Seine «Voreingenommenheit» sei «augenscheinlich», und in der Leitungsgruppe seien «ähnlich denkende» Bekannte Zimmermanns übervertreten.

Dieser weist die Vorwürfe entschieden zurück. Jeder Mensch habe Hintergrundtheorien und Prägungen, auch Forscher, betont Zimmermann. Gute Wissenschaft zeichne sich jedoch dadurch aus, dass man sich über die eigenen Perspektiven Rechenschaft ablege, sagt der Theologe: «In der Wissenschaft ist das etwas Selbstverständliches!» Als «völlig absurd» bezeichnet er schliesslich den Vorwurf, in der Leitungsgruppe seien «ähnlich denkende» Bekannte von ihm übervertreten. Zimmermann: «Alles sind renommierte Vertreter ihres Fachbereichs, ich kannte sie vorher nur aus Literatur und von Vorträgen.»

Zimmermann verhehlt allerdings nicht, dass er die heute bestehende Praxis der Suizidbeihilfe teilweise für «sehr problematisch» hält, ganz besonders dann, wenn psychisch Kranke involviert sind. Es sei «eine Art Modellbildung» im Gange, was sich auch in Todesanzeigen widerspiegle: «Oft sind es Leute mit hoher Bildung, die sagen: Ich habe sonst im Leben stets entschieden, was ich will, jetzt möchte ich auch am Lebensende autonom entscheiden können, wie und wann ich sterbe.» Diese Entwicklung könne zu einer Etablierung der Selbsttötung und zu einer «Banalisierung des Sterbens» beitragen. In «extremen Einzelsituationen» ist jedoch auch für Markus Zimmermann der begleitete Suizid eine Entscheidung, die für ihn «ethisch nachvollziehbar und verständlich ist.»

Hinweis: nfp67.ch

Hinweis für Redaktionen: Zu diesem Beitrag sind kostenpflichtige Bilder von Markus Zimmermann erhältlich. Bestellungen sind zu richten an: kipa@kipa-apic.ch. Honorare für Nutzungsrecht: Erstes Bild CHF 80.–, ab dem zweiten Bild zum gleichen Anlass CHF 60.–.

(kipa/job/bal)

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