Turmbau zu Babel
Radiopredigt

SRF-Radiopredigt: Wut, Lärm und Prügel in Babel

Unverständliche Sprachfetzen, ein Turm der am Himmel kratzt, eine aufgeladene Stimmung: Willkommen im Babel! SRF-Radiopredigerin Susanne Cappus findet, «die Geschichte vom Turmbau zu Babel könnte auch gut enden». Dazu braucht es «ein paar Strategien in der persönlichen Kommunikationskiste».

Susanne Cappus*

Etwas war anders. Lautes Stimmengewirr schlug der Schafhirtin entgegen, als sie vom Markt über den Tempelplatz nach Hause zurückkehrte. Am Morgen war alles noch friedlich gewesen. Ruhig und konzentriert hatten die Arbeiter frische Ziegelsteine über den Tempelplatz zum hohen und breiten Turm getragen. Wunderschön hatte der ausgesehen an diesem frühen Morgen! Der oberste und noch unfertige Teil des Turms war bereits in bläuliches Licht getaucht, während die untersten Terrassenstufen noch völlig im Dunkel lagen. Alles ruhig. Aber jetzt, am Abend, dieser Lärm! Eine Masse von Menschen, die sich mit wutverzerrten Gesichtern anschrien. Dort drüben prügelten sich sogar drei. Die Schafhirtin drückte ängstlich ihren nichtverkauften Käse an die Brust und versuchte sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Eigenartige, nie gehörte Sprachfetzen drangen an ihr Ohr: Hand over that bucket! Je ne comprends pas! Hand over that bloody bucket! Que disez-vous? Dammi la pietra! Jeg forstår ikke!

Turmbau zu Babel
Turmbau zu Babel

Was in den folgenden Tagen und Nächten geschah, würde die Schafhirtin nie vergessen. Wütende Menschen stritten, prügelten sich in den Gassen und wandten sich schliesslich erschöpft voneinander ab. Die Luft war Tag und Nacht von Geschrei erfüllt. Keiner verstand mehr den anderen. Alle schienen eine andere Sprache zu sprechen. Nach einigen Tagen begannen die Menschen aus der Stadt fortzuziehen. Nur wenige blieben zurück. Unter ihnen war auch die Schafhirtin. Käse und Wolle brauchte es immer. Zurück blieb auch der Turm. Unfertig ragte er in den Himmel. Dabei hatte alles so gross angefangen. Der grösste Turm der Umgebung, ja wenn nicht gar der grösste der Welt, hätte es werden sollen. Das Wahrzeichen der Stadt und der Stolz des Volkes, das ihn erbaut hatte. Und, natürlich sollte der Turm auch eine Brücke in den Himmel sein. Denn wo, wenn nicht hoch in den Wolken könnte man Gott begegnen?

Wolken
Wolken

Der Turmbau von Babel, liebe Hörerin, lieber Hörer, ist eine der ältesten Geschichten in der Bibel. Türme mit Terrassen und Treppen, die man hochsteigen konnte, wurden im Vorderen Orient seit 3000 vor Chr. gebaut. Zikkurate heissen sie in der Fachsprache. Der Verfasser des Bibeltextes steht diesen Türmen kritisch gegenüber. Er steht in der Tradition des Volkes Israel, das lange nicht sesshaft war und im Exil gelitten hatte. Da ist der Bau eines prächtigen Turmes, der am Himmel kratzt, schon eine unverschämte Sache. Und so straft Gott in der biblischen Erzählung die Menschen, indem er ihre Sprache verwirrt. Niemand versteht mehr den anderen und damit ist der Turmbau gestoppt. Mich persönlich interessiert weniger, ob es nun angemessen sei, hohe Türme zu bauen oder nicht. Ich bin fasziniert von diesem Bild, von diesen vielen Menschen, die zusammen sind, sich plötzlich nicht mehr verstehen und dann trennen. Warum geschieht sowas?

Baustelle führt in Sackgasse.
Baustelle führt in Sackgasse.

Die Gründe mögen vielfältig sein. So ein ausgefülltes Arbeitsleben, sei das nun beim Turmbau von Babel oder in meinem modernen Alltag, das verlangt einem ganz schön viel ab. Da bleibt nicht immer Zeit für Beziehungspflege, für Ruhe und Verständnis. Konflikte können da schon mal hochkochen, wenn auch hoffentlich nicht gerade in babylonischem Ausmass. Schöner wär’s natürlich, es käme gar nicht so weit. Was wäre da zu tun? Wie könnten wir das gegenseitige Verständnis fördern?

