Wenn das Leben dem Ende entgegengeht.
Schweiz

Wie stirbt man gut? Neues Buch präsentiert Idealvorstellungen

Bern, 10.2.19 (kath.ch) Wie sieht gutes Sterben aus? Darüber gibt es unterschiedliche Vorstellungen in der Gesellschaft. Ein neues Buch, das das Wissen zum Lebensende in der Schweiz umfassend dokumentiert, stellt gesellschaftlich zentrale Diskurse zum Sterben vor. Geschrieben haben es vier Forscherinnen und Forscher, die bereits beim Nationalen Forschungsprogramm NFP 67 «Lebensende» massgeblich beteiligt waren.

Das Buch «Lebensende in der Schweiz. Individuelle und gesellschaftliche Perspektiven» erscheint zum Abschluss des Nationalen Forschungsprogramms NFP 67 «Lebensende», dessen Ergebnisse bereits im November 2017 publiziert wurden. Die neue Publikation gehe darüber hinaus, indem sie nicht nur systematisch die Ergebnisses aus dem NFP 67, sondern auch die seither erschienene internationale Literatur berücksichtigte, teilte der Schweizerische Nationalfonds am Donnerstag mit.

Unterschiedliche Werte bergen Konfliktpotential

Demnach werden die Kenntnisse in verschiedenen Bereichen vertieft, unter anderem eben auch das Wissen um die Ideale des Sterbens. Zur Bedeutung dieses Wissens äussert sich der Freiburger Theologe Markus Zimmermann, einer der vier Autorinnen und Autoren des Buches, das beim Schwabe Verlag erscheint.

«Um gesellschaftliche Konflikte um die Gestaltung des Lebensendes besser verstehen und bewältigen zu können, ist es wichtig, ein Bewusstsein für unterschiedliche Sterbeideale zu entwickeln», zitiert ihn die Mitteilung. «Wir haben es mit einem Pluralismus von Vorstellungen und Werten zu tun, der verständlich macht, warum selbst politische Lebensende-Entscheidungen nicht selten heftig umstritten sind.»

Ideale unterscheiden sich klar in ihrem Kern

Das Buch dokumentiert diesen Pluralismus von Vorstellungen. Ein ganzes Kapitel ist den sogenannten «Sterbediskursen» gewidmet, die in der hiesigen Gesellschaft vorkommen. Diese Diskurse bündeln gemeinsame Ansichten, Werte, Überzeugungen und Normen bezüglich des Sterbens, heisst es im Buch. Teilweise würden sie sich überschneiden, in ihren «Kernaspekten» aber klar unterscheiden.

Die Autoren unterscheiden fünf gesellschaftlich zentrale Diskurse, die sie vorstellen, miteinander vergleichen und kritisch kommentieren. Dabei beschreiben sie auch den gesellschaftlichen Kontext, in dem die Ideale vom guten Sterben entstanden sind.

Reaktion auf Verdrängung des Todes

Einer der Diskurse verbindet das gute Sterben mit Bewusstheit der Betroffenen und offener Kommunikation aller Beteiligten. Damit reagiere er auf eine Gesellschaft, der in den 1960er Jahren vorgeworfen wurde, den Tod zu verdrängen, heisst es im Buch.

Beim «Selbstbestimmungsdiskurs» hingegen steht der sterbende Mensch, sein Wille und dessen Umsetzung im Zentrum. Diese Sichtweise habe ihren Ausgangspunkt in der Medizinkritik, die in den 1970er Jahren vor allem von der Gesundheitsbewegung getragen worden sei, so das Buch. Angeprangert wird etwa das Hinauszögern des Lebensendes in Akutkliniken.

Sterben als seelischer Prozess

Ein weiterer Diskurs ist auf die Psyche der Sterbenden ausgerichtet, betrachtet das Sterben als seelischen Prozess. Mit der Zeit seien in der Geschichte der Bewegungen für ein neues Sterben psychologische, psychiatrische und psychoanalytische Ansätze in den Vordergrund getreten, weil sie besser als die somatische Medizin mit emotionalen Befindlichkeiten und unbewussten Mechanismen umgehen könnten.

«Ausserchristliche» Vorstellungen

Im vierten Diskurs, den die Autoren beschreiben, kommt die Spiritualität ins Spiel. Das Sterben wird hier als Übergang betrachtet. Schon in der frühen Hospizbewegung um die britische Ärztin Cicely Saunders hätten christliche Auffassungen eine Rolle gespielt. Dabei blieb es aber nicht. «Seither haben sich in westlichen Ländern zahlreiche, neben ganz privaten auch überindividuelle, sehr elaborierte, nicht zuletzt ausserchristliche Vorstellungen des guten Sterbens verbreitet», heisst es im Buch.

Viele Anschauungen seien aus anderen religiösen Kulturen übernommen und adaptiert worden. Darunter fänden sich aus solche, die lange Zeit stigmatisiert und als heidnisch abgestempelt worden seien.

Beim Sterbehilfediskurs wird auch gekämpft

Zuletzt beschreiben die Forscher den Sterbehilfediskurs, der die Kernidee vertritt, der Einzelne solle seinem Leben selbst ein Ende bereiten, falls er vom Leiden gequält ist. Dieser Diskurs ist laut den Forschern – anders als die übrigen vier – Bestandteil «einer explizit kämpferischen Bewegung im politischen Umfeld». Nicht zuletzt gehe es um Initiativen für bestimmte Rechte, für die Aufhebung gesetzlicher Verbote und zugunsten gesetzlicher Veränderungen.

Tod soll vor Verlust der Würde eintreten

Die Autoren weisen auch auf den zentralen argumentativen Stellenwert hin, der der Würde im Sterbehilfediskurs zukommt: Schmerzen tun nicht nur weh, Leiden und funktionale Einschränkungen machen nicht nur schwach, sie greifen auch die Würde an. Kein Zufall also, dass zum Beispiel eine schweizerische Sterbehilfeorganisation sich den Namen «Dignitas» gegeben hat. Dies lasse darauf schliessen, dass «der als würdig gedachte Tod im Verständnis des Selbstbehauptungsdiskurses zu einem Zeitpunkt eintrete, in der der Mensch seine Würde noch nicht verloren hat».

Nebst dem Theologen Markus Zimmermann, Professor für Christliche Sozialethik an der Universität Freiburg, gehören zu den Autoren der Basler Ökonom Stefan Felder, die Berner Soziologin Ursula Streckeisen sowie die Zürcher Juristin Brigitte Tag. Laut Mitteilung waren die vier von 2012 bis 2018 Mitglieder der Leitungsgruppe des NFP 67 «Lebensende». (bal)

Hinweis: Markus Zimmermann/Stefan Felder/Ursula Streckeisen/Brigitte Tag, Das Lebensende in der Schweiz. Individuelle und gesellschaftliche Perspektiven, 2019, Schwabe Verlag, 240 Seiten, ISBN 978-3-7965-3969-5


 

 

Wenn das Leben dem Ende entgegengeht. | © Roger Wehrli
10. Februar 2019 | 11:56
Lesezeit: ca. 3 Min.
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