Ruth Colian (links), Gründerin und Spitzenkandidatin der strengreligiös-jüdischen Partei "B'zchutan", mit Mitstreiterin Noah Erez (Listenplatz Zwei)
International

Strengreligiös und feministisch: Haredi-Frauen wollen Wandel in Israels Gesellschaft

Beit Schemesch, 12.3.15 (kath.ch) Treffpunkt 17 Uhr, BIG-Einkaufszentrum, Beit Schemesch. Drei strengreligiös-jüdische Frauen werben für ihre neugegründete Partei «B’zchutan» (»in ihrem Verdienst»). Die Zahl der Journalisten überwiegt. «Die Mall ist eine gemischte Zone, wo sich die verschiedenen Schichten treffen», sagt Chayah Eichler, B’zchutan-Mediensprecherin. Mit dem Medieninteresse hatten die Frauen um Spitzenkandidatin Ruth Colian nicht gerechnet.

Andrea Krogmann

Das Publikum, an das sich B’zchutan eigentlich richtet, ist schwieriger zu erreichen. Fernsehen und Internet sind unter den strengreligiösen Frauen tabu. Wahlwerbung in den einschlägigen Haredi-Zeitungen hat man der jungen Partei verboten. Handzettel sollen die Informationen an die Frau bringen.

«Wir starten eine Revolution», sagt Chayah Eichler. Als einzige trägt sie Jeans und Naturlocken statt Perücke. «Wir sprechen aus für jene Frauen, die keine Stimme haben». «Ihr sprecht nicht im Namen der Haredi-Gesellschaft», widerspricht ein Passant. B’Zchutans Anliegen: Bessere Bildung, eine Vertretung von Haredi-Frauen in rein männlichen Organen wie Rabbinergerichten, ein Ende der Schikane von Frauen, ein Platz in der Knesset. Revolutionär in westlichen Ohren klingt anders. Doch in der ultraorthodoxen Gesellschaft gleicht das Werben dafür einem Spiessrutenlauf.

Als «Schickse» und «Prostituierte» beschimpft

Beit Schemesch, eine ultraorthodoxe Nachbarschaft am frühen Abend. Frauen, denen Ruth Colian und Noa Erez von Listenplatz Zwei ihre Wahlwerbung aushändigen könnten, sind rar. Die Reaktion auf die beiden Fremdkörper in einer geschlossenen Gesellschaft ist harsch. «Schickse», unfromm, brüllt es aus halbstarkem Mund, «Prostituierte» aus dem Mund einer jener Frauen, denen die «B’zchutan» eine Stimme verleihen will. Wer hier Handzettel austeilt, muss einstecken können. «Sie verstehen nicht, dass wir auf ihrer Seite stehen», sagt Ruth Colian. Über Reaktionen wie diese dürfe man «nicht einmal nachdenken» – ein Rat, den zu beherzigen es Noah Erez sichtbar schwer fällt.

Haredi-Frauen: sogar in Synagoge unerwünscht

Beit Schemesch ist ein Hotspot im Kampf um die religiöse Deutungshoheit im Lande und Paradebeispiel für das, worum es den Frauen geht. «Extremisten haben die Stadt übernommen, der Ausschluss von Frauen in Teilen der Stadt ist eine endlose Geschichte», sagt Ruth Colian. Sie zeigt auf ein Schild auf der Strasse vor der Synagoge. Es fordert Frauen auf, «sittsam» zu sein und den Ort zu Gunsten der Männer zu meiden. «Wir wollen das Schweigen brechen», sagt Ruth Colian und beklagt mangelndes Interesse der Politik für ihren Teil der israelischen Gesellschaft. «Bislang sind wir dreifach geschlagen, von unsren Männern, von der Haredi-Gesellschaft und vom Staat.» Ruth Colian verteilt ihre Zettel an ein paar Jugendliche.

Die Hürde für «B’zchutan» ist hoch. Vier Sitze, über 180.000 Stimmen, müssen die Haredi-Frauen am 17. März erzielen, um in die Knesset einzuziehen. «Zunehmend Rabbiner unterstützen uns», sagt Chayah Eichler, darunter «ein sehr bekannter und renommierter Rabbiner». Seinen Namen nennt sie nicht, aus Angst vor Drohungen. Sie selber, sagt Noah Erez, habe bereits Drohungen per Telefon erhalten. Auf der Strasse wird die 31-Jährige beleidigt. «Das ist die Realität von uns Haredi-Frauen: Wir sind an den Rand gedrängt und keiner kommt uns zur Hilfe. Wenn ich diesen Kampf heute nicht durchhalte, ist das die Realität, in der meine Töchter leben müssen.»

Ehemann vermissst

Ohrenbetäubend dröhnen die Bässe aus den Lautsprechern des vorbeifahrenden Kampagnenwagens. «Wir heiligen Gottes Namen. Partei Vereinigtes Torah-Judentum.» In den religiösen Vierteln von Beit Schemesch weiss man, wen man zu wählen hat. «Diese Frauen haben ihren Platz nicht gefunden», sagt Passantin Esther, strengreligiös, 27 Jahre alt. «Wären sie wirklich religiös, hätten sie einen Ehemann, der sie vertritt. Diese Frauen wissen nicht, dass ihr Platz zu Hause ist. Sie setzen sich an eine höhere Stelle als die Rabbiner.» Dass es Probleme in der Haredi-Gesellschaft gibt, leugnet die zweifache Mutter nicht. «Die gibt es überall, und es gibt Verantwortliche, um die Probleme zu lösen!» Im Fall der ultraorthodoxen Gemeinschaft sind es die Ehemänner und die Rabbiner.

Sie müssten jetzt gehen, sagt Esthers Mann Itzchak. Esther faltet Ruths Flyer über mehr Rechte für Haredi-Frauen. Dann entschuldigt sie sich.

 

 

 

 

 

Ruth Colian (links), Gründerin und Spitzenkandidatin der strengreligiös-jüdischen Partei «B'zchutan», mit Mitstreiterin Noah Erez (Listenplatz Zwei) | © 2015 Andrea Krogmann
12. März 2015 | 18:20
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