Hanspeter Schmitt (von rechts), Thomas Staubli und Monika Renz am Katholischen Dialog im Romerohaus Luzern, 30.11.15
Schweiz

Theologe im Romerohaus: «Sterbekunst fällt nicht vom Himmel»

Luzern, 1.12.15 (kath.ch) Wer das Angewiesensein früh im Leben akzeptieren lerne, habe es im Alter leichter. Dies sagte der Churer Theologe Hanspeter Schmitt am 37. Katholischen Dialog am 30. November im Romerohaus Luzern. Thema war die «Entsorgung der Alten oder Kunst des Sterbens?». Die Theologin und Psychotherapeutin Monika Renz beschrieb das Sterben als Hinübergehen, nicht als Verlöschen.

Regula Pfeifer

«Die Sterbekunst muss man integrieren in die Lebens- und Alternskunst», forderte Hanspeter Schmitt in seinem Input am 37. Katholischen Dialog. Der ordentliche Professor für Theologische Ethik an der Theologischen Hochschule Chur legte vor den rund 60 Besucherinnen und Besuchern im Pensionsalter seine Sicht dar. Angeboten wurde der Bildungsanlass vom Forum für offene Katholizität (FOK), dem Verein Tagsatzung.ch und dem Bildungszentrum von Comundo Romerohaus.

Latente Selbstentwertung

Schmitt verwehrte sich in seinem Referat gegen den ansonsten vorbildlichen, aber gesellschaftlich abgesonderten Bereich des Palliative Care und plädierte für Integration. Es gehe darum, im Leben die Stärke und Selbstständigkeit mit der Verletzlichkeit und dem Angewiesensein zu verbinden. Das sei nötig, damit im Alter nicht das passiere, was Schmitt aktuell bei vielen Menschen im Alter beobachtet, nämlich «eine latente Selbstentwertung». Der steigende Trend bei den Alterssuiziden zeigt laut Schmitt: Der Mensch erlebt sein eigenes Leben als würdelos angesichts seiner schleichenden körperlichen und geistigen Verlangsamung. Deshalb plädiert der Dozent: «Es braucht ein neues Ansehen des menschlichen Angewiesenseins und der menschlichen Imperfektion».

Die Erkenntnisse des Theologen, der dem Karmeliter-Orden angehört, entstammen nicht nur wissenschaftlichen Studien, sondern auch seinen Erfahrungen in der Jugend-, Klinik- und Jugendpastoral. Diese Ermutigung zur Verletzlichkeit anzunehmen sei ein «Riesending», gab Schmitt zu. Doch wer im Leben früh gelernt habe, nicht nur zu markieren, sondern auch loszulassen und anzunehmen, habe es im Alter leichter. Denn: «Sterbenskunst fällt nicht vom Himmel», so Schmitt.

Was der christliche Glaube bei dieser Frage denn tauge, wird Schmitt oft von Jugendlichen gefragt. Die Antwort präsentierte er auch dem Publikum: «In den christlichen Quellen wird das Leben an den Grenzen nicht ausgegrenzt, sondern findet Schutz, Gemeinschaft und Anerkennung.» Diese Haltung gehe hinein bis in die Kreuzestheologie der Evangelien, so Schmitt. «Dies zu wissen entlastet uns, wenn uns nicht alles gelingt.»

Umgang mit Sterbenswünschen

«Wie gehe ich damit um, wenn jemand mir sagt: ‹Ich sehe keinen Sinn mehr, ich möchte gehen›,» fragte eine Frau aus dem Publikum, die oft Menschen in Alters- und Pflegeheimen besucht. Sie komme bei solchen Aussagen jeweils in eine «ziemliche Not». Thomas Staubli, Dozent für Altes Testament an der Universität Freiburg, der den Anlass moderierte, gab die Frage weiter an Monika Renz. Auch sie höre solche Worte jede Woche, antwortete Renz. Die Theologin und Psychotherapeutin leitet die Psychoonkologie am Kantonsspital St. Gallen. Sie rät zu einem differenzierten Umgang mit Sterbenswünschen. Sie könne die Not eines leidenden Menschen verstehen, sagt sie. Manchmal schweige sie und gehe innerlich ins Gebet, manchmal erzähle sie beispielsweise von einer jungen Mutter, die bald sterben müsse und drei Kinder hinterlasse. Und sie bitte den Patienten, an diese Mutter zu denken. «Etwas für andere tun zu können, stärkt die Menschen», erklärte Renz.

