Marco Reichmuth
Schweiz

«Wo immer ich hinreise, treffe ich auf Katholiken»

Luzern, 6.6.17 (kath.ch) Der Präsident von Kirche in Not hat als Schweizergardist die weltumspannende Dimension der katholischen Kirche kennen gelernt. Noch heute fasziniert sie ihn – auch bei der weltweiten Tätigkeit des katholischen Hilfswerks. Oberste Maxime von Marco Reichmuth ist es, im Leben Gutes zu tun und Vorbild zu sein, wie der Jurist bei einem Besuch nach fast einem halben Jahr im Amt sagt.

Regula Pfeifer

Der Präsident empfängt die Besucherin in weissem Hemd, Krawatte und grauer Anzughose an der Geschäftsstelle von Kirche in Not Schweiz und Liechtenstein in Luzern. Das Geschäftstenu mag mit Marco Reichmuths beruflicher Stellung zu tun haben. Der promovierte Jurist leitet die AHV-Ausgleichskasse Medisuisse in St. Gallen. Für das spätere Fotoshooting zieht der fünfzigjährige Ostschweizer die Brille aus. «Ich bin so eitel», meint er selbstironisch und strahlt.

Seit Anfang 2017 ist Reichmuth Präsident, seit 2011 wirkt er im Vorstand des katholischen Hilfswerks und Vereins Kirche in Not. Darum gebeten hatte ihn der damalige Präsident Albert Dormann. Die beiden hatten sich beim Zuger Verwaltungsgericht kennen gelernt, dem Dormann vorstand. Reichmuth leitete damals den Rechtsdienst der Ausgleichskasse/IV-Stelle Zug und hatte Streitfälle, die vors Verwaltungsgericht kamen. Zu Dormanns Anfrage sagt er: «Ich habe einen Sprachfehler: Ich kann nicht Nein sagen.» So kam er in den Vorstand. Als Dormann Ende 2016 wegen der Amtszeitbegrenzung zurücktrat, wurde Reichmuth sein Nachfolger.

Zeit der Einarbeit

Auf die Frage, was er in den ersten fünf Monaten im Amt Wichtiges gemacht habe, antwortet Reichmuth zögernd. «Es ist die Zeit der Einarbeit», sagt er dann. Er kenne die Vorstandsarbeit und wolle nun mit den Augen eines Präsidenten schauen, was zu tun sei. Er habe aber keineswegs den Anspruch, besser zu sein als sein Vorgänger, der als Pensionierter zeitlich flexibler war. «So ein Amt braucht Zeit, und das ist es mir wert», sagt Reichmuth. Er ist beruflich stark engagiert und schreibt an freien Tagen unter anderem an juristischen Büchern und Aufsätzen.

Was das Hilfswerk am meisten umtreibt, ist dem mehrjährigen Vorstandsmitglied aber bekannt. Es ist die Frage, wo die finanziellen Mittel eingesetzt werden sollen. Das hörte Reichmuth auch an seinem ersten Treffen der Nationalpräsidenten von Kirche in Not in Wien Anfang Mai. Die Ausgaben für Nothilfe im Nahen und Mittleren Osten sind in den letzten Jahren stark gestiegen.

Aktuelles Thema ist laut Reichmuth insbesondere die Rückkehr der Christen in die irakische Ninive-Ebene. Dort will das internationale Hilfswerk beim Bau von Häusern helfen. «Wenn eine Rückkehr aufgrund der Situation vor Ort möglich ist, soll sie nicht aus finanziellen Gründen scheitern», sagt Reichmuth. Die Hauptaufgabe der Schweizer Sektion ist es, Spenden hereinzuholen. Oder wie Reichmuth sagt: «Wir versuchen die Wohltäter zu überzeugen, dass das, was wir machen, eine gute Sache ist.» Der Geldeinsatz und das Management der Hilfsprojekte geschieht von der Zentrale der päpstlichen Stiftung Kirche in Not aus. Diese liegt im deutschen Königsstein.

Faszination Weltkirche

«An Kirche in Not fasziniert mich der Bezug zur Weltkirche», erklärt Reichmuth seine Motivation, hier mitzuwirken. Das Hilfswerk unterstützt über 5000 Projekte zugunsten von benachteiligten oder bedrohten Christen in 150 Ländern. Die weltweite Dimension der katholischen Kirche lernte der Ostschweizer als Schweizergardist (1988-1990) in Rom kennen. Im Vatikan begegnete er Christen von überall her. «Das war das Beste, was ich je in meinem Leben gemacht habe», sagt er und fügt augenzwinkernd hinzu: «Natürlich abgesehen von der Heirat mit meiner Frau vor fünf Jahren.»

Auf einer Romreise mit der Religionsklasse hatte Reichmuth die Schweizergarde kennen gelernt – und Feuer gefangen. Ihr blieb er auch nach dem Abgang verbunden. 2007 bis 2011 war er Präsident der Vereinigung ehemaliger Päpstlicher Schweizergardisten und erhielt als solcher eine Audienz bei Papst Benedikt XVI. Die kirchliche Trauung feierten Marco Reichmuth und Kathrin Hofmann nicht in St. Gallen, sondern in einer Kapelle im Vatikan.