Ich selbst erlebe immer wieder, dass es mir guttut, wenn ich erst mal mich selbst besser verstehe. Wenn mir klar ist, was ich denke, dann kann ich es auch klar äussern. So ist es mir wichtig, mir immer wieder Momente der Ruhe zu nehmen und mich zu fragen, wie ich die Dinge wirklich sehe oder was mir wichtig ist. Dabei beziehe ich die Ansichten meines Umfeldes durchaus mit ein, ja manchmal frage ich sogar danach. Aber am Ende zählt, was für mich stimmig ist. Den zweiten Schritt, den finde ich dann am schwierigsten. Jetzt habe ich also endlich meine Position, sollte aber gleichzeitig so beweglich bleiben, dass ich auch andere Standpunkte gelten lasse. Manchmal passe ich auch meine Position an andere an. Dabei ist es für mich herausfordernd zu erkennen, ob ich konsequent bei meiner Meinung bleiben soll oder ob ich schon stur geworden bin. Im letzten Schritt dann gilt es so beweglich zu bleiben, dass ich den Standpunkt des anderen einnehmen kann. Da heisst es dann für mich: zuhören, nachfragen und noch einmal zuhören.

Zuhören
Zuhören

Vielleicht haben Sie, liebe Hörerin, lieber Hörer, ja auch noch ein paar Strategien in ihrer persönlichen Kommunikationskiste, die ihnen helfen, andere zu verstehen und verstanden zu werden. Das Ganze bedeutet ein schönes Stück Arbeit und man muss dran bleiben, etwa so, wie wenn man eine Fremdsprache lernen will. Ich glaube aber, diese Arbeit lohnt sich. Und die Geschichte des Turmbaus von Babel könnte auch gut enden, stelle ich mir vor.

Die Schafhirtin nämlich, die in der Stadt geblieben war, bemerkte nach einigen Monaten eine Veränderung. Vereinzelt kamen Menschen, die nach dem grossen Streit beim Turm fortgegangen waren, in die Stadt zurück. Sie waren noch scheu und zurückhaltend. Die Schafhirtin konnte sich aus den wenigen Sprachfetzen, die sie verstand, zusammenreimen, dass sich die Menschen in der Fremde einsam gefühlt hatten. Die Menschen von Babel hatten ihre Stadt und ihre Bekannten vermisst. Und so waren sie zurückgekehrt. Vorsichtig begannen sie miteinander zu sprechen, ja eigentlich wäre es richtiger zu sagen, sie begannen sich gegenseitig zuzuhören und sprachen nachher, langsam und deutlich. Manchmal mussten sie auch auf die Dinge zeigen, um zu erklären, was sie nun in ihrer Sprache meinten. Nach und nach kamen immer mehr Menschen zurück. Das Leben in Babel nahm wieder an Fahrt auf. Handel wurde getrieben, Versammlungen abgehalten und Wissenschaft betrieben. Besonderer Wert wurde auf Sprachwissenschaft gelegt. Ein solches Desaster wie der Turmstreit sollte sich nicht noch einmal wiederholen!

Susanne Cappus
Susanne Cappus

Der Turm interessierte niemanden mehr so richtig und so wurde er auch nicht fertig gebaut. Die unteren Stufen eigneten sich aber gut, um grosse Feste darauf zu feiern und von denen feierten die Bewohner und Bewohnerinnen von Babel nun viele. Eines dieser Feste gefiel der Schafhirtin besonders. Es verzauberte sie immer wieder aufs Neue. Einmal im Jahr trugen die Menschen von Babel ihre Öllichter bis auf die höchsten Terrassen des Turmes. Der ganze Turm war dann mit Lichtern übersät und leuchtete weit in die Wüste hinaus. In dieser Nacht feierten die Menschen ihre Rückkehr aus der Vereinzelung zurück in ihre Gemeinschaft. Sie feierten die ganze Nacht hindurch. Es war nicht mehr wichtig, dass der Turm nicht bis in die Wolken reichte und man dort oben weder in den Himmel sehen noch Gott begegnen konnte. Die Menschen verstanden sich. Und Gott wandelte mitten unter ihnen.

*Susanne Cappus ist christkatholische Diakonin und arbeitet in Dornach/SO

Bibelstelle : Gen, 11 1-9

Die SRF-Radiopredigten sind eine Koproduktion des Katholischen Medienzentrums, der Reformierten Medien und SRF2 Kultur.

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Turmbau zu Babel | © KEYSTONE/brandstaetter images/Pieter der Ältere Brueghel
29. Januar 2023 | 09:29
Lesezeit: ca. 5 Min.
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