Aus ihrer therapeutisch-spirituellen Praxis mit Sterbenden brachte Renz neuere Erkenntnisse mit. «Sterbende sind hörend, hinhörend, auch wo sie nicht mehr reagieren», erklärte sie. Das sei eine der auditiven Phasen im Leben eines Menschen. Bekannt sei ja das vorgeburtliche Hören der Säuglinge im Bauch der Mutter und das Hören im Koma. «Sterbende sind zwar eingeschlossen in einer anderen Welt, bleiben aber hörend», so Renz. Deshalb können wir sie auf alles ansprechen. Die Therapeutin empfiehlt, nichts Belangloses zu erzählen, sondern Tiefsinniges.

Ungeahnte spirituelle Erfahrungen

Dem weit verbreiteten Verständnis von Sterben als Verlöschen setzte Renz ein Sterben als Hinübergehen gegenüber. «Sterbende scheinen eine innere Bewusstseinsschwelle zu überschreiten, weg vom Ich, dessen Wahrnehmungen, Bedürfnissen, Ängsten, und oft sogar weg von dessen Schmerzen», hat sie in einer Studie bei der Hälfte von rund 680 Personen festgestellt. Beispielsweise könne sich die Angst verdichten und dann plötzlich weg sein. Oder Familienprozesse verdichten sich – und werden rasch unwichtig für den Sterbenden. Die Veränderung des Bewusstseins habe mit der Bejahung des Leids zu tun, erklärte Renz. Diese Leidensverarbeitung sei nicht ausschliesslich sterbespezifisch. «Krebskranke machen dies mehrmals durch, immer wenn sich ihre Krankheit wieder massiv verschlechtert», so Renz. «Im Sterbeprozess finden ungeahnte spirituelle Erfahrungen statt», resümierte die Theologin und Psychotherapeutin. Ihre Forschung versteht sie als Annäherung, da bei den Untersuchungen vieles im Schweigen verbleibe.

Die Leiterin Psychoonkologie am Kantonsspital St. Gallen kommuniziert mit Sterbenden, indem sie mit ihnen spricht, aber auch mit Hilfe von Klangmeditationen. An der Veranstaltung sang sie ein indianisches Lied vor, das sich die Anwesenden mit geschlossenen Augen anhörten.

«Wie lernt man die Kunst des Sterbens?», wollte ein Zuhörer wissen. Im Mittelalter habe es dafür Anleitungen und Gebete gegeben, erklärte Schmitt. Heute gehe es darum, den Sterbeprozess zu akzeptieren, einen Sinn darin zu finden. Es gehe darum, anzunehmen, dass das eigene Leben eine gewisse Zeit hatte, und darum, Abschied zu nehmen in der Hoffnung, getragen zu sein. Allerdings habe er viel Menschen erlebt, die im Leiden und in Verzweiflung gestorben seien, gab Schmitt zu.

Eine Krankenkasse für die ganze Welt?

Neben weiteren Themen wie die Würde im Alter, der Sinn des Lebens, die Verlängerung des Lebens mit Hilfe der modernen Medizin kam auch die internationale Dimension des Alterns zur Sprache. Man müsse das Altern von seiner gesamtgesellschaftlichen, weltpolitischen Dimension her sehen, befand Josef Estermann, Leiter Bildung und Grundlagen von Comundo und Gastgeber der Veranstaltung. In Südamerika habe er Alte betteln oder sich selbst entsorgen sehen. Da frage er sich: Wo sollte hier eine sozialtethische Argumentation ansetzen? Da könne er sich ein Modell vorstellen, schlug Diskussionsmoderator Thomas Staubli vor. Man könnte die Krankenkasse statt national, neu global aufstellen. Vielleicht finge dann die Medizin an, die Krankheiten im Süden zu bekämpfen. Doch bisher werde der Nord-Süd-Gap weiter kultiviert. (rp)

Hanspeter Schmitt (von rechts), Thomas Staubli und Monika Renz am Katholischen Dialog im Romerohaus Luzern, 30.11.15 | © Regula Pfeifer
1. Dezember 2015 | 16:28
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