Christian Cebulj
Schweiz

«'Veritatis gaudium' ist ein Glücksfall für die Theologischen Fakultäten»

Chur, 4.2.18 (kath.ch) Christian Cebulj sieht in der neuen Konstitution von Papst Franziskus zur Arbeit kirchlicher Hochschulen eine grosse Wertschätzung der wissenschaftlichen Theologie. Der Rektor der Theologischen Hochschule Chur (THC) wünscht sich, dass die akademische Theologie noch stärker als bisher als Gesprächspartnerin für Bischöfe und Bischofskonferenzen wahrgenommen wird. Dies schreibt er in seinem Gastkommentar für kath.ch.

In seiner neuen Apostolischen Konstitution «Veritatis gaudium» äussert sich Papst Franziskus grundsätzlich zur Bedeutung der Theologischen Hochschulen und Fakultäten. Das Schreiben ist im Wesentlichen eine Fortschreibung der Konstitution «Sapientia Christiana» aus dem Jahr 1979. Bemerkenswert sind jedoch einige Aspekte, die er in der Einleitung formuliert. Sie dürfen insgesamt als grosse Wertschätzung der wissenschaftlichen Theologie verstanden werden. Vier Aspekte daraus erscheinen mir besonders wichtig.

Erstens muss das «aggiornamento» weitergehen. Papst Franziskus arbeitet in «Veritatis gaudium« über 50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanum gezielt mit Begriffen aus der Konzilszeit. Er wiederholt nicht einfach nur, was sein Vor-Vorgänger Johannes Paul II. 1979 in «Sapientia Christiana» formulierte.

Es ist Aufgabe von Theologie und Kirche, sich ständig zu erneuern.

Wenn Franziskus schreibt, er möchte ein «aggiornamento» (eine «Ver-heutigung») von «Sapientia Christiana», dann verwendet er einen Begriff von Konzilspapst Papst Johannes XXIII. Dieser meinte nämlich, die Kirche solle ihre Zukunft nicht nur in der Vergangenheit suchen. Sie solle nicht zu einer kleinen Herde von Rechtgläubigen werden, die zur gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit verkommt. Vielmehr sei es Aufgabe von Theologie und Kirche, sich ständig zu erneuern und die Fenster zur Welt zu öffnen.

Wir Schweizer Theologischen Fakultäten erfüllen diese Forderung seit vielen Jahren, indem wir uns in öffentlichen Debatten positionieren, wenn es etwa um Sterbehilfe, um die Integration des Islam, um den Religions- und Ethikunterricht an öffentlichen Schulen oder um Religionsfreiheit geht. 

Theologie soll den offenen Dialog mit der Gesellschaft suchen.

Zweitens plädiert Papst Franziskus für Freude am Dialog statt Kulturpessimismus zu verströmen. Mit seiner Rede von der Freude (gaudium) verwendet Franziskus einen zweiten Schlüsselbegriff des Zweiten Vatikanums. Damit knüpft er einen roten Faden in drei Schritten: Er beginnt bei «Gaudium et Spes», einem der wichtigsten Texte des Konzils. Darin wird gesagt, dass die Kirche sich nicht abschotten, sondern den Dialog mit der Welt von heute suchen soll. Diese Linie greift Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben «Evangelii gaudium» auf und sagt darin nochmals, dass alle Theologie der Pastoral dienen müsse. Derselbe Begriff wird drittens in «Veritatis gaudium» verwendet. Darin fordert Franziskus die akademische Theologie auf, den elfenbeinernen Turm der Wissenschaft zu verlassen und den offenen Dialog mit Gesellschaft, Politik und Gegenwartskultur zu suchen.

Papst Franziskus ist einen Schritt weiter als manche Bischöfe.

Das Wertvolle an der Sprache und Theologie von Papst Franziskus ist, dass er die Pluralität von Religionen und Weltanschauungen unserer Gegenwart nicht als Gefahr, sondern als Chance für den Dialog sieht. Wenn ich dagegen manche Hirtenbriefe von Bischöfen lese, die in kulturpessimistischer Weise nur das Schlechte und Bedrohliche unserer Zeit herausstreichen und so tun, als ob der Untergang des Abendlands vor der Tür stehe, dann ist Papst Franziskus schon einen Schritt weiter!

Drittens sieht Papst Franziskus die Theologie als «kulturelles Laboratorium». Ein schönes Sprachspiel. Damit spricht er mir als Religionspädagoge aus dem Herzen, denn er fordert Elementarisierung statt Populismus.

Zentrale Fragen des Glaubens in einfacher Sprache ausdrücken.

Wie in Erziehung und Unterricht müssen wir auch in der akademischen Theologie immer wieder neu versuchen, theologische Inhalte und zentrale Fragen des Glaubens in einfacher Sprache auszudrücken, ohne dabei platt oder billig zu werden. Ich halte es für die grösste Herausforderung an unsere Forschung und Lehre, eine elementare Theologie zu treiben, die reduziert ohne zu banalisieren.

Viertens soll Theologie aus Sicht von Papst Franziskus treu und kühn an die Grenzen gehen. Franziskus würdigt die akademische Theologie, indem er betont, dass sie einen «besonderen und unersetzlichen Beitrag zur Inspiration und Orientierung erbringt» (Einleitung Nr. 5). Dazu regt er die Einrichtung von Forschungszentren an, die sich mit den elementaren Problemen der Kirche und der Menschheit beschäftigen.

Obwohl es an den Schweizer Theologischen Fakultäten sicher weiterer Anstrengungen bedarf, gibt es schon seit vielen Jahren Institute, die Forschung im Sinne von Franziskus leisten: Das Pastoralinstitut in Chur, das Institut für Jüdisch-Christliche Forschung und die neue Ethik-Sommerschool in Luzern oder das Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft in Freiburg.

Ich hoffe auf einen besseren innerkirchlichen Dialog.

Was bleibt als Fazit? Als Wirkung von «Veritatis gaudium« hoffe ich zunächst auf einen besseren innerkirchlichen Dialog. Die theologische Forschung hat gerade an den Universitäten und Hochschulen im deutschsprachigen Raum eine lange Tradition. Dabei wurde das Gespräch zwischen Lehramt und akademischer Forschung nicht immer optimal geführt. Viele wissenschaftliche Erkenntnisse der Theologie, die seit Jahren auf dem Tisch liegen, sind nur unzureichend in die kirchliche Verkündigung eingeflossen.

Im Anschluss an «Veritatis gaudium» würde ich mir wünschen, dass die akademische Theologie noch stärker als bisher als Gesprächspartnerin für Bischöfe und Bischofskonferenzen wahrgenommen wird. In «Veritatis gaudium» macht Papst Franziskus deutlich, dass er einen offenen Dialog mit der akademischen Theologie wichtig findet und ihr eine «Leadership» in dieser Sache zutraut. Insofern ist die neue Konstitution ein Glücksfall für die Theologischen Fakultäten nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit.


Christian Cebulj | © zVg
4. Februar 2018 | 15:23
Lesezeit: ca. 3 Min.
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