Syrisch-orthodoxer Bischof: «Ostern ist für uns ein Tag des Lichts!»

Arth SZ, 1.5.16 (kath.ch) Am 1. Mai feiern die orthodoxen Christen Ostern, so auch die syrisch-orthodoxen Gläubigen im Kloster St. Avgin in Arth SZ. Wie ihre Liturgien gestaltet sind und wie sie angesichts der Christenverfolgung im Nahen Osten dennoch Ostern feiern können, erklärt Dionysios Isa Gürbüz, syrisch-orthodoxer Bischof für die Schweiz, im Interview mit kath.ch.

Sylvia Stam

Orthodoxe Christen feiern heute Ostern. Dieser Zeit geht eine Fastenzeit voraus.

Bischof Dionysios Isa Gürbüz: Ja, wir fasten insgesamt 48 Tage, Fastenzeit und Karwoche zusammengerechnet. In dieser Zeit essen syrisch-orthodoxe Christen keine tierischen Produkte wie Fleisch, Eier, Milch oder Käse.

Sie essen also sozusagen vegan?

Gürbüz: Ja, und das ist sehr gesund (lacht), nicht nur für den Körper. Fasten reinigt auch die Seele der Menschen. Die Gläubigen verzichten vormittags ganz auf das Essen, sie essen erst nachmittags. Das Fasten ist allerdings freiwillig. Wir empfehlen es, aber die Gläubigen können frei entscheiden.

Finden in der Karwoche besondere Gebetszeiten statt?

Gürbüz: Die Karwoche ist die heiligste Zeit im Jahr, diese Woche ist ganz dem Gebet und der Meditation gewidmet. Hier im Kloster wird vormittags, nachmittags und auch nachts gebetet. Für die Gläubigen, die berufstätig sind, gibt es jeweils abends ein Gebet, dazu kommen rund 60 Gläubige hierher. Über die ganze Schweiz verteilt gibt es fünf weitere Priester, die abends solche Gebete anbieten.

Was zeichnet die syrisch-orthodoxen Liturgien der Passionszeit aus?

Gürbüz: Am Hohen Donnerstag wasche ich zwölf Gläubigen die Füsse. Wir feiern ausserdem die Einsetzung des Abendmahls. An diesem Tag verteilen wir ein Brot in einer besonderen Form (siehe Bild), das wir hier im Kloster herstellen. Es symbolisiert das Opferlamm, das Jesus war: Er gab seinen Leib und sein Blut für uns.

Karfreitag ist der wichtigste Tag der Karwoche. In der Liturgie legen wir ein Kreuz in einen kleinen Sarg, und die Gläubigen, die in grosser Trauer sind, umrunden daraufhin den Sarg und erhalten einen Segen. Dies ist ein sehr besonderer Moment! Nach dem Segen wird der Sarg unter dem Altar begraben.

Wird während diesen Zeremonien auch gesungen?

Gürbüz: Natürlich! Gesang ist in der orthodoxen Liturgie sehr wichtig. Alle unsere Diakone und der Frauenchor kommen immer in die Kirche und singen mit. Für die Passionszeit gibt es spezielle Gesänge, sie klingen trauriger als an anderen Tagen.

Warum sind Gesänge so wichtig in orthodoxen Liturgien?

Gürbüz: Seit Beginn unserer Kirche spielen Gesänge eine wichtige Rolle. Der Heilige Ephrem der Syrer soll im 4. Jahrhundert als Erster Gesänge in der christlichen Kirche eingeführt haben, die dann über Griechenland ihren Weg nach ganz Europa gefunden haben. Wer religiösen Gesang hört, wird demütig und rein. Der Gesang verbindet sozusagen den Geist und das Herz des Menschen mit Gott.

Wie feiern Sie Ostern?

Gürbüz: Am Ostersonntag kommen Hunderte Gläubige in unseren Gottesdienst. Manchmal haben wir zu wenig Platz und müssen die Pforten öffnen. Wir feiern gemeinsam Eucharistie, und die Gläubigen halten während dem Gottesdienst eine brennende Kerze in der Hand. Ein besonderer Moment dieser Liturgie ist die Prozession mit dem Kreuz durch die Kirche: Wir halten das Auferstehungskreuz in die Höhe, damit die Gläubigen es küssen können und den Segen empfangen. Es ist in unserer Tradition üblich, dass die Gläubigen das Kreuz küssen.

Warum küssen sie das Kreuz?