Die Faszination für die Weltkirche holt Reichmuth immer wieder ein. «Wo immer ich hinreise, treffe ich auf Katholiken», sagt er. So hat er in Istanbul eine katholische Kirche entdeckt, in der Christen aus Afrika und Indien aktiv sind. Und eben hat er auf einer elftägigen Reise ins Heilige Land das einzige rein christliche Dorf in den Palästinensischen Autonomiegebieten sowie katholisch geführte Schulen und Kindertagesstätten besucht. Die Reise organisiert hatte der Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem, der die besuchten Institutionen mitfinanziert. Reichmuth ist Grabritter.

Gottesdienst in der italienischen Mission

Seine Mutter Adelina Reichmuth und seine Frau nahm er ins Heilige Land mit. Auch auf die Wallfahrt ins portugiesische Fatima, welche Kirche in Not im Herbst anbietet, wird er begleitet. «Ich bin halb Italiener», sagt Reichmuth mehrmals. Er wohnt mit seiner Frau im St. Galler Vorort Wittenbach und besucht mit ihr sonntags den Gottesdienst der italienischen Mission in der Stadt.

Der Katholik engagiert sich nicht nur in katholischen Organisationen. Auch seinen Alltag versucht er christlich zu leben. «Aber ohne zu missionieren», betont er. Das liege ihm nicht, und das komme im Geschäft nicht infrage. Einen freikirchlichen Mitarbeiter musste er wegen Bekehrungsversuchen verwarnen. Und vor Geschäftsentscheidungen gemeinsam zu beten, wie er das im Fernsehen bei einem christlich geführten Unternehmen gesehen hat, ist laut Reichmuth in einem öffentlich-rechtlichen Betrieb wie der Medisuisse keine Option.

Papst Johannes Paul II. zum Vorbild

Vielmehr will Reichmuth seinen Glauben bezeugen, indem er versucht, ein Vorbild zu sein und Gutes zu tun. Und da setzt er sich die Latte hoch. Er wolle – wie «sein» Papst Johannes Paul II. an die Menschen appellierte – sich nicht mit Mittelmässigkeit zufrieden geben, erklärt er sein Engagement im Glauben wie im Beruf. Gleichzeitig ist er sich der Grenzen bewusst. Er sei als Jurist eher rational veranlagt, sagt er. Das mache den Zugang zum Glauben nicht immer leicht. Ausserdem seien biblische Vorgaben nicht einfach umzusetzen. Lästige Menschen geduldig zu ertragen oder den eigenen Feind zu lieben, sei «ein täglicher Kampf».

Dass eine Frau ihr Leben als Unternehmensjuristin in Frankreich aufgegeben hat, um in Jerusalem als Ordensschwester für Kinder da zu sein, wie er auf der Reise ins Heilige Land erfuhr, beeindruckt ihn deshalb sehr. Da sei seine Art, Hilfe zu leisten, viel weniger einschneidend.

Muslime in der Familie

Auch in der eigenen Familie will Reichmuth nicht missionieren. Seine beiden erwachsenen Stiefkinder sind Muslime wie ihr Vater, der aus der Türkei stammt. Die Stieftochter lebt und arbeitet in Istanbul. Und Reichmuth hat einen dreijährigen Enkel, der ihn «Nonno» nennt. «So haben wir das in der Familie vereinbart.»

Erholung holt sich der vielbeschäftigte Ostschweizer nicht wie andere Berufstätige bei Sport und Spiel. Für ihn sind ehrenamtliche Arbeit und damit verbundene Reisen erwünschte Abwechslungen und deshalb erholsam. Er mache lieber etwas Anderes als nichts, sagt Reichmuth. «Einfach herumhängen macht mich unzufrieden.»

Marco Reichmuth | © Regula Pfeifer
6. Juni 2017 | 11:54
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Zehn Millionen Franken aus der Schweiz

Das internationale Werk Kirche in Not mit der englischen Bezeichnung Aid to the Church in Need (ACN) mit Sitz in Königstein, Deutschland, hat 21 nationale Sektionen. Eine davon ist Kirche in Not (ACN) Schweiz/Liechtenstein mit Sitz in Luzern. Sie existiert seit 1966 und wurde 1987 in einen Verein umgewandelt. Seit 2002 gibt es in Freiburg (Schweiz) eine Filiale für die Westschweiz und den Tessin. Kirche in Not finanziert sich ausschliesslich privat. Die Schweizer Sektion sammelt nach eigenen Angaben jährlich rund 10 Millionen Franken Spendengelder in der Schweiz und in Liechtenstein. Die Spendeneinnahmen weltweit betragen über 100 Millionen Franken.

Mit den Spenden aus der Schweiz und Liechtenstein wurden im Jahr 2016 rund 1200 Bauprojekte an Kapellen, Kirchen, Kathedralen mitfinanziert, ein Drittel davon in Afrika. Die Bauhilfe macht mit 30 Prozent den grössten Posten aller Ausgaben aus. Zudem wurden gegen 10’800 Priesteramtskandidaten unterstützt, 11’000 Ordensschwestern erhielten Existenzhilfe oder eine Ausbildung, 1,5 Millionen Mess-Stipendien für Priester wurden gewährt. (rp)