Weihnachten
Schweiz

Weihnachten überlebt auch bei Freidenkern

Zürich, 18.12.16 (kath.ch) Weihnachten hat für Jan-Niklas Runge, Ruth Thomas und Peter Morf keinerlei religiöse Bedeutung. Alle drei sind Freidenker. Doch wie viele andere Menschen verbringen auch sie die Weihnachtstage im Kreis ihrer Familie, erzählen sie kath.ch. Da kann es vorkommen, dass einer «Stille Nacht» mitsingt. Auch wenn ihn dabei schaudert.

Barbara Ludwig

Für Jan-Niklas Runge hat sich die Bedeutung von Weihnachten seit seiner Jugend nicht wesentlich verändert. Der grossgewachsene junge Mann stammt aus Göttingen (D) und doktoriert derzeit in Zürich in Evolutionsbiologie. An Weihnachten traf sich immer die Familie. «Dass Oma kommt, war das eigentliche grosse Hightlight. Sie hat auch lange Zeit gekocht», erinnert sich Jan-Niklas Runge. Heute schätzt der 27-Jährige an Weihnachten die Möglichkeit, über längere Zeit in die Heimat zu fahren, seine Eltern zu besuchen und alte Bekannte zu treffen. «Ich mag auch einfach die ganze Atmosphäre, die entsteht, weil fast alle Menschen im Land nach Hause fahren und ihre Familien sehen.»

Weihnachten grenzt nicht aus

Die Familie Runge wird wie früher einen Tannenbaum im Wohnzimmer haben, an Heiligabend werden Kerzen angezündet, und man wird Geschenke austauschen. Am Abend des ersten oder zweiten Weihnachtstages hat Jan-Niklas Runge vor, alte Freunde zu besuchen. Früher besuchte die Familie dann und wann den Gottesdienst in der evangelisch-lutherischen Kirche. Für den jungen Wissenschaftler, der vor mehr als zehn Jahren aufgehört hat, «daran zu glauben», ist das gar kein Thema mehr.

Ich persönlich bin nach wie vor angetan vom Weihnachtsfeiertag

Jan-Niklas Runge schreibt Weihnachten keine religiöse Bedeutung zu. Trotzdem sieht der heute Konfessionslose einen Sinn in Festen, die von allen Menschen begangen werden, weil sie ein Gefühl von Einheit vermittelten. «Ich persönlich bin nach wie vor angetan vom Weihnachtsfeiertag, weil ich sehe, dass es ein Feiertag ist, der nicht ausgrenzt und den auch nichtreligiöse Menschen schätzen können.» Der Biologe wünscht sich, dass religiöse Menschen sich nicht angegriffen fühlen, wenn andere Weihnachten in erster Linie als Familienfeier sehen.

Geschenke einkaufen und kochen

Ein Familienfest ist Weihnachten auch für Ruth Thomas, eine vife Frau, die zackig und präzise Antwort gibt. Die fünffache Grossmutter ist voll gefordert. Bereits im Advent gilt es, mit Enkelkindern und Töchtern Einkäufe zu tätigen. «Es gibt viel zu tun, bis ich alle Geschenke habe», sagt die ehemals reformierte Stadtzürcherin. Ruth Thomas kocht zudem am 24. Dezember für elf Erwachsene und sieben Kinder.

In ihrer Stube wird auch ein Weihnachtsbaum stehen. Ohne Krippe darunter, und es wird auch nicht die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel vorgelesen. Aber bevor die Kerzen am Weihnachtsbaum angezündet werden, singt man «Zimetschtern han i gern» von Andrew Bond, das einzige Lied, das alle beherrschen. Zwei der älteren Enkel hätten zudem angekündigt, ein Stück auf der Geige vorzutragen, etwas Aktuelles aus der Geigenstunde, sagt Ruth Thomas.

Feste überleben meistens, aber ihre Begründungen können sich ändern

Ein Gottesdienstbesuch wäre völlig abwegig. Auch als Ruth Thomas noch ein Kind war, ging man an Weihnachten nie zur Kirche. Und die 64-Jährige kennt heute niemanden in ihrem Umfeld, der das mache. «Weihnachten ist definitiv ein Familienanlass», stellt sie fest. So hat sie es auch früher erlebt. Bei ihrer Grossmutter kamen am 25. Dezember jeweils Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen, davon viele im Alter von Ruth, zusammen. «Es war immer sehr lustig.»

Weihnachten sei heute ein weitgehend globalisiertes Fest, findet Ruth Thomas, die Religionswissenschaften studiert hat. «Meistens wird es als Familienfest gefeiert, und es muss nicht christlich geprägt sein.» Das Fest sei zudem deutlich älter als das Christentum. «Feste überleben meistens, aber ihre Begründungen können sich ändern.»

Weihnachtsgeschichte aus der Bibel

Das Weihnachtsfest im Hause von Peter Morf im thurgauischen Guntershausen behält einen christlichen Touch. Der 68-Jährige mit dem weissen Vollbart nimmt Rücksicht auf sein familiäres Umfeld. Am 24. Dezember verbringt er mit seiner Frau und den beiden erwachsenen Kindern einen gemütlichen, «weltlichen» Abend. Am 25. aber ist es ganz anders, erzählt der Thurgauer. Peter Morf macht an dieser Stelle eine Pause im Gespräch, Schalk liegt in seinen Augen.

Am 25. Dezember wird das Weihnachtsfest eben wie früher begangen, als Peter Morf noch klein war. Sohn und Tochter schmücken tagsüber den Christbaum. Am Abend kommen die nächsten Angehörigen. «Man liest die Weihnachtsgeschichte. Das macht mein Bruder, mein Neffe oder meine Schwägerin. Dann singen wir Weihnachtslieder. Solange meine Mutter lebt, werden wir das so weiterführen.» Peter Morfs Mutter ist 92 Jahre alt und prägte das Weihnachtsfest seit jeher. Sie achtete immer darauf, dass man zuerst aus der Bibel las, die Weihnachtslieder sang und erst relativ spät zur Bescherung überging.

Weihnachtslieder abschaffen? Kinder protestierten

Vor zwei Jahren wollte der Freidenker die Weihnachtslieder aus dem Fest verbannen. Und löste damit – er sagt dies mit Nachdruck – zum eigenen Erstaunen «grössten Protest» aus. Denn sein Sohn sei ein ebenso überzeugter Atheist wie er selber, und die Tochter sei zwar religiös, aber aus der Kirche ausgetreten. Die beiden fanden, dass die Lieder einfach zu Weihnachten gehörten.

«Stille Nacht» löst Schaudern aus

So kommt es, dass Peter Morf noch immer «Stille Nacht» und «Ihr Kinderlein kommet» mitsingt. Auch wenn den Mann dabei schaudert, wie er offen zugibt. Die Melodie sei in Ordnung. Aber die Liedtexte findet er naiv und kindisch. Sie passten nicht mehr in unsere Welt und zur heutigen Zeit.

Weihnachten | © pixabay jill111 CC0
18. Dezember 2016 | 14:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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