«Swissness» heisst Solidarität zeigen, nicht Flagge!

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Caritas Schweiz zur Swissness-Diskussion in der Entwicklungszusammenarbeit

Luzern, 7.7.11 (Kipa) Seit geraumer Zeit spricht die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) von «Swissness». Sie meint damit, die Leistungen der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit sichtbar zu machen und gleichzeitig helvetische Kernkompetenzen und deren (privatwirtschaftliche) Träger zu bezeichnen. Für Caritas Schweiz bedeutet Swissness: Solidarität, humanitäre Tradition und partnerschaftliche Zusammenarbeit, Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit und Schutz der öffentlichen Güter. Mit seinem Positionspapier «Swissness muss für Solidarität stehen» will das katholische Hilfswerk in die Diskussion eingreifen.

Von der Emmentaler Schaukäserei in Affoltern über Polo Hofers Mundart-Rock bis hin zu den Liebesbekundungen politische Parteien an die Schweiz, heute ist alles Swissness. Der Bundesrat will in der «Swissness-Vorlage» das Marken- und das Wappenschutzgesetz revidieren und die Marke «Schweiz» stärken. Nun streiten sich Wirtschaftsverbände, Unternehmen und Politik darüber, wann eine Uhr als «Schweizer Uhr» verkauft werden, eine Schokolade «made in Switzerland» sein darf.

Die Vorstellungen der Deza

«Swissness» beansprucht auch die Deza für ihre Entwicklungszusammenarbeit, wobei die Vorstellung darüber vage bleibt und gleichzeitig Labelling und helvetische Eigeninteressen im Auge hat. Die Schweiz soll «Flagge zeigen», sichtbar machen, was sie leistet, den Not leidenden Menschen genauso wie der Schweizer Bevölkerung. Zudem sollen helvetische «Kernkompetenzen» ausgewählt werden wie die Wasserwirtschaft oder das Versicherungswesen, verstanden als komparative Vorteile gegenüber den Entwicklungsagenturen anderer Geberländer.

Die Träger dieser vermeintlichen Kernkompetenzen sind als (neue) Akteure der Entwicklungszusammenarbeit vorgesehen – Nestlé, Swiss Re und Novartis werden zu Deza-Partnerinnen. Nichts gegen den Einbezug der Privatwirtschaft als Ergänzung zur heutigen Entwicklungszusammenarbeit. Sie soll aber zunächst ihre «Corporate Social Responsibility» zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung wahrnehmen, hätte dies doch allemal eine deutlich bessere entwicklungsfördernde Wirkung als die Realisierung einzelner Entwicklungsprogramme.

Schweizer Inkohärenz verlangt Zurückhaltung

Die Kritik an die Swissness-Vorstellung der Deza liess nicht lange auf sich warten. Öffentliche Zurschaustellung der Schweizer Leistungen ist angesichts von weltweiter Armut und Not schlicht deplatziert, kann als Zeichen von Überheblichkeit verstanden werden. Heute hat die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz gerade wegen ihres Prinzips, partnerschaftlich an Lösungen zu arbeiten und sich dabei selber zurückzunehmen, international einen guten Ruf.

Zurückhaltung ist aber auch wegen der notorischen Inkohärenz in der Schweizer Aussenpolitik angebracht. Denn von der Schweiz aus machen internationale Rohstoffhandelsunternehmen ungestraft ihre Geschäfte auf Kosten der ärmsten Länder und werden mit Steueranreizen hofiert, erlauben Grossbanken den Potentaten aus dem Süden, ihr Geld hier zu verstecken, wird die Einfuhr verarbeiteter Produkte aus den Entwicklungsländern mit hohen Zöllen belegt.

Swissness ist Solidarität

Wenn das neue Parlament 2012 die Botschaft zum Rahmenkredit 2012 bis 2016 beraten wird, bei der es um etwa 12 Milliarden Franken gehen wird, dürfte «Swissness» als eingängiger Appell die Diskussion über die Entwicklungshilfe mitprägen. Dann muss klar sein, was darunter zu verstehen ist: Es gilt, an bewährte Grundhaltungen, Schwerpunkte und Kriterien festzuhalten. Diese stehen für Erfolg und Leistungsausweis der schweizerischen Entwicklungsaktivitäten, diese müssen die Grundlage für die künftige Ausrichtung bilden. Die Privatwirtschaft mag eine ergänzende Rolle spielen, mehr nicht.

Mit «Swissness muss für Solidarität stehen» greift Caritas Schweiz in die Diskussion ein. Denn die schweizerische Entwicklungshilfe hat eine lange Tradition humanitären und solidarischen Handelns. Ihre Qualität ist ausgewiesen, ihr partnerschaftliches Wirken allseits anerkannt; Schwerpunkte wie Armutsbekämpfung oder Schutz der globalen öffentlichen Güter sind unbestritten. Entwicklungszusammenarbeit ist kein Feld für politische Profilierung oder gewinnorientierte Strategien. Auch Unternehmen haben sich diesem Verständnis unterzuordnen.

«Swissness» muss auf vier Prinzipien beruhen: (a) auf humanitäres Handeln in der Tradition der Genfer Konventionen, (b) auf Solidarität im Sinne von «Hilfe zur Selbsthilfe» und der Verpflichtung, sich an der Uno-Richtschnur von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe zu orientieren, (c) auf dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung, das Staaten das Recht auf eine Entwicklung zubilligt, die wirtschaftlich leistungsfähig, sozial verantwortbar und umweltverträglich ist; und schliesslich (d) auf politische Kohärenz, die sich an den ärmsten Ländern misst und von Verwaltung und Politik erwartet, in allen Politikbereichen entwicklungsfördernd zu handeln.

Diese Prinzipien gelten heute nur teilweise, stossen auf massiven politischen Widerstand, wenn es um Kohärenz und 0,7 Prozent bei der Entwicklungsfinanzierung geht. Doch für eine solidarische Entwicklungszusammenarbeit sind sie unerlässlich.

Die Swissness-Vorstellungen von Caritas

Auf dieser Grundlage benennt Caritas fünf Swissness-Stossrichtungen in der Entwicklungszusammenarbeit. Sie folgen den langjährigen Erfahrungen der staatlichen und privaten Entwicklungsakteure.

Zu Swissness gehört: (1) Armut bekämpfen, das heisst das Recht auf Nahrung, Gesundheit und Bildung verwirklichen; (2) die globalen öffentlichen Güter wie Wälder, Meere, Klima, Frieden und Menschenrechte schützen; (3) öffentliche Institutionen und zivilgesellschaftliche Kräfte stärken, das heisst Good-Governance-Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Menschenrechte und Partizipation der Zivilbevölkerung durchsetzen; (4) respektvoll partnerschaftlich zusammenzuarbeiten, Wissen und Erfahrungen von Organisationen in Entwicklungsländern sowie von Schweizer Hilfswerken und Unternehmen für Entwicklungsprozesse nutzbar machen; und (5) mit hoher Qualität wirkungsorientiert arbeiten, effizient, transparent, kontinuierlich, rechenschaftspflichtig und frei von aussenpolitischer Vereinnahmung.

*Geert van Dok ist Leiter der Fachstelle Entwicklungspolitik bei Caritas Schweiz am Geschäftssitz in Luzern.

(kip/gvd/job)

7. Juli 2011 | 15:52
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