Thomas Boutellier
Schweiz

Thomas Boutellier: Geschlossene Gruppen wie die «Katholische Pfadfinderschaft Europas» bergen ein hohes Risiko

Die Herbert-Haag-Preisträgerin Johanna Beck kritisiert die Katholische Pfadfinderschaft Europas. Laut Pfadi-Experte Thomas Boutellier (42) ist die Gemeinschaft auch in der Schweiz aktiv: «Es gibt ein ganzes Sammelsurium von geschlossenen Gruppen, die sich im rechtskonservativen katholischen Feld tummeln.»

Raphael Rauch

Johanna Beck hat den Herbert-Haag-Preis erhalten. Wie finden Sie das?

Thomas Boutellier*: Ich bewundere immer wieder den Mut von Frauen und Männern, die trotz ihrer tiefen Verletzungen hinstehen und der Welt und vor allem der Institution Kirche zeigen, was ihnen angetan wurde. Die Verleihung des Herbert-Haag-Preises ist wichtig, um dem Missbrauchs-Problem immer wieder neu Aufmerksamkeit zu schenken und das Handeln von mutigen Menschen anzuerkennen. Die katholische Kirche hat sich in den letzten Jahren nicht nur mit Ruhm bekleckert. Hinter den Mauern wird geglaubt und vor den Mauern oft geschwiegen. Es wird viel getan in der Schweizer Präventionsarbeit – aber in vielen Bereichen stehen wir erst noch ganz am Anfang.

Herbert-Haag-Preisträgerin Johanna Beck.
Herbert-Haag-Preisträgerin Johanna Beck.

Johanna Beck kritisiert die Katholische Pfadfinderschaft Europas. Ist die auch in der Schweiz aktiv?

Boutellier: Ja, es gibt die «Schweizer Pfadfinderschaft Europas». Wir wissen von circa fünf Abteilungen in der Schweiz. Laut Website gibt es vier Gruppen – eine in Zürich, eine im Kanton Freiburg und zwei in der Romandie. Wir wissen, dass diese Gruppen nach aussen sehr intransparent unterwegs sind. Sie schliessen sich in einem separaten Weltbund zusammen und es ist nicht so klar, wer leitet und was die Gruppen neben dem Katholischen lernen. Die «Schweizer Pfadfinderschaft Europas» ist aber nicht die einzige Pfadfindergruppe, die sich im rechtskonservativen katholischen Spektrum bewegt. Und auch ausserhalb der Pfadfinder gibt es katholische Jugendorganisationen, die ich problematisch finde.

Bei einem Treffen der Katholischen Pfadfinderschaft Europas in Altötting weht auch die Schweizer Flagge.
Bei einem Treffen der Katholischen Pfadfinderschaft Europas in Altötting weht auch die Schweizer Flagge.

Welche gibt es noch?

Boutellier: Es gibt ein ganzes Sammelsurium von geschlossenen Gruppen, die sich im rechtskonservativen katholischen Feld tummeln. Eine Zusammenarbeit in der Jugendpastoral erweist sich als äusserst schwierig, da sich die theologischen Grundüberlegungen, das Menschen- und Kirchenbild  stark unterscheiden.

«Hier gibt es nach wie vor eine starke Fixierung auf den Führer, meist einen Priester.»

Johanna Beck hat bei der Preisverleihung in Luzern die Katholische Pfadfinderschaft Europas kritisiert. Was unterscheidet so eine Gruppierung von einer normalen Pfadi?

Boutellier: Mein Eindruck ist: Hier gibt es nach wie vor eine starke Fixierung auf den Führer, meist einen Priester. Teilung von Macht findet man da kaum. Es erinnert stark an die Probleme, die die «Boy Scouts of America» hatten. Die Leitungspersonen sind oft Erwachsene, die mit ihrem Wissen und ihrer Lebenserfahrung sehr viel Gutes bewirken können, aber auch dominieren und manipulieren können. Der Grundsatz «Junge leiten Junge» ist nur am Rande spürbar. Dazu kommt die Fixierung auf die Mission vor allem anderen. Im Gegensatz dazu orientiert sich die Pfadibewegung Schweiz an der ganzheitlichen Förderung der jungen Menschen.

Quo vadis, Pfadi?
Quo vadis, Pfadi?

Was macht die Pfadibewegung Schweiz anders?

Boutellier: Wir stellen das Kind, den Jugendlichen ins Zentrum und nicht die Religion oder die Mission. Gerade im Spirituellen ist es uns wichtig, dass die Kinder sich ausprobieren können. Hier gibt es kein richtig oder falsch, die Deutungshoheit von spirituellen Aktivitäten liegt nicht bei den Leitenden.

