Klezmer-Band "Fogosch" am musikalischen adventskalender in der Offenen Kirche Bern
Schweiz

«Wir sind keine Insel, wir gehören zur City»

Die Heiliggeistkirche Bern gleich beim Hauptbahnhof ist sowohl Gemeinde- wie auch Citykirche. Im Advent hat sie Dutzende von besonderen Angeboten bereit, die auf grosses Interesse stossen. Der Musikalische Adventskalender ist eines davon.

Martin Spilker

Schon vor 12 Uhr, während draussen ein Bläser-Quartett «Grüsse aus St. Petersburg» überbringt, treten die ersten Besucherinnen und Besucher in die Heiliggeistkirche. Man setzt sich, geniesst die Ruhe, spürt die kalten Sitzbänke und holt sich gerne ein Kissen.

Ab Viertel nach Zwölf wird es voller und voller in der Kirche. Manche haben sich hier verabredet, man freut sich auf ein Wiedersehen und ist gespannt auf die halbe Stunde Musik, die in der Offenen Kirche Bern täglich vom 1. bis 24. Dezember angeboten wird. Die Musikgruppe, an diesem Tag ist es die Klezmer-Band «Fogosch», hat das Podium für sich bereits eingerichtet.

Andreas Nufer, Pfarrer der Offenen Kirche Bern
Andreas Nufer, Pfarrer der Offenen Kirche Bern

Andreas Nufer ist Pfarrer der Heiliggeist-Gemeinde und Projektleiter an der Offenen Kirche Bern (siehe separater Text). Er begrüsst die zahlreich erschienenen Besucher. Zur Musik sagt er einleitend gar nicht viel, erwähnt aber die Situation von Kindern in den SOS-Kinderdörfern in Syrien. Denn die Kollekte dieses Anlasses geht zur Hälfte an das Hilfswerk.

Grosse Nachfrage für «Musik-»Türchen»

Die andere Hälfte erhalten die Musiker. Doch dies dürfte nicht der Grund sein, warum die Offene Kirche inzwischen mehr Anfragen von Musikformationen hat, als es im Advent musikalische «Türchen» zu vergeben gibt. Den Musikern von «Fogosch» jedenfalls ist die Freude an ihrem Auftritt anzumerken. Und das Publikum entlässt die Band denn auch erst nach einer Zugabe.

Klezmer-Band "Fogosch" in der Offenen Kirche Bern
Klezmer-Band "Fogosch" in der Offenen Kirche Bern

Während sich die Kirche leert und die Musiker ihre Instrumente zusammenpacken, läuft der Betrieb in der «Café-Ecke» bereits wieder rund. Andreas Nufer, seit sieben Jahren in Bern und an der Offenen Kirche tätig, gibt hier und da Auskünfte. – Die zahlreichen Veranstaltungen auf Weihnachten hin erfordern noch einige Koordination.

Viel mehr als Gebet und Feier

Die Angebote der Offenen Kirche gehen weit über liturgische Feiern und Konzerte hinaus. Diese Tage wird die Heiliggeistkirche wie andere Gotteshäuser 16 Tage lang in der Farbe orange beleuchtet. «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» ist eine internationale Kampagne, an der sich die Berner Citykirche beteiligt.

«Die Besucherinnen und Besucher schätzen unsere etwas anderen, frecheren, auch politischen Veranstaltungen», sagt der 55-jährige Seelsorger. Nebst den immer sehr speziell gestalteten Gottesdiensten an den Adventssonntagen gehören dazu ein Filmabend, ein offenes Adventssingen, ein Frauenritual zur Wintersonnwende oder eine internationale Weihnachtsfeier. An Weihnachten ist die Heiliggeistkirche mehrmals bis auf den letzten Platz voll

Weihnachtsgeschichte aus dem Alltag

Hier spielen Flüchtlinge und Sans-Papiers zusammen mit Schweizerinnen und Schweizern die Weihnachtsgeschichte mit Liedern aus aller Welt. Ihre Rolle sprechen oder singen die Menschen, von denen viele eigene Fluchterfahrungen mit sich tragen, in ihrer jeweiligen Muttersprache. «Aber auch wer das nicht versteht, weiss ja in etwa, was der Engel zu Maria sagt», meint Andreas Nufer verschmitzt.