Gürbüz: Sie erhalten dadurch einen Segen. Das Kreuz steht für Jesus selbst. Wenn wir das Kreuz küssen, küssen wir Jesu Hände oder Füsse. Wir sind ihm dadurch sehr nahe.

Was geschieht nach dem Gottesdienst?

Gürbüz: Nach dem Gottesdienst, der allein schon drei Stunden dauert, kommen wir im Saal zum gemeinsamen Essen und Trinken zusammen. Wie andere Christen in der Schweiz «tütschen» auch wir Eier. Die Menschen sind sehr glücklich, denn Ostern ist ein Tag des Lichts und der Freiheit für uns! Vorher waren wir im Dunkeln, doch Jesus hat uns gerettet. Die Gläubigen feiern die Freude darüber später zu Hause mit ihren Familien weiter.

Aktuell ist das Leben von Menschen in der Heimatregion Ihres Glaubens geprägt von Verfolgung und Tod. Wie können Sie dennoch Ostern feiern, dieses Fest der Freiheit und des Lebens?

Gürbüz: Wissen Sie, unsere Geschichte ist quasi seit 1300 Jahren eine Passionszeit, nicht erst in der heutigen Zeit. Unsere Vorfahren lebten ebenso wie jetzt unsere Brüder und Schwestern unter dem Schatten des Schwertes. Wir leiden nicht zum ersten Mal, aber zurzeit ist es tatsächlich sehr hart. Es werden wehrlose Menschen verfolgt.

Christen im Nahen Osten sind allein, sie haben keinen Staat hinter sich. Aber wir glauben daran, dass Gott hinter uns steht und bei uns ist. Jesus sagte: «Nimm dein Kreuz auf dich.» Wir sind dazu bereit, denn Jesus hat alles für uns getan. Aber Jesus sagte auch: «Ich bin für immer bei euch.» Diese Worte bedeuten uns enorm viel. Sie lassen uns den Hunger, den Durst und unser Leiden vergessen. Diese Worte lassen uns auf eine Zukunft hoffen.

Was können Sie konkret für Ihre Glaubensbrüder und -schwestern im Nahen Osten tun?

Gürbüz: Wenn wir diese Tage feiern, denken wir sehr oft an sie. Und wir helfen, soweit es uns möglich ist, indem wir zum Beispiel die Kollekte für sie aufnehmen oder Kleider und Bücher für die Kinder sammeln.  Und wir beten natürlich für sie.

Wir beten auch für unsere Feinde, das lehrt uns Jesus: Wir sollen helfen, lieben und Frieden bringen. Leider denken nicht alle Menschen so. Doch Auferstehung bedeutet Licht, Hoffnung und Freiheit. Wir beten an Ostern darum, dass alle Nationen in Frieden und Freiheit leben mögen. (sys)

Erzbischof Dionysios Isa Gürbüz ist der amtierende syrisch-orthodoxe Bischof für die Schweiz und Österreich. In der Türkei geboren, lehrte er am Theologischen Seminar in Damaskus, von 1997 bis 2006 war er der erste syrisch-orthodoxe Bischof für Deutschland. In seiner aktuellen Funktion ist er seit 2006, sein Bischofssitz ist das Kloster St. Avgin, ein ehemaliges Kapuzinerkloster, in Arth SZ. Zu seiner Diözese gehören rund 10’000 Gläubige, davon etwa 8500 in der Schweiz. Auf die politische Situation im Nahen Osten wollte Bischof Gürbüz nicht näher eingehen.

Videoaufnahmen der Liturgien der Karwoche 2016 finden Sie hier.

Bischof Dionysios Isa Gürbüz | © 2016 Francesca Trento
1. Mai 2016 | 08:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
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Brot für den Hohen Donnerstag | © 2016 Francesca Trento Brot für den Hohen Donnerstag | © 2016 Francesca Trento

Brote für besondere Feiertage

Syrisch-orthodoxe Christen essen an bestimmten Feiertagen besondere Brote, etwa am Hohen Donnerstag, an Ostern, Pfingsten und Weihnachten. Diese haben je eine andere Form und sind mit Einprägungen versehen, die voller Symbolik sind.

Das Brot, das aus Mehl, Salz, Hefe und Wasser besteht, entstehe durch das Zusammenspiel der vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer, erklärt Hanna Lahdo, Priester und Mönch im Kloster St. Avgin. Die runde Form des Brotes für den Hohen Donnerstag, «buchro» genannt, verweise auf die Unendlichkeit Gottes, während die Vierteilung an die vier Evangelisten und das eingeritzte Kreuz an die fünf Stiche im Leib Jesu erinnerten. (sys)