Szenenbild aus dem Film "Der Verdingbub" von Markus Imboden
Schweiz

Wiedergutmachungsinitiative: Bundesrat legt indirekten Gegenvorschlag vor

Bern, 24.6.15 (kath.ch) Der Bundesrat hat am Mittwoch, 24. Juni, einen indirekten Gegenvorschlag zur Wiedergutmachungsinitiative vorgelegt. Gemäss diesem sollen Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen einen Solidaritätsbeitrag erhalten. 300 Millionen Franken sollen hierfür zur Verfügung gestellt werden. Die Gesetzesvorlage ermögliche eine schnellere Aufarbeitung der Geschehnisse als es die Initiative vorsehe, teilte das Bundesamt für Justiz am 24. Juni mit. Das Initiative-Komitee kritisiert, dass der Bundesrat von tieferen Opferzahlen ausgehe. Es hatte seinerseits einen Solidaritätsbeitrag von 500 Millionen Franken gefordert.

Der indirekte Gegenvorschlag zur Initiative anerkenne das Unrecht, das den Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen in der Schweiz vor 1981 zugefügt worden sei, so die Mitteilung weiter. Er regle insbesondere die Voraussetzungen für die Ausrichtung von finanziellen Leistungen im Gesamtumfang von 300 Millionen Franken zugunsten der Opfer. Deren Zahl wird auf 12’000 bis 15’000 geschätzt.

Schnellere Aufarbeitung durch Gegenvorschlag

Eine umfassende wissenschaftliche Untersuchung solle zudem Grundlagen zu den Hintergründen, zum Ausmass und zu den Auswirkungen der damaligen Praktiken liefern. Die Gesetzesvorlage sehe ferner vor, dass künftig auch die Akten privater Archive erfasst werden sollen, sie regle ausserdem die Akteneinsicht für die Betroffenen und die Forschung. Auch soll die Suche nach früheren Sparguthaben Betroffener erleichtert werden. Ein weiterer Teil der Vorlage seien Massnahmen wie die Beratung und Unterstützung Betroffener durch kantonale Anlaufstellen sowie die Errichtung von Zeichen der Erinnerung.

Der indirekte Gegenvorschlag des Bundes ermögliche eine schnellere Aufarbeitung der Geschehnisse, als der Weg über eine Verfassungsrevision mit anschliessender Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfes. Damit sollen möglichst viele Opfer, von denen sehr viele in fortgeschrittenem Alter und gesundheitlich angeschlagenem Zustand seien, noch Anerkennung und Wiedergutmachung ihres erlittenen Leides erfahren. Die Vernehmlassung zur Gesetzesvorlage dauert bis am 30. September 2015.

Initiativkomitee: Betrag durchschnittlich

Das Initiativ-Komitee zeigte sich grundsätzlich erfreut darüber, dass der Bundesrat das schwere Unrecht anerkennt, das den Opfern fürsorgerischer Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen zugefügt wurde, wie es am Mittwoch, 24. Juni, mitteilte. Der vorgeschlagene Solidaritätsfonds nehme eine zentrale Forderung der Initianten auf. Der Bundesrat gehe aber mit den vorgeschlagenen 300 Millionen Franken von niedrigeren Opferzahlen als die Initianten aus. Mit dem vom Bundesrat vorgeschlagenen Betrag würde jedes Opfer zwischen 20’000 und 25’000 Franken erhalten, rechnen die Initanten, die von 20’000 Opfern ausgehen, vor. Dieser Betrag sei im Vergleich zum Ausland für die Schweiz «durchschnittlich und keinesfalls zu hoch angelegt».

Positiv bewertet das Komitee die zusätzlichen Massnahmen, die das Bundesgesetz vorsieht, namentlich in den Bereichen der wissenschaftlichen Aufarbeitung und Öffentlichkeitsarbeit, Archivierung, Akteneinsicht, Beratung und Unterstützung durch kantonale Anlaufstellen. Auch die Errichtung von Denkmälern begrüsst das Komitee.

Beschleunigung sinnvoll

Guido Fluri, Begründer der Wiedergutmachungsinitiative, steht einem beschleunigten Prozess grundsätzlich positiv gegenüber. Dieses Vorgehen garantiere, «dass noch möglichst viele Opfer eine umfassende Wiedergutmachung erleben würden. Viele der schwer Betroffenen sind heute betagt und gebrechlich und brauchen darum rasch unsere Hilfe. Die Initianten hoffen, dass nebst dem Bund auch andere Stellen die Beiträge freiwillig mitfinanzieren», so Fluri laut Mitteilung. Eine endgültige Beurteilung des Gegenvorschlags sei jedoch erst möglich, wenn der definitive Vorschlag vorliege. Bis dahin bleibe für das Komitee die Wiedergutmachungsinitiative massgebend.

Am 19. Dezember 2014 wurde die Wiedergutmachungsinitiative mit über 108’000 Stimmen eingereicht. Sie fordert eine «Wiedergutmachung des Unrechts, das insbesondere Heimkinder, Verdingkinder, administrativ versorgte, zwangssterilisierte oder zwangsadoptierte Personen sowie Fahrende aufgrund fürsorgerischer Zwangsmassnahmen oder Fremdplatzierungen erlitten haben», so der Initiativtext.

Vertreter der katholischen Kirche

Als Vertreter der katholischen Kirche sitzt Thomas Wallimann, Präsident ad interim von Justitia et Pax, im Unterstützungskomitee. Die Nationalkommission Justitia et Pax hat sich bereits zuvor bezüglich Umgang mit Opfern fürsorgerischer Zwangsmassnahmen engagiert. So beteiligte sich Generalsekretär Wolfgang Bürgstein im Namen der Bischöfe am Runden Tisch, an dem Opferorganisationen, Parteien, der Bund, der Bauernverband und die Kirchen diskutierten.

Die katholische Kirche steht wegen Missbrauchsfällen in ihren Institutionen in der Kritik. Vor über zwei Jahren publizierten dazu im Kanton Luzern die katholische Kirche und der Kanton gemeinsam die Studie «Hinter Mauern», welche den Ursachen von Gewaltanwendungen in kirchlich geführten Erziehungsanstalten nachgeht. (sys)

Szenenbild aus dem Film «Der Verdingbub» von Markus Imboden | © Ascot Elite
24. Juni 2015 | 12:57
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