Der Advent bietet dem ganzen Team der Offenen Kirche und ihm als Seelsorger die Möglichkeit zu vielen neuen Begegnungen. Manchmal bleibe es bei einem punktuellen Kontakt. Manchmal führe ein Gespräch dazu, dass im neuen Jahr ein seelsorgerlicher Austausch weitergeführt wird.

Kleine Verpflegung für Adventskalender-Besucher
Kleine Verpflegung für Adventskalender-Besucher

Inzwischen ist es recht ruhig geworden in der Kirche. Manche Leute setzen sich in eine Bank, geniessen die Ruhe. In unmittelbarer Umgebung sind auch die Geschäfte auf Weihnachten eingestellt. Ist die Citykirche eine Insel mitten im Geschäfts- und Alltagstrubel? Andreas Nufer verneint. «Die Offene Kirche ist mehr ein Rückzugsort», sagt der Seelsorger und positioniert die Offene Kirche damit einmal mehr als Teil der Innenstadt.

Geschäfte sind Nachbarn

Wenn der Weihnachtsverkauf zum reinen Kommerz ausarte, habe er auch Mühe. In der Adventszeit Geschenke für Angehörige und Freunde zu kaufen, sei aber doch ein sehr schönes Brauchtum. Die Geschäfte rund um die Kirche bezeichnet Nufer als Nachbarn: «Wenn das Weihnachtsgeschäft läuft, dann ist das ja nicht grundsätzlich schlecht», stellt er ganz sachlich fest.

Bereits kommt wieder jemand mit einer Anfrage an den Pfarrer. Andreas Nufer ist im Advent jeden Tag in der Kirche. Der musikalische Adventskalender ist auch seine persönliche Einstimmung auf Weihnachten. Diese halbe Stunde geniesse er sehr, sagt er und macht sich wieder an die Arbeit.

Vor der Kirche spielen immer noch die Musikanten aus St. Petersburg auf und auf dem Bahnhofplatz werden Unterschriften für oder gegen etwas gesammelt. Nein, eine Insel ist das tatsächlich nicht.

Überblick über die Angebote der Offenen Kirche Bern im Advent.

Klezmer-Band «Fogosch» am musikalischen adventskalender in der Offenen Kirche Bern | © Martin Spilker
14. Dezember 2019 | 09:42
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Kirche in und für die City

Mehr City geht für eine Citykirche nicht: Auf einer Seite der Berner Hauptbahnhof, auf der anderen der «Loeb-Egge». Dazwischen verkehren beinahe alle Bus- und Tramlinien der Hauptstadt.

Die Offene Kirche Bern ist ideal erschlossen. Manchmal zu ideal… Andreas Nufer verdeutlicht das so: «Wer in Bern lebt weiss, dass auf dem Bahnhofplatz immer etwas los ist, dass einem etwas verkauft oder angeboten wird.» Manche Leute würden darum auch einen Bogen um die Heiliggeistkirche machen.

Für Citykirchen gelte es, das Programm und Angebot sehr sorgfältig auf die Menschen hier auszurichten. Was andernorts auch geschehe.  Doch in der Innenstadt bietet es die Dichte der Menschen an, den ganzen Tag über mit niederschwelligen Angeboten zur Verfügung zu stehen. So können Veranstaltungen auch auf Zeiten mit hohem Passantenaufkommen gelegt werden. Dafür ist der musikalische Adventskalender ein bewährtes Beispiel.

Die Offene Kirche Bern feiert dieses Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. Sie hat mit den drei Berner Landeskirchen und der Jüdischen Gemeinde Bern als erste und bislang einzige Citykirche Europas eine interreligiöse Trägerschaft. (ms)