«Bei uns gibt es keine katholischen Sonderregeln.»

Wie stellen Sie in Ihrem Verband sicher, dass keine fundamentalistischen Fraktionen Ihr Unwesen treiben?

Boutellier: Katholische Pfadiabteilungen müssen immer erst Mitglied der Pfadibewegung Schweiz sein, bevor sie dem Verband Katholischer Pfadi beitreten können. Es gibt klare Kriterien, zum Beispiel: Koedukation, also keine ausschliesslich geschlechtergetrennten Abteilungen. Bei uns gibt es keine katholischen Sonderregeln. Für unseren Verband gelten die gleichen Regeln, die gleiche Pädagogik und die gleiche Grundhaltung wie für die nicht-konfessionellen Pfadi-Abteilungen in der Schweiz. Dazu gehört auch ein klares Konzept für Prävention und Intervention bei der Verletzung der sexuellen Integrität.

«Konservative, zum Teil fundamentalistische Gruppierungen lehnen die Koedukation mit dem Hinweis auf Gottes Schöpfung ab.»

Johanna Beck war in einer Mädchen-Gruppe.

Boutellier: Es gibt auch bei uns Mädchengruppen, aber diese igeln sich nicht ein, sie sind Teil einer koedukativen Pfadi. Es geht um das gemeinsame Lernen und Leben von Mädchen und Jungen, von Frauen und Männern und von Menschen, die sich einem anderen Geschlecht zugehörig fühlen. Konservative, zum Teil fundamentalistische Gruppierungen lehnen die Koedukation mit dem Hinweis auf Gottes Schöpfung ab. Die Aussage, dass sie alle Menschen bei sich aufnehmen, ist vorgeschoben: Wer nicht die richtige Geisteshaltung an den Tag legt, wird missioniert oder darf nicht mehr mitmachen.

Thomas Boutellier, Verbandspräses der katholischen Pfadi Schweiz
Thomas Boutellier, Verbandspräses der katholischen Pfadi Schweiz

Ist das der Grund, warum sich nicht alle Pfadi-Gruppen der Pfadibewegung Schweiz anschliessen wollen?

Boutellier: Auf den ersten Blick hat es sehr viel mit der Geisteshaltung und Religiosität zu tun. Auf den zweiten Blick geht es aber auch darum, sich der Kontrolle von aussen zu entziehen. Sie haben ihre selbstgestalteten Aus- und Weiterbildungen mit genehmen Inhalten – und niemand funkt ihnen rein.

«Es liegt an den Priestern, diese Schutzkonzepte einzufordern.»

Wer steht in der Verantwortung, ein Präventionskonzept bei den katholischen Pfadi-Gruppierungen einzufordern, die keinem Verband angehören?

Boutellier: Die Pfadfindergruppen der KPE, also auch die «Schweizer Pfadfinderschaft Europas», ordnen sich einer Pfarrei zu und sehen den Pfarrer oder Priester als Leitungsperson. Deswegen wäre es ganz sicher an ihm, diese Schutzkonzepte einzufordern. Der Verweis auf die Schutzkonzepte der Bistümer reicht hier ganz sicher nicht. Auch der Dachverband würde gut daran tun, sich zu diesem Thema zu äussern und transparent zu sein. Wer versucht, sich zu diesem Thema im Internet bei der «Schweizer Pfadfinderschaft Europas» zu informieren, findet nichts. Dass das in der heutigen Zeit und vor allem mit Blick auf die Vergangenheit indiskutabel ist, versteht sich von selbst.

Ohne Druck von aussen passiert oft nichts.

Boutellier: Auch die katholische Kirche als Institution muss sich damit auseinandersetzen. Wo katholisch draufsteht, muss auch katholisch drin sein. Und das bezieht sich nicht nur auf das Evangelium. Sondern auch, wie man miteinander umgeht und mit welchen Qualitätsstandards wir arbeiten. Gruppen, die sich nicht um Themen wie Prävention und Intervention kümmern, schaden auch der gesamten katholischen Kirche.

* Thomas Boutellier (42) ist Verbandspräses im Verband Katholischer Pfadi und Leiter der kirchlichen Fachstelle Jugend in Solothurn. Im Ehrenamt ist er Krisenverantwortlicher der Pfadibewegung Schweiz. Er ist beruflich und im Ehrenamt im Bereich Missbrauchs-Prävention und Intervention tätig.


Thomas Boutellier | © zVg
16. März 2022 | 12:09
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