Bernhard Brack, Leiter katholische Sozialdienste St. Gallen und Autor
Schweiz

Weisheiten und Lebensgeschichten hilfesuchender Menschen

St. Gallen, 16.11.18 (kath.ch) Bernhard Brack hat ein Buch über die Lebensgeschichten und Weisheiten von Menschen im Schatten der Gesellschaft geschrieben. Der Leiter der Sozialdienste der Katholischen Kirche im Lebensraum St. Gallen hat «Das Buch der Brüche» mit seinem Arbeitsalltag gespeist und dem Wunsch, diese Menschen zu würdigen.

Regula Pfeifer

«In den Geschichten hat es tiefe, wunderschöne Weisheiten», sagt Bernhard Brack. Der Leiter der Sozialdienste der Katholischen Kirche im Lebensraum St. Gallen spricht über «Das Buch der Brüche», das er am Freitag in St. Gallen an einer Vernissage vorstellt. Darin beschreibt er die Schicksale der Menschen, die ihm bei seiner Arbeit begegnet sind. Eine der angesprochenen Weisheiten stammt aus dem Mund der alten, blinden Frau, die nach dem Tod ihres Ehemannes mit den Vögeln pfeift und sagt: «Ich habe gelernt, nach innen zu pfeifen.»

Aufmerksamkeit für Menschen im Lebenskampf

Brack wünscht sie mehr Aufmerksamkeit für Menschen, die am Lebensende stehen oder einen Lebenskampf führen, «von dem wir oft keine Ahnung haben», wie er sagt. «Übersetzt man solche Lebenswelten – oder versucht es zumindest – dann hat das Buch einen Sinn: Es wird herzerweiternd oder zumindest horizonterweiternd fürs eigene Leben.»

Der Anfang zu diesen Geschichten geschah vor sechs oder sieben Jahren. Wie jedes Jahr wollte der Sozialarbeiter die Akten der Hilfesuchenden per Ende Jahr ablegen. Da widerstrebte es ihm plötzlich, diese Lebensgeschichten so sang- und klanglos zu versorgen. Und er begann sie in Geschichten umzuwandeln.

Erst würdigen, dann loslassen

«In unserer Gesellschaft werden Menschen, die im Schatten stehen, kaum gewürdigt für das, was sie gemacht haben oder für das, was sie – oft trotz widriger Lebensumstände – versucht haben», sagt Brack. Sein Buch soll dem entgegenwirken. Er verarbeite mit dem Schreiben nicht nur seine Erlebnisse mit den Hilfesuchenden, sondern wolle diese damit auch würdigen. «Erst wenn ich sie auf diese Weise gewürdigt habe, kann ich loslassen».

«Da scheint etwas viel Feineres auf.»

Gewählt hat er dafür die Form des Gedichts. «Das Gedicht zieht seelische Aspekte mit ein», ist Brack überzeugt. Beim Verfassen nahm er seine Lieblingsgedichte zu Hilfe, schlug diese mit geschlossenen Augen auf und wählte so einen Abschnitt, den er in sein eigenes Gedicht hineinwob. «Es war wie ein kleines Wunder: Die fremden Verse passten bestens.» Die Gedichte ermöglichten einen neuen Blick auf die Menschen, findet der Sozialarbeiter und Autor. Da gehe es nicht mehr darum, den Menschen für seine Verfehlungen und Versäumnisse zu schelten und Forderungen und Ratschläge zu formulieren. «Da scheint etwas viel Feineres auf», sagt Brack.

Die Gedichte, die wegen der fehlenden Reime auch als Kurzgeschichten gelten können, erzählen Lebensgeschichten oder geben kurze Gespräche wieder. Dass die so vorgestellten Menschen beim Sozialdienst Hilfe beanspruchten oder noch immer beanspruchen, ist selten erwähnt. «Bei dem Rucksack, den diese Menschen vielfach mit sich tragen – etwa mit Heimgeschichten – gibt es auch oft nicht sofort eine Lösung», sagt Brack. Solch komplexe Lebenssituationen liessen sich meist gar nicht auflösen. Es gehe vielmehr einfach darum, «ein offenes Herz zu haben für das Gegenüber», ist der Sozialarbeiter überzeugt.

Hilfe im Alltag

Das scheint etwas untertrieben angesichts der Beispiele, die Brack gegenüber kath.ch aus seinem Sozialdienst-Alltag erzählt. So konnte er einen 55-jährigen Mann aus der Obdachlosigkeit holen, der in einem Teufelskreis von fehlenden Aufenthaltspapieren, fehlendem Wohnsitz und Arbeitslosigkeit steckte. Heute arbeitet der Mann wieder.

Und er konnte einem Mann mit schwierigster Kindheit und Heimvergangenheit dabei helfen, eine Wohnung für sich und seine schwangere Partnerin zu finden und die Kaution dafür aufzutreiben. Heute unterstützt Brack die vierköpfige Familie, indem er das Einkommen des Mannes verwaltet.

Abschluss des Fonds für Diakonie-Projekte

Im «Buch der Brüche» sind 93 Geschichten in sieben «Tagen» statt Kapiteln untergebracht. Hinzu kommen Fotografien und Kurzbeschreibungen der 36 Diakonie-Projekte des «Otmars-Brunnen». Der Otmars-Brunnen ist ein Fonds zur Lancierung neuer Diakonie-Projekte. Dieser wurde 2009 vom Bistum und vom Katholischen Konfessionsteil des Kantons St. Gallen eingerichtet. Das «Buch der Brüche» ist das letzte Projekt, das aus diesem Fonds finanziert wird.

Buchvernissage: Freitag, 16. November, ca. 19.15 Uhr im Chorraum der Kathedrale St. Gallen.

Bernhard Brack, Das Buch der Brüche, Verlag Format Ost, Schwellbrunn AR, 2018, ISBN: 978-3-03895-007-3.

Bernhard Brack, Leiter katholische Sozialdienste St. Gallen und Autor | © zVg
16. November 2018 | 06:37
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Sozialdienste der Katholischen Kirche St.Gallen

Die Sozialdienste der Katholischen Kirche im Lebensraum St.Gallen bestehen einerseits aus drei Beratungsstellen, an die sich Menschen in Schwierigkeiten wenden können, wie auf der Webseite zu erfahren ist. Das Angebot ist laut Bernhard Brack «niederschwellig». Die hilfesuchenden Menschen werden unterstützt bei persönlichen, familiären, rechtlichen und finanziellen Fragen und bei Bedarf an spezialisierte Anlaufstellen weiter vermittelt. Andererseits gehören zu den Sozialdiensten auch verschiedene Angebote wie Mittagstische in Pfarreien, gemeinsame Koch-Anlässe, Informationen über Möglichkeiten billigen Lebensmittelbezugs, ein Theaterprojekt mit Flüchtlingen und ein Projekt «Geheime Wünsche», bei dem alte Menschen überrascht werden. (rp)