Samuel Maoz, Regisseur des mehrfach prämierten Film "Foxtrot"
Schweiz

Wenn die Vergangenheit Wurzeln schlägt

Zürich, 26.3.18 (kath.ch) Vom 15. bis 21. März gab es, im Rahmen der diesjährigen Ausgabe der jüdischen Filmtage «Yesh!», in den beiden Zürcher Kinos Uto und Houdini Filme zur jüdischen Gegenwart und Vergangenheit zu entdecken. Und solche, die den Bogen zwischen den Zeiten schlagen.

Sarah Stutte

Zum einen Filme, die sich mit der jüdischen Vergangenheit beschäftigen, wie die kraftvolle Schwarz-Weiss-Elegie «1945» des Ungarn Ferenc Török. Er wählte mit seiner ruhigen und mehr auf Gestik fokussierten Geschichte einen anderen Zugang zur schwierigen Thematik Holocaust: die gemeinschaftliche Verdrängung eines Dorfes, zugunsten des daraus resultierenden Profits für die Bewohner.

Viele Filme befassten sich mit der jüdischen Gegenwart. So wie die bedrohlichen Anfeindungen einer ultra-orthodoxen Nachbarschaft in Jerusalem, denen sich in «A Quiet Heart» eine junge Pianistin ausgesetzt sieht.

Vom Gestern eingeholt

Und dann hatte man die Filme, die im Hier und Jetzt vom Gestern eingeholt wurden. Die Tragikomödie «Antenna» beispielsweise, in dem ein 80-jähriger Holocaust-Überlebender eines Morgens eine fremde Mobilfunkantenne auf seinem Hausdach entdeckt und glaubt, alle seine Schmerzen resultierten aus dieser Strahlung.

Der Film von Arik Rothstein fasst zusammen, dass das Eine nicht ohne das Andere existieren kann. Die Vergangenheit ist nicht vorbei. Sie hat tiefe Wurzeln ins Bewusstsein der heutigen israelischen Gesellschaft geschlagen.

Der ewige Tanz

So sieht es auch Regisseur Samuel Maoz, der mit seinem bereits mehrfach prämierten Film «Foxtrot» (am Samstag auch von der Ökumenischen Jury in Freiburg ausgezeichnet), einer zynischen Anti-Kriegs-Parabel, ans Festival kam. In ungewöhnlichen Einstellungen und mit trockenem Humor wird darin die Trauerbewältigung eines Paares fokussiert, dessen Sohn im Dienst gefallen ist.

Maoz, der als junger Mann selbst Panzerfahrer war, setzte sich schon 2009 in seinem Debüt «Lebanon» differenziert mit der israelischen Wehrpflicht auseinander. In «Foxtrot» benutzt er die Metapher des Tanzschritts, um zu demonstrieren, dass man am Ende genau dort ist, wo man am Anfang war. «Ich war nie zuvor in irgendeiner Form mit Gewalt konfrontiert. Dann wache ich eines Morgens auf und töte Menschen», erzählt er im Gespräch.

«Wir alle sind traumatisiert.»

Jahrelang habe er an einer posttraumatischen Störung gelitten, bis er erkannte, dass er damit nicht alleine war. «Wir alle sind traumatisiert. Unsere emotionale, instinktive Erinnerung an den Holocaust, selbst wenn wir ihn nicht selbst erlebt haben, ist stärker als die heutige Realität oder logische Wahrnehmung. Und sie vermittelt uns, dass wir uns ständig in Gefahr befinden, in einem ewigen Krieg. So tanzt jede Generation den Foxtrot aufs Neue», sagt er und fordert mehr Selbstkritik, ohne die das Land nicht wachsen könne.

Gerade das brachte Maoz Ärger mit der nationalistisch eingestellten Kulturministerin Miri Regev ein und führte in Israel zu einer kontroversen Diskussion um den Film. «Wenn ich meine Heimat kritisiere, dann weil ich mich sorge, weil ich sie beschützen will und letztendlich, weil ich sie liebe», so Maoz. (»Foxtrott» ist ab 5. April im Kino.)

Reise quer durch Israel und West Bank

Eine ähnliche Aussage macht der Buchautor und Journalist Nir Baram in seinem Dokumentarfilm «A Land Without Borders». Auch hier geht es um Vergangenheitsbewältigung, konkret um den israelisch-palästinensischen Konflikt. Dafür reiste der aus einer politischen Familie stammende Baram quer durch Israel und der West Bank, um beide Seiten verstehen zu lernen.

Das ist keine leichte Aufgabe, besonders wenn die meisten Palästinenser ihre Geschichte mit der «Naqba» (Katastrophe) von 1948 beginnen, als 700’000 Palästinenser flohen oder deportiert wurden, anstatt mit den 1967er-Grenzänderungen, die die meisten Israelis, sogar auf der linken Seite, als Ausgangspunkt für Verhandlungen betrachten.

«Es gibt sehr viele Ähnlichkeiten zwischen uns, die Politik teilt uns in zwei Lager»

Doch der Zuschauer nimmt, wie Baram, viel aus diesen Begegnungen mit. «Es gibt sehr viele Ähnlichkeiten zwischen uns, die Politik teilt uns in zwei Lager. Doch Palästinenser und Juden fühlen sich gleichermassen mit dem Land verbunden und dieses Gefühl kann man nicht hinter Mauern setzen. Man muss den Menschen die Freiheit geben, sich im ganzen Land bewegen zu können. Wir müssen Hoffnung kreieren, wir haben sonst nichts zu bieten», ist Baram überzeugt.

Antisemitismus und Kampf dagegen

Mit dem unbehaglichsten Gefühl liess einen der Dokumentarfilm «The Patriot» von Daniel Sivan zurück. Er beschäftigt sich mit dem zunehmenden Antisemitismus in Frankreich und zeigt auf, wie offen rechte Verfechter ihr diskriminierendes Weltbild via Internet verbreiten.

Er schildert aber ebenso den Kampf des jüdischen Hackers Ulcan alias Gregory Chelli, der gnadenlos dagegen hält und prominente Judenhasser und deren Familien terrorisiert. Opfer und Täter gibt es hier nicht. Ein Film, der noch lange nachwirkt, auch wenn das Festival seine Tore bereits wieder geschlossen hat.

Samuel Maoz, Regisseur des mehrfach prämierten Film «Foxtrot» | © Sarah Stutte
26. März 2018 | 12:47
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